Food aktuell
28.8.2013: nachrichten
28.8.2013
Kalbfleischfarbe: Kassensturz kritisiert Metzger

Ab nächster Woche müssen Kälber tiergerecht gefüttert werden. Die Folge: Kalbfleisch wird in Zukunft eine rötlichere Farbe aufweisen.




Ab dem 1. September müssen Kälber mit Heu und Gras gefüttert werden. Dies schreibt die neue Tierschutzverordnung vor. Damit wird das Kalbfleisch rosa bis rötlich.


Für Sie gelesen im Kassensturz-online: Die Fleischbranche war zum Handeln gezwungen. Am 1.September tritt die neue Tierschutzverordnung in Kraft. Bauern müssen ihre Tiere neu mit genügend Eisen füttern. Das heisst: Kalbfleisch bekommt dadurch eine dunklere Farbe, es wird rosa bis rötlich. Ausgerechnet für artgerechtes, dunkles Fleisch bestraften die Metzger die Bauern aber bisher mit sogenannten Farbabzügen für rotes Fleisch. Nun verkündete die Branchenorganisation Proviande eine Einigung im Streit um die Kalbfleischfarbe.

Künftig verwenden die Schlachthöfe demnach ein Farbmessgerät, um die Fleischfarbe zu bestimmen. Ein grosser Fortschritt. Bisher bestimmten Mitarbeiter im Schlachthof die Fleischfarbe von Auge. Die elektronische Messung schafft Transparenz - einen objektiven Farbwert für jedes Kalb. Ein tiefer Wert bedeutet rot, ein hoher Wert bedeutet Weiss.

Bauern erhalten neu Abzüge auch für weisses Fleisch, das eindeutig nicht tiergerecht gefüttert wurde. Bisher fütterten viele Mäster ihre Kälber nur mit Milch und Stroh, damit die Tiere weisses Fleisch erhalten. Dafür bekamen sie am meisten Geld. Weiss wurden die Kälber aber nur, weil sie zu wenig Eisen im Futter hatten. Die Kälber waren mangelernährt und litten häufig an schmerzhaften Magengeschwüren. Das ist nun verboten und wird neu auch bestraft.

Auch für rotes Fleisch gibt es nach wie vor Farbabzüge. Für weiss, rosa und Rot gibt es neu objektive Grenzwerte. «Wir wollen einen Unterschied zwischen Kalbfleisch und Rindfleisch», sagt dazu Peter Christen von Proviande. Doch wann ist Kalbfleisch zu Rot? Proviande sagt, die Branche habe sich auf einen Farbwert von 39 geeinigt. Doch dieser Grenzwert ist höchst umstritten. Das zeigen «Kassensturz»-Recherchen bei den Fleischverarbeitern.

Coop und Migros machen mit

Hinter den Grenzwert 39 stellen sich zwar die grössten Fleischverarbeiter: Coop und deren Tochter Bell sowie Migros und deren Tochter Micarna. Dazu kommt die Firma FF Frischfleisch aus Sursee. Doch mehrere Betriebe zögern: Der drittgrösste Fleischverarbeiter, die Fenaco-Tochter Ernst Sutter, wartet wie mehrere andere Firmen ab, was ihr Dachverband SFF empfiehlt. Andere Firmen wiederum stellen sich offen gegen die Branchenlösung.

Dazu gehört die Firma Lucarna-Macana mit ihrem Schlachthof im zürcherischen Hinwil. Heiner Birrer ist Miteigentümer des Schlachthofs und Verwaltungsrat von Proviande. Trotzdem stellt er sich gegen die eigene Branchenorganisation: «Wir wollen helleres Kalbfleisch als Proviande, damit es sich farblich und geschmacklich vom Rindfleisch unterscheidet.» Es gebe Rindfleisch, das relativ hell sei und sich farblich nicht von Kalbfleisch unterscheide.

«Wenn ich das jemandem verkaufen will, sagt er, das ist Rindfleisch, ich zahle dir 30 - 40% weniger dafür», so Heiner Birrer. Ihm geht es ums Geschäft. Konsumenten würden das dunkle Kalbfleisch in der Theke liegen lassen. Heiner Birrer will helleres Fleisch: Heller, das bedeutet einen höheren Grenzwert für rotes Fleisch: 42. Und nicht 39, wie Proviande vorschlägt. Ein kleiner Unterschied mit gravierenden Folgen - für das Tierwohl. Dieser Wert sei für die Tiergesundheit nicht tragbar, sagt die Tierärztin Corinne Bähler. «Die meisten von diesen Tieren leiden an einem Eisenmangel.»

Bauern konnten sich 5 Jahre vorbereiten

Corinne Bähler hat letztes Jahr die Fleischfarbe von 500 tiergerecht gefütterten Kälbern untersucht. Zwei Drittel der Kälber lagen über dem Wert 42. Für Heiner Birrer aber wären alle diese Tiere zu Rot. Der Wert 42 wäre zudem eine finanzielle Katastrophe für Bauern, die artgerecht füttern, sagt Jörg Oberle.

