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14.7.2007 - Rubrik: Gastronomie
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Molekulare Küchen-Zaubereien

Die molekulare Kochkunst stösst auch in die Schweiz vor. Köche experimentieren mit Schäumen, Geliermitteln und flüssigem Stickstoff. Was ist von Überraschungseffekten wie Melonenkaviar oder Nudeln aus Randensaft zu halten?



Die molekulare Küche stösst bei Profi- und Hobbyköchen seit einigen Monaten auch in der Schweiz auf grosses Interesse. Das Publikum nimmt sie erst punktuell zur Kenntnis, etwa in Medienberichten wie den ZüriTipp-Kolumnen von Peter Brunner, Küchenchef des Zürcher Restaurants Kaiser’s Reblaube oder in einer Einstein-Reportage des Schweizer Fernsehens beim Molekular-Spezialisten und Spitzenkoch Denis Martin in Vevey, dekoriert mit 18 GM-Punkten.

«Molekulare Spezialitäten» findet man kaum auf Speisekarten oder in der Werbung, aber erste Angebote bestehen für Bankette und Partyservice in Form von Aperos oder Dekors. Wenn dereinst vielleicht «warme Glace» oder «Melonenkaviar» (Bild) im Landgasthof auf der Karte stehen oder das erste «McMolekular’s» eröffnet, um das breite Publikum anzusprechen, besteht Erklärungsbedarf. «Wird man von Molekülen satt?», werden sich Herr und Frau Schweizer fragen: «und steckt da Chemie drin?». Heute stellen sich auch Köche ähnliche Fragen.

«Molekulare Gastronomie heisst Kochen und erklären der Kochprozesse mit wissenschaftlichen Methoden», schreibt die Uni Neuenburg, welche dazu Kurse anbietet. Mit Erklärungen der molekularen Vorgänge, etwa bei der Gelierung, Fleischreifung oder Caramelisierung will die sie traditionelle Gerichte verbessern aber auch neue Effekte erzielen.

Letzteres nennt Marc Heyraud, Professor am chemischen Institut der Uni Neuenburg «molekulare Küche» und will «die sinnvollen von den extravaganten Konzepten trennen». Sinnvoll sind etwa Produktverbesserungen: Der Chemiker empfiehlt beispielsweise, Eier bei genau 65 zu kochen: «dann wird sowohl das Eigelb wie auch der Eiklar zart». Dies kann man im Bainmarie oder Holdomat bewerkstelligen (im Wasserbad geht es rascher).

Den allerdings oft beliebteren extravaganten Effekten liegt meistens ein bestimmtes Prinzip zugrunde: Man bricht mit einer Gewohntheit und entkoppelt Prozesse oder sensorische Parallelitäten. So weiss man aus Erfahrung, dass die meisten Geliermittel sich in der Wärme lösen und dann beim Abkühlen gelieren. Kaltgeliermittel in reiner Form dagegen sind eher den Patissiers als den Köchen bekannt.


Oder man erwartet bei Ravioli Teig aus Mehl und eine mitgekochte Füllung, stellt aber bei den molekularen Olivenölravioli (Bild) mit Verblüffung fest, dass der Teig aus zartgeliertem Olivenöl besteht und die Füllung aus rohem Tomatenconcassé mit gehacktem Mozzarella. Diese optische Künstlerei schmeckt jedoch wie normale Insalata Caprese. Hinzu kommen reine Showeffekte wie das Spiel mit dem theatralisch dampfenden Flüssigstickstoff, der nach unten quillt, weil er schwerer als Luft ist. In Wirklichkeit sind die weissen Schwaden nicht Stickstoff-Dampf sondern kommuner Wassernebel, da der kalte Stickstoff die Luftfeuchtigkeit kondensiert.

Showeffekte und Qualitätsziele

Für Rolf Caviezel, Küchenchef im Alterszentrum Kastels in Grenchen und Molekularkoch-Kursleiter im St.Galler Biosupermarkt Yardo «kann die molekulare Küche unterschiedliche Ziele haben, die vom Erlebniswert über Qualitätsverbesserungen bis zu Spielereien reichen». Auch neue Gästegruppen möchte Caviezel ansprechen. Als Beispiele für Qualitätsverbesserungen nennt er die Geschmacks-Intensivierung durch Aufkonzentrierung der Geschmacksstoffe.

Caviezel mariniert Lamm mit Rucola und Olivenöl zwei Tage unter Vakuum und gart es dann ungeöffnet als Sousvide bei Niedertemperatur. Das Fleisch nimmt den Rucolageschmack an aber keine ansprechende Farbe. Caviezel zuckert es daher leicht mit Rohzucker und flämmt es vor den Gästen mit dem Bunsenbrenner ab. «Dieses Gericht ist ein Bestseller», freut sich der Laborkoch - wohl auch dank des Showeffekts. Auf seiner Website (freestylecooking.ch) bietet er Kurse und Instrumente an, welche an Kataloge von Labormaterialfirmen erinnern wie Reagensgläser, Petrischalen und Spritzen. Auch Zusatzstoffe wie reines Lecithin (Emulgator), Alginat (Geliermittel) und Calciumchlorid-Salz als Gelier-Starter sind zu haben.


