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26.7.2010: nachrichten
26.7.2010
Swissness: Deal zwischen Industrie und Bauern?

Die fial fordert die alternative Anwendbarkeit eines Wert- oder Gewichtskriteriums von je 60% und prüft einen Deal mit dem Bauernverband: je nach Verarbeitungsgrad 60% bzw 80%.


Bei stark verarbeiteten Produkten wie Biscuits und Zuckerwaren ist die Rohstoffherkunft kein zentrales Swissness-Kriterium mehr sondern das Schweizer Knowhow steht im Vordergrund. Die Swissness-Auslobung soll für solche Produkte gemäss fial bei mind. 60% Wertschöpfung in der Schweiz möglich sein.

Seit dem 25. März 2010, als die Anhörungen in der Rechtskommission des Nationalrates (RK NR) stattfanden, hat sich auf parlamentarischer Ebene wenig bewegt. Die RK NR hat das Geschäft von Ende April auf anfangs September verschoben. Die Kommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrates (WAK NR) diskutiert dieser Tage über einen Mitbericht zuhanden der RK NR.

Auf parlamentarischer Ebene hat sich seit dem 25. März 2010, als die RK NR Anhörungen durchführte, quasi nichts getan. Die Swissnessvorlage figurierte ursprünglich für den 30. April 2010 auf der Traktandenliste der RK NR, wurde dann aber mit Blick auf dringendere und wichtigere Geschäfte gestrichen. Neu ist sie für die Sitzung vom 2. September 2010 traktandiert. An dieser Sitzung wird die RK NR über die Frage "Eintreten ja oder nein?" entscheiden.

Falls eingetreten wird, was mit Blick auf die Zielsetzung der Vorlage (Verbesserung des Schutzes der Marke "Schweiz") zu hoffen ist, wird es darum gehen, ob die RK NR die Vorlage en Détail berät oder ob sie sie mit gewissen Abänderungswünschen an den Bundesrat zurückweist oder deren Umsetzung einer einzusetzenden Subkommission überträgt.

Kompromiss mit der Landwirtschaft?

Die fial fordert für Nahrungsmittel die alternative Anwendbarkeit eines Wert- oder Gewichtskriteriums von je 60 Prozent. Sie prüft derzeit im Dialog mit dem Schweizerischen Bauernverband, ob für wenig verarbeitete Erzeugnisse wie Milchprodukte, Fleisch, Mehl usw. eine Lösung gefunden werden kann, die sich am 80-Prozent-Kriterium des Bundesrates orientiert. Im Gegenzug würde von den Bauern die Bereitschaft verlangt, für stärker verarbeitete Produkte wie Biscuits, Suppen usw. auf eine Lösung einzuschwenken, die sich an 60 Prozent, sei es für das Gewicht oder den Wert, orientiert.

Die entsprechenden Gespräche wurden unlängst unter der Aegide von Ständerat Rolf Schweiger mit der Spitze des Schweizerischen Bauernverbandes geführt. Die fial-Delegation hat dabei vorgeschlagen, für die Abgrenzung zwischen wenig verarbeiteten und stärker verarbeiteten Produkten auf dem Zolltarif zu basieren. Die Vertreter des Bauernverbandes prüfen derzeit, ob dieser Vorschlag für sie annehmbar ist.

50 Prozent als neue Regel?

economiesuisse hat die Befindlichkeit verschiedenster Akteure ausgelotet und schlägt vor, anstelle von 60 Prozent auf 50 Prozent Wert zu basieren. Mit diesem Ansatz würden Inkompatibilitäten zwischen Herkunfts- und zollrechtlichem Ursprungsrecht eliminiert und Bedenken verschiedener Handelskammern berücksichtigt. Auch der offen ausgebrochene Interessenskonflikt zwischen der Fédération horlogère (FH) und einer kleinen Gruppe nicht bei FH organisierter Firmen der Uhrenindustrie liesse sich damit lösen. Schwenkt das Parlament auf 50 Prozent ein, wird dies der Position der Schweizer Nahrungsmittel-Industrie in dieser Diskussion auch nicht schaden. economiesuisse unterstützt die Positionen der fial und verwahrt sich dagegen, dass die Swissnessvorlage für die Abschottung der Märkte instrumentalisiert wird.

Sobald klar ist, ob sich mit dem Bauernverband ein Kompromiss ergibt, können die konkreten Anträge erarbeitet und mit den der fial nahestehenden und sich für eine gesamtwirtschaftlich sinnvolle Swissnessvorlage einsetzenden Mitgliedern der RK NR diskutiert werden. In Abhängigkeit der sich ergebenden Ausgangslage kann auch ein Dialog mit mitgliederbasierten Konsumentenorganisationen angeregt werden.

Was erwarten Konsumenten von Schweizer Produkten?

