foodaktuell.ch
Internetmagazin für die Lebensmittelbranche Sonntag, 05. Mai 2024
Inhalt
Home
Nachrichten
Fleisch & ...
Backwaren & ...
Gastronomie
Über uns, Werbung
Archiv, Suche
Impressum
3.2.2016
Messetipp: IFFA 2016 in Frankfurt

„Fleischindustrie 4.0“ nimmt Fahrt auf
anzeigen...

Partner/Sponsoren

Cash+Carry Angehrn: Frische für Profis an neun Standorten in der Deutschschweiz.
Direkt zur CCA-Website:
www.cca-angehrn.ch


Empfohlene Links:

Fachschule für Bäckerei,
Konditorei, Confiserie:
www.richemont.cc


Fachschule für Metzgerei:
www.abzspiez.ch


Internationale Privat-Fachschule für Koch-Profis: European Culinary Center DCT in Vitznau LU
Deutsch: http://german.dct.ch
English: www.culinary.ch


Internet- und Socialmedia-Auftritte:
www.chrisign.ch







Schweizerischer Bäckerei- und Konditorei-Personal-Verband


Beiträge im Archiv

27.5.2011 - Rubrik: Fleisch & Delikatessen
Druckansicht
Gegen offene Grenzen ankämpfen?

Referat von Ständerat Rolf Büttiker, Präsident des Schweizer Fleisch-Fachverbandes SFF, zum Thema «Fleischeinkaufs-Tourismus an der Grenze» anlässlich des Verbandstages des SFF vom 22. Mai 2011 in Liestal.




Ständerat Rolf Büttiker, Präsident des SFF


Wenn ich mich in Konstanz mit dem Rad oder zu Fuss dem See entlang in Richtung Kreuzlingen – oder umgekehrt – bewege, muss ich gut aufpassen, um zu realisieren, wann ich die Grenze Deutschland / Schweiz tatsächlich überquere. Das passiert einfach so und schon ist man in der EU oder umgekehrt. Was meine Person betrifft, garantiere ich, dass ich dabei auf keinen Fall Fleisch im Gepäck mitführe – oder dann höchstens solches der Herkunft Schweiz.

15 Millionen Fleischeinkäufe pro Jahr von Schweizern im Ausland

Wenn ich aber die Statistik bemühe, stelle ich fest, dass sich 19% der Schweizer nicht an diese Regeln halten und als sogenannte potenzielle Fleischschmuggler auftreten. Jede in der Schweiz wohnhafte Person kauft hochgerechnet 2 Mal im Jahr Fleisch im Ausland, das heisst in den meisten Fällen in der EU. Das sind über 15 Millionen Ein-käufe im Ausland im Jahr, täglich also etwa 60’000. Man stelle sich einmal diese Zahl vor. Eine Umfrage des LINK-Institutes hat ergeben, dass bei 65% der Befragten der günstigere Preis den Ausschlag gegeben hat, wobei dieser Anteil beim konkreten Griff zum Portemonnaie wohl noch höher ausfallen dürfte.

Bei der gleichen Befragung kam heraus, dass 2010 jeder Schweizer 55 Mal beim Grossverteiler eingekauft hat, etwa einmal pro Woche. 14 Mal gingen Frau oder Herr Schweizer im vergangenen Jahr in ein Schweizer Fleischfachgeschäft, also etwas mehr als einmal im Monat. Ich erlaube mir eine kleine theoretische Rechnung: Ich rechne mit knapp 8 Millionen Einwohnern in der Schweiz x 14 Besuche und komme damit auf total über 110 Millionen Metzgereibesuche im Jahr. Auf den Bestand von rund 1’200 Verbandsmitgliedern per Ende 2010 bezogen, sind das etwa 93'000 Metzgereibesuche pro Betrieb und Jahr.

Jedes Fleischfachgeschäft hat statistisch gesehen täglich 370 Kunden im Laden

250 Tage sind die Geschäfte geöffnet, sodass rund 370 Kunden jeden Tag jedes Fleischfachgeschäft in der Schweiz aufsuchen. Das ist natürlich nur ein grober, theore-tischer Durchschnitt, bei welchem es innerhalb der Branche wohl grosse Abweichungen gibt. Solche Statistiken und Rechnereien sind mit Vorsicht zu geniessen, ich weiss, sie zeigen aber trotzdem gewisse repräsentative Anhaltspunkte und Tendenzen auf, vor denen man die Augen nicht verschliessen darf.

