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22.10.2015: nachrichten
22.10.2015
Greenpeace kritisiert Pestizid, Swisscofel kontert

Swisscofel weist die gestern von Greenpeace gemachten Vorwürfe («Pestizid-Cocktails in Äpfeln gefunden») mit aller Schärfe zurück. Schweizer Äpfel seien sicher.




Pestizidanalyse (nicht bei Greenpeace)


22.10.2015 – (lid) – Gestern Mittwoch hatte Greenpeace eine Pressemitteilung mit dem Titel "Pestizid-Cocktails in Äpfeln gefunden" verbreitet. Die Rückstände auf den in der Schweiz getesteten Äpfeln lagen aber allesamt unterhalb der gesetzlichen Grenzwerte. Greenpeace wolle bei den Konsumenten ganz bewusst Angst und Verunsicherung schüren, sagt Swisscofel-Geschäftsführer Marc Wermelinger gemäss Mitteilung. Er kritisiert insbesondere, dass dazu auch Zweifel an den staatlichen und privaten Kontrollen sowie an der Sicherheit der Früchte gestreut werde.

Gemäss Angaben des Verbandes des Schweizer Früchte-, Gemüse- und Kartoffelhandels Swisscofel hat der Handel in der Schweiz allein in den letzten 12 Monaten mehr als 1'500 Laboranalysen auf inländischen und importierten Früchten durchgeführt. Bei 120'000 Tonnen Tafeläpfeln, die jährlich konsumiert werden, sei lediglich eine Überschreitung eines gesetzlichen Grenzwertes festgestellt worden und nur in 3 Fällen wurden mehr als 4 Wirkstoffen gefunden. Tafeläpfel seien sicher und gesund, ist Geschäftsführer Wermelinger deshalb überzeugt.

Swisscofel betont zudem, dass mit modernen Analyseverfahren heute auch die allergeringsten Spuren gefunden werden können. Die gesetzlichen Höchstmengen hätten jedoch einen hundert- bis tausendfachen Sicherheitsfaktor. Auf keinen Fall akzeptabel seien aber überhöhte Rückstände, so Swisscofel. Um dies zu verhindern, arbeite man eng mit den Obstproduzenten und allen Partnern der Lebensmittelkette zusammen. Komme es zu Überschreitungen, so würden Massnahmen getroffen und allenfalls Sanktionen getroffen.

Greenpeace testete Äpfel auf Pestizid-Rückstände

22.10.2015 – (lid) – Greenpeace hat in 11 europäischen Ländern Äpfel aus Supermärkten auf Pestizid-Rückstände untersucht. In der Schweiz wurden auf allen Apfel-Proben die gesetzlichen Grenzwerte eingehalten, wie Greenpeace mitteilt. Getestet wurden bei Coop, Migros, Aldi und Lidl gekaufte Äpfel. Gemäss Greenpeace wurden bei den konventionell produzierten Äpfeln im Durchschnitt 1,8 verschiedene Pestizide gemessen. Am stärksten belastet war dabei eine Probe aus der Migros, bei der 5 verschiedene Substanzen festgestellt wurden. Keine Pestizid-Rückstände wurden bei den Proben von Bio-Äpfeln festgestellt.

Greenpeace fordert, dass ein Pestizid-Ausstiegsplan erarbeitet wird. Die Resultate zeigten, dass die im intensiven landwirtschaftlichen Anbau eingesetzten Substanzen auf dem Teller der Konsumenten landeten, so die Umweltorganisation. Zudem habe der Pestizid-Einsatz schwerwiegende negative Auswirkungen auf die Biodiversität.

Insgesamt liess die Organisation 126 Apfelproben aus 11 Ländern in einem Labor testen (Studie als PDF). Im Schnitt am meisten Pestizide wurden bei Proben aus Spanien (4,3), Bulgarien (4) und den Niederlanden (3,4) gefunden. Weniger Pestizide pro Probe als in der Schweiz wurden nur in Frankreich und Italien (je 1,3) gemessen.