In der Botschaft des Bundesrates zur Änderung des Markenschutzgesetzes und zu einem neuen Bundesgesetz über den Schutz des Schweizer Wappens und anderer öffentlicher Zeichen (Swissnessvorlage) vom 18. November 2009 wird ausgeführt, repräsentative Erhebungen, die im Auftrag des Bundesamtes für Landwirtschaft (BLW) in den Jahren 2003 und 2007 durchgeführt wurden, hätten ergeben, dass eine Mehrheit der Befragten erwarte, dass ein Produkt, das ein Schweizer Herkunftszeichen trage, zu 100 % aus der Schweiz stammen müsse.

Ferner verweist die Botschaft des Bundesrates (vgl. BBL 2009, S. 8591) auf eine in 66 Ländern durchgeführte Studie der Universität St. Gallen aus dem Jahr 2008. Diese basiert auf etwas über 8'000 Personen, worunter lediglich 468 aus der Schweiz stammen. Zur Frage, wann ein Produkt noch als Schweizer Produkt bezeichnet werden darf, haben die Schweizer Teilnehmer an der Umfrage folgende durchschnittliche Erwartung geäussert: Rohstoffe müssten zu 46 % aus der Schweiz stammen, das Produkt je zu 71 % in der Schweiz entwickelt und in der Schweiz hergestellt worden sein.

Nachdem die Botschaft des Bundesrates zur Swissnessvorlage auf keinen repräsentativen Studien zur Beurteilung der Herkunftserwartungen an Lebensmitteln beruht (diejenigen des BLW beziehen sich auf Honig, Eier, Gemüse, Schnittblumen, Käse und Fleisch; die Studie der Universität St. Gallen auf ein Ergebnis, das nur zu rund 5 % auf Schweizer Konsumenten zurückzuführen und erst noch nicht korrekt zitiert ist), hat die Foederation der Schweizerischen Nahrungsmittel-Industrien durch Isopublic, Institut für Markt- und Meinungsforschung, in der Zeit vom 24. Februar bis zum 16. März 2010 eine Studie durchführen lassen, die auf 1'121 Face-to-Face-Interviews basiert.

Befragt wurden Konsumenten im Alter von 15 bis 74 Jahren der deutsch-, französisch- und italienischsprachigen Schweiz. Die Standardabweichung beträgt maximal 2,99 %. Die Auswertung dieser Studie ist auf der Website der fial (www.fial.ch) aufgeschaltet.

Die Konsumentenerwartungen im Einzelnen

Die im Auftrag der fial realisierte Studie über die Konsumentenerwartungen an Schweizer Produkte hat folgendes ergeben:

• Wenn es um den Kauf eines Produktes geht, ist es für 75 % der Konsumenten wichtig, dass es sich um ein Schweizer Produkt handelt.

• Bei Produkten, welche die "Marke Schweiz" tragen, ist es 75 % der Konsumenten wichtig, dass sie vollständig in der Schweiz hergestellt worden sind.

• 86 % der Konsumenten sind der Auffassung, dass Lebensmittel, die vollständig in der Schweiz hergestellt wurden, besonderen Ansprüchen an Qualität, Konstanz und Sicherheit gerecht werden.

• Auf die Frage, ob der Herstellungsort eines Produktes oder die Herkunft des Rohstoffes wichtiger ist, antworten 54 % der Konsumenten, dass der Herstellungsort wichtiger ist. 40 % erachten die Herkunft der Rohstoffe als wichtiger.

• Auf die Frage, ob ein in der Schweiz gebackenes Biscuit, das aus ausländischem Weizen, der in der Schweiz zu Mehl vermahlen wurde, hergestellt ist, ein Schweizer Biscuit ist oder nicht, sind 60 % der Konsumenten der Auffassung, es sei ein Schweizer Biscuit. Für 35 % ist es kein Schweizer Biscuit.

• Auf die Frage, ob die Schweiz auf grosse Nahrungsmittelhersteller vollumfänglich verzichten kann, wenn diese aufgrund von besseren Rohstoffbeschaffungsbedingungen ins Ausland abwandern, sind 66 % der Meinung, man könne nicht auf die grossen Nahrungsmittelhersteller verzichten. 29 % denken, man könne auf die grossen Hersteller verzichten.

• Die nachstehenden Produkte wurden bei der Frage, ob es Schweizer Produkte oder keine Schweizer Produkte sind, mit folgenden Resultaten als Schweizer Produkte beurteilt:
Ricola-Bonbon 92 %
Basler Läckerli 89 %
Ovomaltine 80 %
Willisauer Ringli 76 %
Thomy Senf 67 %
Knorr Suppe 57 %

Fazit: Rohstoff-Herkunft überbewertet

Aufgrund dieser aktuellen Studie über die Herkunftserwartung der Konsumenten an Schweizer Produkte wird das Konzept der Swissnessvorlage, das die Herkunftserwartung an Rohstoffe zur Freude verschiedener Konsumentenorganisationen und vor allem der Landwirtschaft krass überbewertet, den effektiven Erwartungen der Konsumenten an Schweizer Produkte nicht gerecht. (Mitteilung fial)

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