Ich komme zurück auf den kleinen und doch so bedeutsamen Grenzverkehr und den geschätzten Umsatz von 1 Milliarde Franken, welcher so über die Grenze wandert.

Was können wir dagegen tun?

Was können wir dagegen tun? Können wir überhaupt…? Mit einem Fangnetz an die Grenze stehen könnten wir schon, aber das würde wohl nicht viel bringen. Auch einen Zaun rund um die Schweiz zu bauen, wäre wohl nicht sehr zielführend, auch wenn das einige eifrige Landsfrauen und -männer am liebsten so sehen möchten. Wir atmen alle die gleiche Luft und damit müssen wir uns abfinden. Die Löcher sind allgegenwärtig und eigentlich haben wir Schweizer Löcher ja nicht ungern, wie dies am Beispiel Emmentaler ersichtlich ist. Ich erlaube mir an dieser Stelle eine Frage, auf welche im Moment wohl niemand eine schlüssige Antwort weiss oder geben möchte.

Ist der Schutz der Inlandproduktion mit Millionenbeträgen doch der richtige Weg?

Ist der eingeschlagene Weg der Beste, die Inlandproduktion möglichst weiträumig zu schützen? Heute schon werden vom Bund und Steuerzahler Millionen ausgegeben, um inländische Produkte mehr oder weniger konkurrenzfähig zu halten. Wie wir leider erleben müssen, doch eher mit mässigem Erfolg.

Denn was soll man dazu sagen, wenn in der gezeigten Studie sage und schreibe 11% der Befragten sogar die ausländische Qualität von Fleisch der schweizerischen vorziehen. Gleichen sich etwa viele Schweizer dem ausländischen Qualitätsanspruch an oder sind die Produkte draussen ganz einfach besser geworden? Sind gerade in diesem Zusammenhang die vom SFF mitgetragenen Qualitätsbestrebungen nicht umso wichtiger?

Wenn wir die Qualität – als eher theoretisches Empfinden – einmal auf der Seite lassen, so können wir den Aspekt Preis nicht ignorieren und vor uns herschieben. Denn eines lässt sich nicht wegdiskutieren; die Preise im Ausland sind markant günstiger und teil-weise auf einem derart tiefen Niveau, welches wir hier in der Schweiz aus eigener Kraft nie erreichen können. Und unter uns gesagt: Die da draussen essen im Fall auch nicht schlecht.

Wissen Sie, ich geniesse gern ein gutes Stück Fleisch. Ich bin in der komfortablen Lage, mir hie und da sogar ein Filet leisten zu können, gekauft in einem Schweizer Fleisch-fachgeschäft. Ich bin auch bereit, bis zu einem gewissen Punkt mehr dafür zu bezahlen, aber auch ich habe eine Schmerzgrenze. Ich bin vielleicht nicht gerade repräsentativ und wenn ich mir den Durchschnittskonsumenten anschaue, frage ich mich: Wo liegt in der Schweiz die Schmerzgrenze für höhere Preise beim Durchschnittskonsument? Gestützt auf vorliegende Statistiken muss ich davon ausgehen, dass die Grenze längst überschritten ist.

• Warum rennen so viele Konsumenten jeder Aktion nach, welche sich bietet?
• Warum konnten Aldi und Lidl den Schweizer Detailhandel so gewaltig neu aufmischen?
• Warum rennen so viele zusätzliche Leute über die Grenze, umso mehr, seit der Eurokurs im Keller ist?

Kann man es nur mit dem tiefen Euro erklären, dass der Einkauf von Fleisch im Ausland im letzten Jahr etwa um 30% auf sage und schreibe etwa eine geschätzte Milliarde Schweizer Franken gestiegen ist? Eine Milliarde Franken, tausend Millionen. Das sind über 27 Millionen Franken, welche täglich – nur für Fleisch und Fleischprodukte notabene – ennet der Grenze deponiert werden.