Zusammenfassung des Greenpeace-Berichtes im Volltext

Für diese Studie hat Greenpeace in elf europäischen Ländern 126 Proben von Tafeläpfeln in verschiedenen Supermarktketten eingekauft. 17 dieser Proben stammen der Produktauszeichnung zufolge aus biologischem Anbau. Die Proben hat ein unabhängiges Labor in Deutschland anhand einer Multirückstandsmethode analysiert; damit kann ein breites Spektrum an Pestiziden und ihren Abbauprodukten (insgesamt 500 Parameter) nachgewiesen werden. Bei keiner einzigen Apfelprobe aus biologischem Anbau liessen sich nachweisbare Rückstände feststellen.

Von den 109 Apfelproben aus konventionellem Anbau enthielten 91 (83 %) einen Wirkstoff oder mehr nachweisbare Rückstände. Die Höchstzahl von 8 Rückständen wurde in einer Probe aus Bulgarien nachgewiesen. Die höchste durchschnittliche Anzahl an Rückständen pro Probe trat in den Proben aus Spanien auf (4,3), gefolgt von Bulgarien (4,0) und den Niederlanden (3,4). Die am häufigsten nachgewiesenen Wirkstoffgruppen waren Fungizide (20) und Insektizide (16); ausserdem wurden Akarizide (2) sowie THPI (Abbauprodukt von Captan) nachgewiesen. THPI war die am häufigsten nachgewiesene Substanz (76), gefolgt von Captan (20), Boscalid (19), Pirimicarb (18) und Chlorpyrifos-ethyl (15).

Zwei der nachgewiesenen Pestizide, Diphenylamin und Ethirimol, sind derzeit in der EU nicht zur Anwendung zugelassen. Diphenylamin liess sich in einer Probe aus Spanien, Ethirimol in einer Probe aus Polen nachweisen. Bei dem nachgewiesenen Ethirimol handelt es sich möglicherweise um ein Abbauprodukt von Bupirimat. Diphenylamin ist in Ländern ausserhalb der EU zur Nacherntebehandlung zugelassen. Die geringe Konzentration des nachgewiesenen Diphenylamins ist also möglicherweise auf eine Kreuzkontamination während der Lagerung oder Verpackung von Äpfeln aus EU- und Nicht-EU-Quellen zurückzuführen.

Die Ergebnisse hat Greenpeace anhand der deutschen Toxic-Load-Indicator-Datenbank1 analysiert. 14 der nachgewiesenen Pestizide erhielten in der Kategorie „Toxizität für Wasserorganismen“ die höchstmögliche Wertung von 10. 15 Rückstände haben in der Kategorie „Toxizität für Nutzinsekten“ die Wertung 10; 8 dieser Rückstände erhielten auch aufgrund ihrer spezifischen Toxizität für Bienen die Wertung 10. 13 der in den Proben entdeckten Pestizide erhielten in der Kategorie „Persistenz in der Umwelt“, 7 in der Kategorie „Potenzial zur Bioakkumulation“ die höchste Einstufung.

In vielen Fällen ist eine klare und umfassende Analyse möglicher Gesundheitsfolgen nicht möglich. Eine nähere Betrachtung der Pesticide Properties Database (PPDB) der University of Hertfordshire macht deutlich, dass die verfügbaren Daten zur Bewertung der Gesundheitsrisiken von Pestiziden erhebliche Lücken aufweisen. Zudem bestehen erhebliche Unsicherheiten und Unbestimmtheiten, welche konkreten Gefahren von Pestiziden ausgehen können. Besonderen Anlass zur Sorge geben die Datenlücken im Zusammenhang mit krebserregenden, erbgutverändernden und hormonschädigenden Eigenschaften bei einem erheblichen Anteil der Pestizide, die im Rahmen dieser Studie in den Apfelproben nachgewiesen wurden.

Darüber hinaus sind keine Informationen darüber verfügbar, welche ökologischen und gesundheitlichen Folgen es haben kann, wenn die nachgewiesenen Pestizide in der Umwelt als Gemische vorkommen. Dies verweist auf allgemeine Defizite in den verfügbaren Informationsarten. In Kombination mit den bekannten Gefahren stellen die Wissens- und Informationsdefizite darüber, welche Auswirkungen Einzelsubstanzen und Substanzgemische haben, kritische Versäumnisse im gegenwärtigen Regulierungssystem für Pestizide dar. Die Tatsache, dass bis zum heutigen Tag kein Versuch unternommen wurde, diese Informationslücken zu schliessen, legt nahe, dass das gegenwärtige Regulierungssystem seinen Zweck nicht erfüllt.

