Food aktuell
6.6.2006: nachrichten
6.6.2006
Von Küchenrobotern bis Food-Nanotechnik

Diese Woche im NZZ-Folio: Bio- und Nanotechnologie haben die nächste Food-Revolution eingeleitet, aber Vieles bleibt Vision. Trends: Schneller, gesünder, schöner, glücklicher.



Für die Zukunft sind radikalere Konzepte denkbar als Ein-Minuten-Spaghetti, die derzeit von Nestlé-Forschern entwickelt werden: Drink-Food in allen Geschmacksrichtungen, tiefgefrorene Speisen, die dank superschnellen Mikrowellenöfen in Sekunden serviert werden können. Die US-Armee hat ein System entwickelt, mit dem sich eine Truthahnbrust-Konserve per Chemielösung in der Verpackung selbst erhitzt.

Auch Roboter als Küchenhilfen, wie der Roboter Flipper des Unternehmens AccuTemp, sind bereits Realität: Flipper kann Pommes frites oder Palatschinken zubereiten. In Zukunft wird die Zeitersparnis möglicherweise durch Depot-Lebensmittel, die den Konsumenten für mehrere Tage mit Nährstoffen versorgen, noch erhöht werden.

Die Weiterentwicklung bestehender Küchengeräte führt möglicherweise zur Entwicklung von Food-Synthesizern, welche die gewünschten Speisen in Sekundenschnelle aus den molekularen Bauteilen herstellen und jeden beliebigen Lunch-Wunsch sofort erfüllen.

Gesünder

Dank biomedizinischen Technologien können Lebensmittel zukünftig dazu beitragen, chronischen Krankheiten vorzubeugen oder Diäten unserem Gesundheitszustand anzupassen. Das Restaurant Heartstone in London «verschreibt» das Essen. Der Ernährungschef bespricht mit dem «Patientengast» seine Allergien und seinen Fitnessstand, bevor er eine Mahlzeit empfiehlt.

Der Betrieb schliesst am Nachmittag, weil die Betreiber davon ausgehen, es sei schlecht, am Abend ein grösseres Mahl zu sich zu nehmen. Es gibt Anzeichen, dass der Verdauungsaufwand unsere Gesundheit belastet. Untersuchungen belegen, dass eine reduzierte Kalorienaufnahme das Altern verlangsamt, und Statistiken über Zivilisationskrankheiten zeigen, dass üppiges Essen die Menschen krank macht.

Nach Milchdrinks werden auch Menus immer spezifischer mit gewünschten Inhaltsstoffen funktionalisiert: Esswaren werden Bakterien zugefügt, die Vitamine und Arzneimittel im Verdauungssystem direkt herstellen; ungesunde Inhaltsstoffe werden nach einem Festmahl durch spezifische Antikörper aus dem Organismus entfernt. Mit Hilfe von Genchips werden wir identifizieren können, welche Nahrungsbestandteile uns schaden und welche unsere Gesundheit fördern.

Den nächsten Entwicklungsschritt bringt die Nanotechnologie: Nestlé forscht an Methoden, um Nahrungsmittelzusätze in so genannten Nanocontainern, die zwischen 10 und 100 Nanometer gross sind, zu spezifischen Zielgeweben im Organismus zu transportieren und die Substanzen erst dort freizusetzen.

In Entwicklung stehen ebenfalls Nanosensoren, die über den Zustand eines Lebensmittels informieren. So könnte etwa abgelaufene Milch den Konsumenten warnen, indem sie sich rot verfärbt. Vorstellbar ist ebenfalls ein «interaktives Getränk», bei dem spezifische Inhaltsstoffe in Nanokapseln durch Radiofrequenzen freigesetzt und so Farbe, Geschmack und Textur des Trankes sofort individuell bestimmt werden können.

Schöner

An die Stelle der Vitamintabletten könnten künftig Lebensmittel treten, die die Hirnleistung ankurbeln. Ein Kaugummi - Braingum - , der genau dies verspricht, ist bereits erhältlich. Das «Upgrading» des Menschen geht aber noch weiter und macht auch vor der Verwandlung der physischen Gestalt nicht Halt.

Der «Bust-up Gum», ein Kaugummi aus Japan, ermöglicht angeblich eine sanfte Form der Brustvergrösserung. Beim Konsum werden sogenannte Phytoöstrogene der thailändischen Pflanze Pueraria mirifica, die von lokalen Stämmen als Medizin eingesetzt wird, freigesetzt. Diese imitieren Effekte des weiblichen Hormons Östrogen und sollen helfen, das Muskelgewebe in Form zu halten. Mediziner warnen vor Nebenwirkungen und zu hohen Erwartungen.

Als Zukunftsvision sind im Supermarktregal von übermorgen vielleicht sogar Botox-Tomaten denkbar, die der Faltenglättung dienen, Haarwuchsspinat oder Wachstumsspargeln.

Glücklicher

Sind die molekularen Mechanismen einmal verstanden, können Wahrnehmungen ganz gezielt ausgelöst werden. Lebensmittel könnten dann, ähnlich wie heute Psychopharmaka, Glücksgefühle erzeugen oder gar den Übertritt in eine virtuelle Welt simulieren: In einer Pizza wäre das Gefühl eines Strandspaziergangs enthalten und in einem Getränk eine semireale Flugerfahrung.

Systeme zur Erzeugung von virtuellen Erfahrungswelten, die Gaumenfreuden simulieren, sind bereits in der Pipeline der Industrie: Sony patentiert die erste Entwicklungsstufe für eine «Real-Life Matrix», die ein sinnliches Filmerlebnis verspricht. Mit diesem Gerät können sensorische Daten direkt ins menschliche Hirn transferiert werden, der Übertragungsweg funktioniert durch Pulse von Ultraschall, die ausgewählte Hirnregionen stimulieren sollen. Essen könnte damit in jeglicher Ausprägung simuliert werden.

Was soll man von diesen Visionen halten? Das Bedürfnis nach sozialen Kontakten und das Ritual des gemeinsamen Speisens wird uns ungeachtet aller futuristischen Technologie noch lange begleiten. In einer sich schnell wandelnden Welt bleiben Lebensmittel «Mittel zum Leben».

Aus dem Inhalt des NZZ-Folio «Lunch» vom 6. Juni 2006

Adieu Zmittag
Es steht schlecht um unser Mittagessen: Statt am Tisch zu Hause essen wir im Gehen auf der Strasse. Von Walter Leimgruber

Knastkost
Egal, wie gut oder schlecht: Im grössten Gefängnis Deutschlands heisst das Essen Schweinefrass. Von Gudrun Sachse

«Lunch ist nur noch Pflicht»
Philippe Stern, Direktor der Luxusuhrenfirma Patek Philippe, über den Niedergang des Businesslunch. Von Daniel Weber

Botox-Tomaten
Bio- und Nanotechnologie haben die nächste Food-Revolution eingeleitet. Was bringt sie? Von Stephan Sigrist

Sashimi mit Graf Sandwich
Der 11. Earl of Sandwich erzählt, wie es wirklich war, als sein Vorfahr das Sandwich erfand. Von Hanspeter Künzler

Auffälliger Abfall
Die Lebensdauer der Fastfood-Verpackungen ist kurz – ihr ästhetischer Anspruch hingegen hoch. Von Norbert Wild

Text: Auszug aus dem NZZ-Folio
Bild: foodaktuell (Gentech-Forscherin am Mikroskop)

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