Betrug im Biomarkt – das passt wie die
Faust aufs Auge. Würde man doch annehmen,
dass Bauern und Händler, die hohe
ethische Ansprüche an ihre Produkte stellen,
auch selber etwas anständiger sind als andere.
Jedenfalls: Betrug im Biomarkt gibts.
„Der Spiegel” widmete diesem Thema letzthin
eine 13-seitige Titelgeschichte mit den
gesammelten Missetaten aus der Biowelt:
Konventionelle Mastschweine, die auf dem
Weg zum Schlachthof zu Bioschweinen mutieren,
konventionelle Eier, die zu Bioeiern
wurden, Biogummibärchen mit konventioneller
Gelatine, gefälschte Zertifikate für Biobananen
oder Biokaffee von Produzenten
in Osttimor, die selber nicht einmal wissen,
dass sie angeblich biologisch produzieren.
„Bio-Hafer” und „Bio-Kräuter”
Auch in der Schweiz gab es in den letzten
Jahren zwei Betrugsfälle, die bekannt wurden:
Die Mühle Dambach in Villmergen
mischte ihrem Bio-Hafer konventionellen Hafer
bei. Und der Genfer Händler Pitschfruit
verkaufte konventionelle Küchenkräuter als
Bio-Kräuter an Coop weiter. Beide Fälle wurden
durch den „Kassensturz” aufgedeckt.
„Mit der starken Marktausweitung und der
Knappheit im Biomarkt kommt automatisch automatisch
der Biobetrug”, sagt Jochen Neuendorff,
Mitarbeiter bei der deutschen Gesellschaft
für Ressourcenschutz (GfRS), einer
Kontrollorganisation für ökologische Landwirtschaft.
Biobetrug sei ein wichtiges Thema,
dass man europaweit angehen müsse.
Den „Spiegel”-Artikel hält er zwar für „polemisch,
er greift eindeutig zu kurz”, in der
Fachpresse sei bisher bloss über fünf Betrugsfälle
berichtet worden. Dennoch dürfe
man das Thema nicht unter den Tisch wischen.
Der Betrug kommt mit dem Boom. Und mit
der Angebotsknappheit: Seit die deutschen
DiscounterAldi und Lidl im grossen Stil Bioprodukte
einkaufen, werden grosse Mengen
Bioprodukte nachgefragt, die die bisher
kleinstrukturierte Branche nur mit
Mühe oder gar nicht liefern kann. Da ist die
Verlockung gross, konventionelle Produkte
kurzerhand umzudeklarieren und damit
gutes Geld zu verdienen.
Beate Huber, Expertin für internationale
Zertifizierung und Ökogesetzgebung beim
Forschungsinstitut für biologischen Landbau
(FIBL) in Frick AG, hält die Zustände in
Deutschland für weit weniger dramatisch
als in der Presse dargestellt. „Der ,Spiegel‘
hat seit Frühling mit mehreren Reportern
recherchiert und offenbar nicht ganz gefunden,
was er wollte. Angesichts dessen,
wie viel Bioware in Deutschland produziert
wird, ist die Effizienz der Kontrollen erstaunlich
hoch.”
Problemfall Italien
Bedenklicher als in Deutschland sind die
Verhältnisse in anderen Ländern. „Tendenziell
gibt es Probleme in Italien und, für
Produkte aus Übersee, in China”, sagt Neuendorff.
Untersuchungen in Baden-Württemberg
zeigten in diesem Sommer tatsächlich,
dass bei vier von zehn untersuchten
Karotten aus Italien zu Unrecht Bio drauf
stand. Im Schnitt waren 12,7 Prozent der Biowaren mit verbotenen Rückständen belastet.
Die gefundenen Pestizid-Rückstandsmengen
waren teilweise so gross,
dass vermutet werden musste, konventionelle
Früchte und Gemüse seien vom Handel
umdeklariert worden.
Die Biobranche nimmt den Betrug ernst.
Das zeigt die Tatsache, dass Anfang Oktober
in Frick eine Tagung zum Thema stattfand.