Wollen sie dass ich weiter rechne und Ihnen Zahlen an den Kopf werfe, die zu denken geben? Die Rechnerei ist allerdings eher symbolisch und behaften Sie mich nicht betreffend Zahlen.

Wie bereits erwähnt wurde betrug der Pro-Kopf-Verzehr von Fleisch In der Schweiz im Jahr 2010 etwa 53 Kilo pro Person, ohne Fische und Krustentiere. Ich rechne, wie oben, mit knapp 8 Millionen in der Schweiz lebenden Personen, welche insgesamt 400 Millionen Kilo Fleisch gegessen haben. Der Einfachheit halber rechne ich alles vollständig in Schweinefleisch um, was ja nicht der Realität entspricht. Ein Kilo Schweinefleisch kostet bei uns für den Konsumenten etwa 30 Franken pro Kilo. Das sind rund 12 Milliarden harte Schweizer Fränkli – symbolisch in Form von Schweinefleisch.

12 Milliarden Schweizer Franken in Form von Schweinefleisch!

Wenn wir die geschätzte Milliarde Auslandumsatz dem gegenüber stellen, sind das etwa 8% vom gesamten Umsatz, d.h. Detailhandel und Ausserhausverpflegung, den wir so ins Ausland verlieren. Rein rechnerisch wären das etwa 30 Kunden, welche zusätzlich täglich in jedem Schweizer Fleischfachgeschäft einkaufen.


Lidl in Österreich an der Schweizer Grenze

Wie gesagt, alles Theorie, aber trotzdem Zahlen, welche nachdenklich stimmen. So nun packe ich aber den Rechnungsschieber ein und lasse die kleinen Spielereien, denn niemand wird mir auch nur annähernd solche Zahlen bestätigen. Mein Bauch sagt mir allerdings, dass ich mit meiner Schätzung von 8% wahrscheinlich gar nicht so daneben liege.

Wir müssen uns nicht damit beschäftigen wie es ist, sondern wie wir damit umgehen!

Was will ich damit sagen?
Wir müssen uns nicht damit beschäftigen wie es ist, sondern wie wir damit umgehen! Wie sie wissen, setzt sich der Schweizer Fleisch-Fachverband für eine moderate Grenzöffnung ein. Das ist nicht lustig und schon gar nicht einfach. Wir verlangen dabei aber gleichzeitig gleich lange Spiesse, denn nur, wenn wir unsere Angebote konkurrenzfähig gestalten können, haben wir im globalen Markt eine Chance. Dazu gehören Rohstoffe bis hin zu Futtermitteln, welche in der Schweiz generell überteuert sind. Aber auch die vielen zusätzlichen Auflagen unserer Behörden machen uns dabei immer mehr zu schaffen.

Wir werden in Zukunft wohl weiterhin mit globalen Ereignissen rechnen müssen und weder AKW’s, Seuchen, Bin Laden und Gaddhafi, Flüchtlingsströme, usw. werden sich von unserem kleinen Mäuerchen rund um die Schweiz aufhalten lassen. Viele, ja die meisten Schweizer treten vermehrt in die globale Welt hinaus, um uns dort zu vergnügen oder unsere Bedürfnisse decken. Fleisch in Deutschland, Wein in Italien, Erholung am Mittelmeer, Autos in den USA, billige Arbeitskräfte im Osten, gescheite Köpfe in Indien, usw.

Wir sind Bestandteil einer globalen Welt, in welcher Grenzen immer und überall über-schritten werden. So sagt man ja nicht von ungefähr, dass die Schweiz als rohstoff-armes Land jeden zweiten Franken im Exportgeschäft verdient. Die Verknüpfungen sind weltweit gewaltig. So hat die Stadt New York kürzlich entschieden, die neuen Taxis, genannt Yellow Cab, bei Nissan zu kaufen.

Rund 26'000 Autos in den nächsten 10 Jahren, welche notabene in Mexiko produziert werden. Oder wenn wir dereinst mit der Bahn mit über 200 km/h durch den Gotthard-Basistunnel rasen, wissen wir, dass wohl nur sehr wenige Schweizer hier beim Bau ihr Geld verdient haben und sogar die Baufirma aus Österreich kommt. Das sind Tatsachen, denen wir nicht ausweichen können. Ich bin aber genauso überzeugt, dass sich eine engagierte Metzgerschaft durchsetzen kann.