Oberle ist Präsident der IG Kalbfleisch. Seit fünf Jahren wissen die Bauern, dass das Gesetz ändert und dass sie die Fütterung umstellen müssen. Oberle hat deshalb die Fütterung umgestellt. Neben Stroh und Milch fressen seine Kälber nun neu ein eisenhaltiges Raufutter und haben immer Wasser zur freien Verfügung «Man stellt alles zur freien Verfügung, damit die Kälber wählen können. Das wäre das Optimum», sagt Oberle. Bei einem Wert von 42 ist dies aber nicht möglich. Ihm liegt eine aktuelle Abrechnung des Schlachthofs Hinwil vor. Unter der Branchenlösung mit Grenzwert 39 wären sieben Kälber zu Rot und bekämen Abzüge.

Würde der Grenzwert 42 von Heiner Birrer angewendet, wären es 60 von 100 Kälbern - eine untragbare finanzielle Einbusse. «Der Bauer würde massiv unter Druck kommen. Er könnte das neue Tierschutzgesetz nicht anwenden. Er müsste verzichten auf die Zugabe von Raufutter», sagt Jörg Oberle. Kälber müssten also weiter für helleres Fleisch leiden.

Dabei zeigt eine repräsentative Umfrage, die «Kassensturz» in Auftrag gegeben hat: Mehr als der Hälfte der Konsumenten ist die Farbe des Kalbfleisches egal. Und auch rotes Kalbfleisch würde sich verkaufen. Jeder Sechste Kalbfleisch-Esser sucht im Regal danach. Nur 4 Prozent hingegen sagen, dass sie helles möglichst weisses Fleisch bevorzugen.

Kälber leiden für weisses Fleisch

Über der Hälfte der Konsumenten achten beim Kauf von Kalbfleisch nicht auf die Farbe. Das zeigt eine repräsentative Umfrage im Auftrag von «Kassensturz/Espresso». Dies steht im Gegensatz zur Behauptung vieler Metzger, die Konsumenten wünschten möglichst weisses Kalbfleisch.

Konsumenten wurden gefragt, ob sie beim Kauf von Kalbfleisch auf die Farbe achten würden. 52 Prozent der Befragten, die Kalbfleisch kaufen, sagten die Farbe des Fleisches sei ihnen egal, 17 Prozent kauft sogar Kalbfleisch mit roter Farbe. 23 Prozent achten auf eine rosa Farbe und nur gerade 4 Prozent ist es wichtig, dass das Kalbfleisch eine helle, möglichst weisse Farbe hat. Befragt wurden 500 Männer und Frauen in der Deutsch- und Westschweiz zwischen 15 und 74 Jahren.

Damit scheint das Argument der Metzger widerlegt, dass die Konsumenten weisses Kalbfleisch wünschen. Weisses Kalbfleisch gibt es nämlich nur, wenn die Kälber nicht artgerecht gefüttert werden. Proviande, die Branchenorganisation der Fleischwirtschaft, hatte Anfang August bekannt gegeben, dass sich die Branche auf ein rosa bis rötliches Kalbfleisch geeinigt habe. Weisses Kalbfleisch soll damit in der Schweiz der Vergangenheit angehören. Kassebsturzbeitrag vom 27.8.2013. http://www.srf.ch/konsum/themen/ umwelt-und-verkehr/ tiergerechtes-kalbfleisch-der-endlose-streit-um-die-farbe

Die Metzger zweifeln an Praxistauglichkeit des „Branchenkonsens“

(Schweizer Fleischfachverband SFF 28. August 2013) – Der Vorstand des Schweizer Fleisch-Fachverbandes SFF hat sich an seiner heutigen Sitzung erneut mit dem Thema Kalbfleisch und in diesem Zusammenhang insbesondere mit dem von der Branchenorganisation Proviande im Nachgang zum 3. Kälbergipfel erarbeiteten und anfangs August bekanntgegebenen „Branchenübereinkunft“ bezüglich Kalbfleischproduktion befasst.

Er hält dabei ausdrücklich fest, dass auch für den SFF die tiergerechte und gesetzeskonforme Produktion von Kalbfleisch als Garant höchster Qualität absolute Priorität hat. Um jedoch eine grösstmögliche Akzeptanz des nach den neu geltenden gesetzlichen Vorschriften produzierten Kalbfleisches im Markt sicherzustellen, ist es aus seiner Sicht unabdingbar, dass die nach wie vor bestehenden Differenzen bezüglich des Grenzwerts für die Fleischfarbe ausgeräumt werden und ein solider, für alle beteiligten Produzenten und fleischverarbeitenden Unternehmen praxistauglicher und gleichzeitig marktkonformer Konsens erzielt wird.

Um dieses Thema nun ein für alle Mal zu klären und zwecks Erzielung einer für alle Beteiligten markttauglichen, das heisst von Konsumentinnen und Konsumenten auch an der Ladentheke bzw. den Einkäufern von Verpflegungsbetrieben akzeptierten Lösung fordert der Vorstand des SFF in einem einstimmig gefassten Beschluss Proviande zur Durchführung eines runden Tisches auf. Bis zu dessen Abschluss sieht der SFF keine Veranlassung, von seinen bisherigen diesbezüglichen Empfehlungen an seine Mitglieder abzurücken. Weitere Hintergründe zum Thema unter: www.carnasuisse.ch


Copyright www.foodaktuell.ch