60 Experten aus zehn EU-Ländern,
aus den USA und China diskutierten darüber,
wie Betrug künftig frühzeitig erkannt
und verhindert werden kann. Denn: „Bio
lebt stark von der Glaubwürdigkeit und ist
dadurch verletzlich“, sagt Bio Suisse-Sprecherin
Jacqueline Forster. „Das Label insgesamt
und jeder einzelne Produzent hat einen
Ruf zu verlieren.”
Vorteile des kleinen Marktes
Auch in der Schweiz boomt der Biomarkt,
mit Wachstumsraten doppelt so hoch wie
im konventionellen Lebensmittelmarkt. Heisst das, dass auch in der
Schweiz die Gefahr von Betrügereien ansteigt?
„Dafür gibt es keine Anzeichen”,
sagt Beate Huber, „Das Risiko ist in der
Schweiz geringer, es gibt ein gutes Kontrollsystem
und weniger anonyme Handelsstrukturen
als in Deutschland.” Wichtig sei,
dass sich die Grossverteiler selber ein gutes
Qualitätssystem aufgebaut hätten und sich
bei den Kontrollen engagierten.
„Das Bio-Wachstum in der Schweiz ist
nicht so stark wie in Deutschland”, sagt
Jacqueline Forster. Entsprechend gebe es
auch keinen Umstellungsboom bei den
Bauern. Und schliesslich: Der Schweizer Biomarkt
ist überschaubar. Auch wenn derzeit
Bioeier derzeit knapp sind – es sei
„kaum denkbar, dass die Eier eines konventionellen
Produzenten plötzlich zu Bioeiern
werden” – so wie es in Deutschland
passierte. Der Bioeiermarkt sei sehr gut organisiert,
mit nur wenigen Händlern.
Der kleine Schweizer Markt: Für viele Verarbeiter
ist er wegen fehlender Absatzmöglichkeiten
ein Problem. Für die Rückverfolgbarkeit
und Sicherheit der Lebensmittel ist
er ein Segen. Nicht nur bei Biolebensmitteln,
sondern auch bei konventionellen.
Beschwerdestelle gefordert
Auf europäischer Ebene hingegen muss
gehandelt werden, darüber sind sich die
Fachleute einig. Das habe auch die Tagung
in Frick gezeigt, meint Bio-Betrugsexpertin
Huber: Der Informationsfluss zwischen den
verschiedenen Ländern und zwischen Behörden,
Händlern und Kontrollstellen müsse
besser werden. „Im Bio-Markt muss jeder
seinen Beitrag leisten, damit Betrug
verhindert werden kann”, sagt sie.
Die
Händler müssten beispielsweise konsequent
Unregelmässigkeiten und Rückstände
bei Bioprodukten melden, die Behörden
müssten Verdachtsmomente zügig verfolgen
und die Ergebnisse auch den Branchen
mitteilen, damit gegenseitiges Vertrauen
herrsche. Und: „Es muss eine EU-Beschwerdestelle
geben.”
Neue Biobauern gesucht
Der Bio-Markt boomt, die Umsätze
sind im ersten Halbjahr 2007 um 4,7 Prozent
angestiegen, mehr als doppelt so
stark als der konventionelle Lebensmittelmarkt
mit 2,1 Prozent. Noch deutlicher ist
der Unterschied laut den Zahlen des
Marktforschungsinstituts IHA-gfk bei den
Frischprodukten: Bei Milchprodukten, Eiern,
Früchten, Gemüsen und Fleisch wuchs
der Bio-Markt um sechs Prozent, der konventionelle
um 1,7 Prozent. Die Bio Suisse
führt den Boom darauf zurück, dass die
Konsumenten wieder vermehrt auf Qualität
setzen.
Vereinzelt kommt es gar zu Lieferengpässen:
Bio-Eier etwa sind laut Bio Suisse
Mangelware geworden. Ferner gibt es
nach wie vor zu wenig Bio-Getreide. Aber
auch bei Früchten, Gemüsen, Beeren,
Kräutern, Öl und Kartoffeln liesse sich
mehr verkaufen. Bio Suisse sucht deshalb
einige hundert neue Produzenten. Heute
gibt es in der Schweiz rund 6‘000 Biobauern
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Text: LID, Roland Wyss-Aerni. Bild (kein Betrugsfall): foodaktuell
(gb)
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