Schliesslich ist hervorzuheben, dass kein einziger in den Apfelproben nachgewiesener Rückstand die Rückstandshöchstgehalte (Maximum Residue Levels – MRL) für Äpfel überschritten hat. Wie diese Studie verdeutlicht, zeigen in Supermärkten angebotene Äpfel die ungeheure Vielfalt an Pestiziden, die beim konventionellen Anbau dieser Früchte vor und nach der Ernte routinemässig zum Einsatz kommen. In Kombination mit den zahlreichen Wissenslücken hinsichtlich der Auswirkungen dieser Pestizide als Einzelsubstanzen oder Gemische gibt dies Anlass zu ernsthafter Sorge.

Greenpeace-Empfehlungen

Die Ergebnisse dieser Studie, für die Äpfel vorwiegend aus konventionellem Anbau in verschiedenen Supermärkten eingekauft und auf Pestizidrückstände untersucht wurden, sind ein weiterer Beleg dafür, dass wir dringend vom gegenwärtigen Paradigma der chemieintensiven Landwirtschaft wegkommen müssen. Insbesondere muss der Einsatz von Pestiziden eingedämmt und schliesslich ganz gestoppt werden. Dies erfordert eine Abkehr von industriellen Agrarsystemen durch die Einführung ökologischer landwirtschaftlicher Praktiken. Nur so können die ökologischen und wirtschaftlichen Probleme, mit denen die Landwirtschaft derzeit zu kämpfen hat, effektiv und ganzheitlich gelöst werden.

Damit dieser Paradigmenwechsel gelingt, sind folgende Massnahmen erforderlich:
Die Landwirtschaft muss den Teufelskreislauf des grossflächigen Pestizideinsatzes durchbrechen. Der Schwerpunkt in der Landwirtschaft muss auf der funktionalen biologischen Vielfalt liegen. Eine Landwirtschaft ohne Pestizide ist nur möglich durch
 eine Verbesserung der Bodenbewirtschaftung,
 die Anwendung biologischer Schädlingsbekämpfung,
 die Auswahl resistenter, den örtlichen Bedingungen angepasster Sorten,
 die Gestaltung pflanzenbaulich optimaler Fruchtfolgen und
 eine Erhöhung der Vielfalt landwirtschaftlicher Systeme.

Die EU-Richtlinie über die nachhaltige Verwendung von Pestiziden muss ordnungsgemäss umgesetzt werden. Wie von den einschlägigen EU-Bestimmungen gefordert, müssen die EU-Mitgliedstaaten konkrete Massnahmen und ehrgeizige Ziele setzen, damit es zu einer deutlichen Eindämmung des Pestizideinsatzes kommt.

Die Regulierungen für die Risikobewertung von Pestiziden müssen verschärft werden. Die Unsicherheiten und Unbestimmtheiten in Bezug auf die gesundheitlichen und ökologischen Auswirkungen von Pestiziden müssen dringend überwunden werden. Die Auswirkungen von Agrarchemikalien-Cocktails auf die menschliche Gesundheit und die Umwelt im weiteren Sinne müssen ebenfalls untersucht und überwacht werden. Ein effektiver Regulierungsrahmen muss wichtige Erkenntnisse berücksichtigen. Wo relevante Informationen fehlen, muss die Regulierung von Pestiziden strikt auf Grundlage des Vorsorgeprinzips erfolgen.

Darüber hinaus müssen nicht nur die Wirkstoffe von Pestiziden, sondern auch die handelsüblichen Pestizidformulierungen bewertet werden. Die Regulierung von Pestiziden muss neue Risiken, die erst nach dem Zulassungsverfahren zutage treten, in ausreichendem Masse berücksichtigen. Sämtliche im Zulassungsverfahren verwendeten Informationen sollten der Öffentlichkeit sofort und routinemässig zugänglich gemacht werden. (Text: www.greenpeace.org)

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