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11.9.2008: nachrichten
11.9.2008
Fleischbranche gegen Bauern beim Freihandel

Der Bauernverband will «schrittweise Öffnung der Grenzen für Lebensmittel gegenüber der EU. Der Schweizer Fleisch-Fachverbandes findet diesen Vorschlag untauglich.




Verarbeitungsprodukte wie Fleischspezialitäten können im internationalen Wettbewerb bestehen, wenn sie mit konkurrenzfähigen Rohmaterialien hergestellt werden – siehe das Beispiel Bündnerfleisch.


Medienmitteilung des Schweizerischen Bauernverbands vom 11. September 2008: Statt eines umfassenden Agrarfreihandelsabkommens schlägt der Schweizerische Bauernverband (SBV) die Weiterentwicklung der bilateralen Verträge mit der EU vor, so wie dies die Evolutivklausel vorsieht. In einem ersten Schritt gilt es, die bestehenden nicht tarifären Handelshemmnisse abzubauen und so das vorhandene Potential zu nutzen. Dieser Weg belastet die Staatskasse weniger und das Risiko ist kleiner, dass andere Sektoren miteinbezogen werden.

Die Doha-Runde der WTO ist auf Eis gelegt. Die weltweite Verknappung der Lebensmittel hat der Diskussion rund um die Ernährungssouveränität neuen Schub verliehen. Dennoch wird der Bundesrat in den nächsten Tagen oder Wochen die Verhandlungen für ein Agrarfreihandelsabkommen im Agrar- und Ernährungsbereich mit der EU aufnehmen. Der SBV lehnt dieses ab, weil die wirtschaftlichen Einbussen für die Schweizer Bauernfamilien nicht verkraftbar wären. Sie würden rund 50 Prozent ihres heute bereits tiefen Einkommens verlieren. Insbesondere Pflanzenbauprodukte und Produkte ohne starke Verarbeitung hätten im europäischen Markt keine Chance.

Ein Agrarfreihandelsabkommen würde über viele Jahre hohe finanzielle Mittel für Begleitmassnahmen zur Abfederung bedingen. Zudem besteht das Risiko, dass die Schweiz ihre Agrar- und Direktzahlungspolitik jener der EU anpassen muss. Strengere Regelungen in Bezug auf Ökologie und Tierschutz und damit die Selbstbestimmung über unsere Lebensmittelversorgung wären nicht mehr tragbar.

Die EU ist ohne Zweifel der wichtigste Handelspartner für die Schweiz, gesamt- wie agrarwirtschaftlich. 75 Prozent der Agrarimporte stammen aus dem EU-Raum, rund 70 Prozent unserer Exporte gehen in die Länder der EU. Deshalb hat die Schweiz seit 1972 bereits mehrere bilaterale Verträge mit dem grossen Nachbarn abgeschlossen. Die Bilateralen I führten zu Zollabbau, verschiedenen Nullzollkontingenten (z.B. Obst, Gemüse, Trockenfleisch) sowie der schrittweisen vollständigen Öffnung des Käsemarkts. Die Bilateralen II umfassten die Marktöffnung für verarbeitete Landwirtschaftsprodukte wie Schokolade, Biskuit oder andere Backwaren. Bereits heute könnten also verschiedenste Produkte zollfrei in die EU ausgeführt werden – und umgekehrt natürlich. Die Realität zeigt aber, dass verschiedene nicht tarifäre Handelshemmnisse den Export stark bremsen oder gar verunmöglichen.

Der Schweizerische Bauernverband schlägt vor, den Zugang zum europäischen Lebensmittelmarkt über die im Artikel 13 der Bilateralen I festgehaltenen Evolutivklausel weiter zu entwickeln. In einem ersten Schritt sollen die zahlreich vorhandenen nicht tarifären Handelshemmnisse abgebaut und damit die bestehenden Exportpotentiale ausgeschöpft werden. In einem zweiten Schritt kann eine weitere sektorielle Marktöffnung für Produkte mit Exportpotential wie Bio- oder Fleischwaren ins Auge gefasst werden.

Dieses Vorgehen bietet verschiedene Vorteile: Es bedarf deutlich weniger zusätzlicher Finanzmittel der öffentlichen Hand als ein umfassendes Agrarfreihandelsabkomme und birgt nicht die Gefahr, dass plötzlich andere Wirtschaftssektoren oder politische Themen einbezogen werden. Zudem ermöglicht es der Schweiz eine eigenständige Agrarpolitik weiterzuführen. Gleichzeitig würde die Grenze für Lebensmittel schrittweise und gezielt weiter geöffnet und damit die Entwicklung der Landwirtschaft und ihre Exporttätigkeit gefördert. Dies wäre ein Weg, den die Schweizer Landwirtschaft aktiv mittragen könnte. (Medienmitteilung SBV)

Irrweg zum europäischen Markt gemäss SFF

Medienmitteilung Schweizer Fleisch-Fachverband SFF: Die Schweizer Fleischwirtschaft hält den vom Bauernverband vorgeschlagenen "Weg auf den europäischen Markt" nicht für gangbar. Die propagierte "sektorielle Marktöffnung" würde Primärproduktion und Verarbeiter von Agrarprodukten in den Ruin treiben.

Der Schweizer Fleisch-Fachverband SFF setzt sich für ein umfassendes Freihandelsabkommen im Agrar- und Lebensmittelbereich ein. Verarbeitungserzeugnisse, beispielsweise Fleischspezialitäten, können unter der Voraussetzung im internationalen Wettbewerb bestehen, dass sie mit konkurrenzfähigen Rohmaterialien hergestellt werden. Ebenso sind die bäuerlichen Schlachtviehproduzenten darauf angewiesen, ihre eigenen Vorleistungen, insbesondere Futtermittel, zu Konditionen zu beschaffen, die mit denjenigen im benachbarten Ausland vergleichbar sind. Dies bedingt unter anderem den Einbezug des Ackerbaus in ein Abkommen mit der EU.

Dieselben Zusammenhänge ergeben sich auch in der Wertschöpfungskette der anderen Produktegruppen. Eine sektorielle Marktöffnung schafft neue Verzerrungen und setzt falsche Signale auf dem Markt. Negativ betroffen wären vor allem die Verarbeiter landwirtschaftlicher Erzeugnisse, mit der Folge, dass sie als Käufer von Primärprodukten geschwächt würden. Weil damit die Absatzmöglichkeiten der Landwirtschaft massiv beeinträchtigt sind, erweist sich die Politik des SBV als eigentlicher Bumerang, der letztlich die Bauern selber trifft.

Das Konzept des Bauernverbandes strebt eine "schrittweise Öffnung der Grenzen für Lebensmittel gegenüber unserem wichtigsten Handelspartner" an. Als Schritt, der zunächst zu realisieren sei, wird der Abbau der technischen Handelshemmnisse bezeichnet. Mit der gegenseitigen Anerkennung des Lebensmittelrechts und der Abschaffung der Grenzkontrollen sind allerdings diese Voraussetzungen für den umfassenden freien Handel bereits heute oder in nächster Zukunft erfüllt.

Ein umfassendes Freihandelsabkommen ist deshalb die logische Konsequenz des auch vom SBV unterstützten "bilateralen Weges". Er erlaubt, eine eigenständige schweizerische Agrarpolitik fortzusetzen und bietet die Chance, auf den europäischen Märkten Fuss zu fassen. Dies allerdings nur unter der Voraussetzung, dass auf eine punktuelle Marktöffnung, die der SFF konsequent bekämpft, verzichtet wird. (Medienmitteilung SFF)

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