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20.8.2014: nachrichten
20.8.2014
Manipuliert uns die Darmflora zu Essvorlieben?

Über Signalstoffe, das "Bauchhirn" und weitere "Tricks" könnten Darm-Mikroorganismen unsere Essgewohnheiten beeinflussen gemäss Studien der University of California.




Der häufige Darmkeim Escherichia coli produziert das Hormon Dopamin. Dieses spielt eine wichtige Rolle für das Suchtverhalten, aber auch für das Gefühl der Befriedigung, das wir empfinden, wenn wir unseren Gelüsten nach Süssem oder Junkfood nachgeben.


Dass unser Essverhalten unsere Darmflora beeinflusst, ist nichts Neues. Auch der Einfluss der Mikroben im Darm auf unsere Gesundheit wird mehr und mehr untersucht. Doch das Wechselspiel zwischen unseren bakteriellen Mitbewohnern und uns geht vielleicht noch sehr viel weiter: US-Forscher vermuten nun sogar, dass die Darmflora uns Menschen regelrecht manipuliert.

Über Signalstoffe, das "Bauchhirn" und weitere "Tricks" könnten die Mikroben sogar unsere Essvorlieben beeinflussen: Sie bringen uns dazu, genau die Lebensmittel zu essen, die sie optimal mit den ihnen fehlenden Nährstoffen versorgen. Für eine solche Manipulation "aus dem Bauch" gebe es immerhin einige durchaus überzeugende Indizien, meinen die Wissenschaftler.

Die Bakterien in unserem Verdauungstrakt sind klar in der Überzahl: Wir tragen weit mehr mikrobielle Zellen in uns als eigene Körperzellen. Allein im Dünndarm tummeln sich in jedem Milliliter Darmflüssigkeit bis zu einer Milliarde Bakterien, im Dickdarm sind es noch eine Grössenordnung mehr. Ihre Artzusammensetzung variiert dabei je nach Gesundheitszustand und Ernährung ihres menschlichen Trägers.

Gleichzeitig stehen die Mikroben aber auch untereinander in Konkurrenz und bevorzugen jeweils andere Nährstoffe: Einige florieren, wenn wir besonders viel Zucker essen, andere bei eher fettiger Nahrung. "In unserem Mikrobiom gibt es eine Vielzahl von Interessen, einige stimmen mit unseren eigenen Ernährungszielen überein, andere nicht", erklärt Koautor Carlo Maley von der University of California in San Francisco.

Und genau an diesem Punkt setzt die Überlegung von Maley, seinem Kollegen Joe Alcock von der University of New Mexico und ihren Kollegen ein: Was wäre, wenn die Darmflora sogar aktiv dafür sorgt, dass wir genau die Nährstoffe zu uns nehmen, die sie benötigt? "Die Bakterien im Darm sind manipulativ", so Maley.

In ihrer Publikation führen die Wissenschaftler gleich eine ganze Reihe von Belegen dafür auf, dass die Darmflora auch das Verhalten und die Stimmungen von Tieren und Menschen beeinflussen können und erklären auch, wie dies geschieht. So zeigen Versuche, dass Mäuse mit einem bakterienfreien Darm veränderte Geschmacksrezeptoren für Süsses und Fettiges haben.

In anderen Versuchen stellten Forscher fest, dass viele Bewohner unseres Verdauungstrakts, darunter auch der häufige Darmkeim Escherichia coli, das Hormon Dopamin produzieren. Dieses spielt eine wichtige Rolle für das Suchtverhalten, aber auch für das Gefühl der Befriedigung, das wir empfinden, wenn wir unseren Gelüsten nach Süssem oder Junkfood nachgeben.

Dass die Darmflora Stimmungen und Verhalten beeinflussen kann, davon zeugen ebenfalls einige Mäuseversuche, wie die Forscher berichten: Pflanzte man keimfreien Mäusen die Darmflora von besonders ängstlichen Tieren ein, wurden sie ebenfalls ängstlicher, umgekehrt liessen sich Tiere durch Mikroben-Verpflanzungen auch mutiger machen. Ein bestimmtes Milchsäurebakterium dämpfte in einem anderen Versuch die Ausschüttung von Stresshormonen bei Mäusen.

Manipulation über das "Bauchhirn"?

Und auch über das "Bauchhirn" könnte die Darmflora nach Ansicht der Wissenschaftler unsere Stimmung und Esslust manipulieren. Der Vagusnerv verbindet rund 100 Millionen Nervenzellen im Verdauungssystem mit dem Gehirn und ist damit die zentrale Kommunikationsachse zwischen Kopf und Bauch. Die Nervenzellen des Verdauungstrakts jedoch tragen Rezeptoren, die auf die Anwesenheit von bestimmten Bakterien und ihre Abbauprodukte reagieren, wie Experiment zeigen.

Gleichzeitig spielt der Vagusnerv eine wichtige Rolle für unser Essverhalten und Körpergewicht. "Bisherige Ergebnisse deuten durchaus darauf hin, dass Mikroben die Signale des Vagusnervs manipulieren können und darüber auch unser Essverhalten", sagen die Forscher.

Sind wir also den Wünschen unserer mikrobiellen Mitbewohner hilflos ausgeliefert? Das wohl eher nicht, beruhigen die Forscher. Denn neben unserer Fähigkeit, bewusste, rationale Entscheidungen zu treffen, können wir auch unsererseits die Darmflora manipulieren, wie Studien ebenfalls zeigen: "Unsere Ernährung hat einen enormen Einfluss auf die Mikroben-Populationen in unserem Darm", sagt Maley.

Durch prä- oder probiotische Lebensmittel, Veränderungen der Ernährungsweise, Antibiotika oder sogar Übertragungen von Kot (Stuhltransplantation) lässt sich die Zusammensetzung der Darmflora verändern. Das könnte daher auch gezielt genutzt werden, um beispielsweise diejenigen Arten im Darm zu dezimieren, die beispielsweise Übergewicht und Lust auf Ungesundes fördern, so die Forscher.

Ob unsere mikrobiellen Mitbewohner tatsächlich eine solche Macht über uns haben, muss nun in weiteren Versuchen geklärt werden. Die Forscher halten es aber für sehr wahrscheinlich, dass die Darmflora durchaus mehr beeinflusst als nur unsere Verdauung und das rein körperliche Befinden. "Wir beginnen gerade erst, die Bedeutung des Mikrobioms für die menschliche Gesundheit allmählich zu begreifen", sagt Koautorin Athena Aktipis von der University of California in San Francisco. (Quelle: Joe Alcock (University of New Mexico, Albuquerque) et al., BioEssays, doi: 10.1002/bies.201400071, 20. August 2014, wissenschaft.de)

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