Wir setzen uns durch!

Jeder für sich und alle gegen alle?
Das wären sicherlich schlechte Voraussetzungen. Stellen wir uns doch einmal vor, wie wir unsere eigenen Grenzen überschreiten können. Wie stellen wir das an? Seien wir uns bewusst, dass ein gemeinsames Vorgehen bessere Chancen hat als unzweckmässiger Individualismus. Kompromisse schliessen und Konsenslösungen zu finden war und ist für uns Schweizer ja nie ein wirklich grosses Problem.

Warum nicht alleine handeln wo es möglich ist und Kooperationen eingehen, wo es Sinn macht?

Alleine handeln, wo es möglich ist, Kooperationen eingehen, wo es Sinn macht und schlussendlich dort als grosse Gemeinschaft Stärke zeigen, wo es notwendig ist. Warum nicht das gut geführte, individuelle Fleischfachgeschäft im Dorf und eine gemeinsame Produktion gewisser Produkte in grossen Mengen mit einem Partner anstreben. Haben wir den Heiri oder den Sepp im Nachbardorf schon einmal gefragt? Haben wir schon einmal zusammen phantasiert was wäre und was möglich ist? Oder bestehen unsere Kontakte immer nur darin, gemeinsam über die sog. bösen Grossverteiler zu schimpfen?

Diese erste Grenze ist für viele nicht einfach zu erkennen und schon gar nicht, sie zu überschreiten. Es gibt aber schon genügend gute Beispiele von gelungenen Kooperationen. Unsere Metzger Treuhand zum Beispiel hat an den letzten Informationstagungen präsentiert, wie es möglich war, dass sich drei Firmen angenähert haben und einen zwar steinigen, aber erfolgreichen gemeinsamen Weg gegangen sind.

Zugegeben, es gehört schon ein bisschen Mut dazu, sich einzugestehen, dass der Sologang vielleicht doch nicht der richtige Weg ist. Wenn aber einmal diese erste Hürde der Selbsteinschätzung genommen worden und gelungen ist, ist ein wichtiger Schritt getan, der wachsenden Globalisierung und den offenen Grenzen nicht nur mit verschlossenen Augen zu begegnen, sondern aktiv darauf zuzugehen und innovativ, gemeinsam und engagiert zu handeln.

Doch gemeinsam in die gleiche Richtung?

Nun will ich keinesfalls lehrmeisterhaft daher kommen, sondern lediglich ein bisschen den Mahnfinger in die Höhe halten. Denn wenn ich die Augen offen halte und überall hinhöre, stelle ich fest, dass es keine Patentlösung gibt. Einschliessen können wir uns aber auch nicht, das ist einmal klar. Aber mit dem Schwert gegen offene Grenzen ankämpfen wäre aussichtslos, genau wie damals, als Don Quichotte gegen Windmühlen kämpfte.

Was ist zu tun?

Wie gesagt Patentrezepte gibt es nicht. Ich möchte meinen Vortrag und meine phantastische Reise in eine Freihandelswelt trotzdem mit einigen Wir-Schlagwörtern beenden:
• Wir produzieren gute Qualität, das ist unabdingbare Voraussetzung.
• Wir schätzen uns und unsere Situation richtig ein und sind selbstbewusst genug, Hilfe anzufordern und anzunehmen.
• Wir sind gut, aber die anderen sind es auch – dessen sind wir uns bewusst.
• Wir haben die Grösse, Grenzen zu erkennen und den Mut, diese zu überschreiten.
• Wir sind zuversichtlich und erkennen Probleme auch als Chancen, etwas zu verändern oder besser zu machen. (Referat von Ständerat Rolf Büttiker, Präsident des Schweizer Fleisch-Fachverbandes SFF, anlässlich des Verbandstages des SFF vom 22. Mai 2011 in Liestal).
__________________________________________

Die Redaktion empfiehlt:

Archiv der Nachrichten

Archiv der Varia-Beiträge

foodaktuell.ch-Newsletter

foodaktuell Journal (Print)

Delikatessen-Führer delikatessenschweiz.ch






Copyright Codex flores, Huobstr. 15, CH-8808 Pfäffikon (SZ)