Food aktuell
14.12.2011: nachrichten
14.12.2011
Kassensturz kritisiert Import-Trutenfleisch

Gestern im «Kassensturz»: schlimme Zustände in deutschen Ställen. Der Schweizer Tierschutz kritisiert, Grossverteiler und Gastronomie würden das Tierleid im Ausland fördern.



In der Schweiz haben es die Truthähne verhältnismässig gut (Bild: Schweizer Freiland-Truten). Die meisten Mastbetriebe halten sich an strenge Richtlinien, die Tiere können auf die Weide. Im Stall haben sie Tageslicht und erhöhte Sitzflächen, damit sie sich zurückziehen können.


Gestern in der Kassensturz-Sendung: Deutschland ist der wichtigste Trutenfleisch-Lieferant für die Schweiz. Und nur zehn Prozent des Trutenfleisches, welches Schweizer konsumieren, stammen aus der Schweiz. Wichtigster Trutenproduzent für Schweizer Kunden ist Deutschland. Dort sind die Bestimmungen für die Trutenmast weit weniger streng. Die Tierhaltung ist um einiges schlechter als hierzulande.

«Kassensturz» wollte verschiedene deutsche Farmen besuchen und versuchte herauszufinden, unter welchen Bedingungen die Tiere dort leben. Mäster, grosse Geflügelunternehmen, der Verband: Niemand hatte im Vorfeld geholfen, Filmaufnahmen in einem Trutenmastbetrieb zu realisieren. Dies, obwohl pro Jahr in Deutschland 30 Millionen Tonnen Truten gemästet werden.

Deshalb begab sich das Filmteam nach Niedersachsen. In dieser Region werden die meisten Truten gemästet. Doch viele der Trutenmastanlagen sind verriegelt. «Kassensturz» ist nicht willkommen. Der deutsche Tierfilmer Jan Peifer machte in diversen Mastbetrieben verdeckte Filmaufnahmen. Er erzählt: «Die Truten in deutschen Mastanlagen leiden. In der Endmast können sie sich kaum mehr bewegen. Sie stehen auf ihrem eigenen Kot und können nicht auf die Weide.» Dies sei alles andere als artgerecht.

Hochgemästet bis zum Umfallen

Auch die Tierschutzorganisation Peta hat die Zustände in deutschen Trutenställen dokumentiert. Zu sehen sind Enge, Dreck und kranke Tiere, die sich selber überlassen werden. Viele können ihr hochgemästetes Gewicht nicht mehr tragen und liegen am Boden, im eigenen Kot.

Auffallend: Bei vielen Truten wurden die Schnäbel abgeschnitten. Hermann Focke – ehemals Veterinäramtsleiter in Niedersachsen – erzählt, dass praktisch alle Truten lasercoupierte Schnäbel hätten; und das, obschon dieses Verfahren in Deutschland verboten ist. Die Mäster erhalten eine Ausnahmegenehmigung.

Die Truten haben coupierte Schnäbel, damit sie in der Enge nicht aufeinander herumhacken. Die Auswirkungen sind brutal, wie Hermann Focke erklärt: «Man trennt gleich nach dem Schlupf einen Teil des Oberschnabels ab, und zwar dort, wo mehrere Nervenbahnen zusammenlaufen. Das Küken empfindet einen starken Schmerz.» Und der Schmerz bleibe.

In mehreren Höfen dokumentiert Tierfilmer Jan Peifer wie die hochgemästeten Truten ihr Gewicht nicht mehr halten können und am Boden liegen. Dazu sagt der Veterinär Hermann Focke: «Das ist eines der Hauptprobleme, die Tiere haben ein jugendliches Skelett und das Gewicht eines Sumoringers.» Weil die Tiere mit der Brust in der Einstreu liegen, bekämen sie Brustblasen.

In Niedersachsen sind grosse Geflügelunternehmer wie Wiesenhof tätig. Doch wegen des Pouletskandals im September verkaufen Coop, Migros und Denner zurzeit kein Fleisch mehr dieses Herstellers. Ein anderer Geflügelriese ist Heidemark, wichtiger Lieferant für die Schweiz. Auch hier gemäss Peifer: Die Truten haben Brustblasen, kranke Tiere liegen am Boden. Schriftlich bestreitet Heidemark die Vorwürfe und weist darauf hin, dass sie in ihren Ställen auch Wintergärten hätten und eine Ausnahmebewilligung für das Kürzen der Schnäbel. Ihre Tiere würden nicht mit der Brust im feuchten und dreckigen Einstreu liegen.

Dazu der Deutsche Geflügelzuchtverband: Weil es in der EU zur Trutenmast keine Vorschriften gibt, gelten in Deutschland seit 1999 «Bundeseinheitliche Eckwerte». Sie haben den Tierschutz laufend verbessert. Zu den toten Tieren in den Aufnahmen sagt der Verband, es sei normal, dass ein Teil der Puten während der Mast sterbe, die Rate sei jedoch am Sinken. Zum Coupieren der Schnäbel: Das sei ein kurzer Eingriff und nicht schmerzhaft bis ans Ende des Lebens.

Hansueli Huber, Geschäftsführer des Schweizer Tierschutzes, ärgert sich, das solches Fleisch hierzulande eingekauft wird: «Ich finde es einen Skandal, dass Schweizer Wirte, Grossverteiler und Metzger Fleisch aus solchen Tierfabriken importieren. Sie machen das natürlich, weil die Marge beim Importfleisch viel höher ist. Aber damit fördern sie Tierleid und Tierquälerei im Ausland.»

Das sagen die grössten Schweizer Importeure dazu:

Coop: Bezieht nur ausländisches Trutenfleisch. Das Unternehmen schreibt, man kontrolliere, dass sich die Lieferanten an die Gesetze des Produktionslandes halten würden.

Migros: Hat ein Viertel Schweizer Trutenfleisch im Sortiment, der grösste Teil stammt aus Deutschland. Migros verurteilt den geschilderten Umgang mit den Tieren, fügt jedoch hinzu, er basiere auf den deutschen Tierschutzvorschriften. Das Unternehmen möchte die Bedingungen für die Tiere aber verbessern.

Aldi: Bezieht Trutenfleisch aus Deutschland. Aldi schreibt, die Massenhaltung von Tieren bedeute in jedem Land gewisse Kompromisse.

Denner: Bezieht Trutenfleisch aus Deutschland. Der Grossverteiler schreibt, ihre Lieferanten würden die gesetzlichen Bestimmungen einhalten.

Lidl: Hier findet «Kassensturz» vor allem Produkte von Heidemark. Lidl schreibt, man wolle künftig mehr Trutenfleisch aus der Schweiz anbieten.

Cash and Carry Prodega: Wichtigster Trutenlieferant ist Deutschland. Das Unternehmen distanziert sich von dieser Art der Tierbehandlung und findet sie unakzeptabel.

Spar: Die grosse Ausnahme. 95 Prozent des Trutenfleisches stammen von der Schweizer Firma Frifag.

Text: Auszug aus dem Kassensturz-Bericht vom 13.12.2011. Siehe: www.kassensturz.sf.tv

Copyright www.foodaktuell.ch