Diese Wirkstoffe in reiner Form gehören zur Standardausrüstung jedes Lebensmittel-Entwicklungslabors der Industrie, aber noch vor wenigen Jahren hätten Köche solche «chemischen Zutaten» in ihrer Küche gescheut wie der Teufel das Weihwasser. «Der Laborcharakter der molekularen Küche wird zwar hochgespielt», meint Caviezel, «aber der Koch muss tatsächlich eine Hemmschwelle überwinden». Ausserdem muss er mit hochkonzentrierten Wirkstoffen sorgfältig und präzis im Milli-Bereich arbeiten, was für Laboranten normal aber für viele Köche Neuland ist. Und der Koch sollte sich informieren, welche Zusatzstoffe in beliebigen Mengen im gewünschten Produkt zulässig sind, etwa beim Zusatzstoff-Spezialisten Smart Trading in Baar oder dem Gelier-Spezialisten Ecofood in Winterthur.

Virtuelle Saucisson

Auch Gabriel Séréro, Inhaber eines Partyservic in Pully (conte-gouts.ch), hat sich auf molekulare Küche spezialisiert und dazu einen Kurs an der Universität Neuenburg besucht. Seine Spezialitäten sind vielseitig: Die virtuelle Lauch-Saucisson ist ein Mousse mit Saucisson-Extrakt, Kartoffel- und Lauchpüre, Rahm und Milch, mit Gelatine geliert. «Man kocht Saucissonstücke im Rahm, welcher deren Geschmackstoffe aufnimmt und siebt die Stücke ab», erklärt der autodidaktische Koch. «Mit dem Kisag schäumt man diese Emulsion und verwendet sie als Füllung, etwa in einem harten Ei».

Mit Flüssigstickstoff stellt Séréro vor den Gästen ein würziges Sorbet her. Dazu frostet er Tomatensaft mit Olivenöl in einer Sorbetière vor und gibt schwarze Oliven, Pata Negra-Schinken und Haselnüsse mit dem flüssigen Stickstoff dazu. «Gefrorenes muss nicht immer süss sein», erklärt Séréro. Aber Stickstoff eignet sich auch fürs Dessert: Orangenschneebälle nennt er geschäumten Orangensaft mit Lecithin. «Meine Gäste sind auf der Suche nach dem Kreativen und begeistert von solchen Künsten», so Séréro. Er will demonstrieren, dass «molekulare Komponenten nichts Mystisches sind - auch die Industrie verwendet solche Techniken. Aber sie verlangen präzises Arbeiten».

Verperlen mit Geliermittel

Ein weiteres und prominentes Beispiel für eine molekulare Spezialität mit Erlebniswert ist der Melonenkaviar: Melonensaft in Geleekügelchen, die man im Gaumen wie Kaviar zerdrücken kann. Dazu löst man Alginat, ein natürliches Kaltgeliermittel aus Braunalgen, im Melonensaft auf, zieht die Flüssigkeit in eine Spritze auf und tröfpelt sie in eine Calciumchloridlösung. Was dabei geschieht, würde der Lebensmittelchemiker so formulieren: Das Calcium leitet beim Kontakt mit Alginat die Gelierung ein, wobei an der Tropfen-Grenzfläche eine Geléehaut entsteht. Molekulare Köche nennen es elegant «Verperlung».


Im richtigen Moment muss man die Gelierung stoppen, indem man die Perlen absiebt und wässert. «Dies auch, weil Calcium salzig und bitter schmeckt», so Caviezel. «und man darf es nicht zu lange einwirken lassen, sonst entsteht eine unangenehm dicke Haut». Er serviert den Melonenkaviar auf Coulis oder Pürée oder – um den Labortouch zu unterstreichen – auf einer Petrischale. «Dasselbe kann man mit Wein, Orangensaft oder Campari statt Melonensaft machen», rät Caviezel.

Gelieren ist auch sonst ein Steckenpferd der molekularen Zauberer: Randensaft-Gelée in Fantasieformen wie Streifen ist ein weiterer Klassiker aus dem «Labor» von Caviezel. Er verwendet als Gerliermittel Agar-Agar aus Rotalgen, dessen Gelierung hitzeinduziert ist, aber das Gel schmilzt erst ab 85 Grad. «Man kann daher die Randensaftnudeln warm mit Sauce servieren», rät Caviezel. Achtung bei der Agar-Agar-Dosierung, sonst entsteht ein Biss wie bei Gummibärchen. Dasselbe ist auch in kalter Form machbar, etwa mit Cassissaft.

Mit Molekülen den Hunger stillen?

Was sagen Gourmetköche zu dieser Art der Kochrevolution? Peter Brunner, Küchenchef des Zürcher Restaurants Kaiser’s Reblaube und Kolumnist im Züri-Tipp hält die molekulare Küche für eine Modewelle: «Menschen mit einem gesunden Appetit können da nur den Kopf schütteln».

Er räumt zwar ein, von den Molekularkoch-Experten viel gelernt zu haben, aber gegenüber der oft praktizierten Effekthascherei bleibt er skeptisch: «Jahrelang verliessen sich die Köche lieber auf ihr Erfahrungswissen als auf die Wissenschaft, und dies mit gutem Grund: Die Kochkunst ist naturwissenschaftlich gesehen derart kompliziert, dass man sie heute erst in Ansätzen analysieren und begreifen kann. Die molekulare Küche führte zwar zu interessanten Entdeckungen und Erneuerungen, aber dabei wird auch gewaltig übers Ziel hinausgeschossen. Dies zeigen etwa essbare Schäume aus Methylcellulose (E461), besser bekannt als Tapetenkleister.» Auch Heyraud meint, «man könne mit reinen Naturprodukten ebenso gut molekular kochen».

Weiterlesen: «Fritieren» mit Stickstoff
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