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Backwaren & Confiserie: Report
Backwaren & Confiserie
Sind Handwerksprodukte besser als industrielle?

Gourmets schwören auf Handwerks-Produkte. Diese sind meistens exklusiver als industrielle Massenprodukte. Aber ob sie besser schmecken, hängt von der Produktgattung ab. foodaktuell.ch vergleicht Backwaren in zwei Teilen (Teil1, demächst erscheint Teil2)




Ein Handwerksbrot, das Gourmets ansprechen soll: Roni Merz, Chef der Churer Bäckerei Merz mit seinen luxuriösen In-Broten


Industrieprodukte haben bei Gourmets nicht das beste Image, aber sie werden im Massen beim Grossverteiler verkauft, denn sie bieten ein gutes Preis-Leistungsverhältnis. Handwerksprodukte dagegen gelten als exklusivere und teurere Gourmetprodukte. Soweit die Vorurteile. In Wirklichkeit besteht heute in den meisten Branchen ein qualitatives Kopf-an-Kopf-Rennen. Im grossen Ganzen lässt sich feststellen, dass Industrieprodukte günstiger sind aber Handwerksprodukte für Gourmets überzeugender - von wenigen Ausnahmen abgesehen.

Wenn man die diversen Produktgattungen einzeln betrachtet, zeigen sich interessante Unterschiede. Nur in der Käsebranche besteht aus Gourmetsicht ein systematischer Unterschied zwischen Industriekäse aus pasteurisierter Milch und Rohmilchkäse von Dorfkäsereien. Letztere haben einen klaren Standortvorteil, wobei es auch Dorfkäsereien gibt, die mit Spezialitäten aus pasteuriserter Milch Erfolg haben. Aber Industriekäsereien, die rar sind in der Schweiz, verzichten aus Sicherheitsgründen auf das Verkäsen von Rohmilch.

Ein Spezialfall ist Frischkäse, den auch Dorfkäsereien allermeistens aus pasteurisierter Milch herstellen. Bei dieser Produktart kann die Industrie durchaus mithalten wie die Bronzemedaille beweist, welche die Migros-Industrie ELSA an der Bergkäse-Olympiade 2004 mit Heidi-Frischkäse gewann. In andern Branchen ist das Fazit des Industrie-Handwerk-Vergleichs weniger eindeutig.

Bei den Backwaren gibt es stark automatisierte Industriebetriebe mit kontinuierlichen Linien, sowie mittlere Betriebe und kleine mit teilweise manueller Teigbearbeitung. Direkte sensorische Vergleichstests zwischen Industrie- und Handwerk-Backwaren sind rar. Der professionelle Wettbewerb der Swiss Bakery Trophy mit Fach- und Konsumentenjuroren lässt nur Produkte von gewerblichen Bäckereien zu, welche Mitglieder des SBKV sind. Die industrielle Hiestand AG ist zwar Mitglied, verzichtet aber auf eine Teilnahme.

Gute Testresultate einiger Migros- und Coop-Spezialitäten

Ein Fachjury-Brottest von «20minuten» Mitte November zeigte: gewerbliche Bäckereien backen gute bis sehr gute Brote, aber auch beim Grossverteiler gibt es einige solche. Dass das Biopagnol-Brot von Coop gleich gut abschnitt wie ein Brot vom Basler Sutter Begg, ist erklärbar: Es wird von Hiestand auf einer kontinuierlichen Rheon-Weichteiganlage mit hoher Teigausbeute hergestellt, teilgebacken ausgeliefert und am Verkaufspunkt fertig gebacken. «Le Rustique» von der Migros eroberte sogar den dritten Platz, aber es ist nicht industriell hergestellt sondern eine Sorte aus der Handwerkslinie Création. Die einzige getestete gewerbliche Confiserie konnte nicht mithalten und landete in der Nähe einer genügenden Qualität, was man allerdings wegen der minimalen Stichprobe nicht verallgemeinern darf.

Seriöse Vergleiche macht die Fachschule Richemont, manchmal in eigener Initiative und manchmal auf Anfrage der Sendung Kassensturz. Im März 2003 verglichen die Richemont-Experten für den «Kassensturz» Butterzöpfe und kamen zum Schluss, dass die gewerblichen Bäckereien viel besser abschnitten als die Grossverteiler Coop und Migros. An erster Stelle stand die Luzerner Bäckerei Meile mit 4.5 von 6 Punkten, an letzter Coop mit 3 Punkten. Ausser Konkurrenz aber noch eine Spur besser als Meile war der Zopf, den Richemont zum Vergleich selber backte.


Viele stellen Zöpfe her in unterschiedlicher Qualität: die Industrie (Beispiel links), gewerbliche Profibäcker, Bäuerinnen bzw Landfrauen sowie Hausfrauen (Beispiel rechts).


Dies war vor acht Jahren. Im 2009 wiederholte Richemont den Zopftest, allerdings nur mit zwei Grossverteiler-Zöpfen neben sieben Fachgeschäft-Zöpfen, und stellte fest: Fachgeschäfte variieren (zweimal gut, einmal akzeptabel und viermal schlecht) und die Grossverteiler kassierten zweimal schlechte Resultate. Weitere Tests gab es bei Richemont mit gefüllten Biber, und die Resultate waren ähnlich: Fachgeschäfte: 3x gut, 1x akzeptabel, 1x schlecht. Grossverteiler: keine guten, 1x akzeptabel, 2x schlecht. Ausserdem mit Osterfladen im Januar 2011: Fachgeschäfte 2x gut, 2x akzeptabel, 5x enttäuschend. 1 Grossverteiler mit gutem Resultat.

Fazit: Fachgeschäfte haben Schwankungen vom einem zum andern Geschäft und wohl auch von einer Charge zu andern, da die Prozesse weniger stark normiert sind als in Grossbetrieben. Diese bieten eine konstantere Qualität, was Richemont Direktor Reto Fries bestätigt, früher Chef der vollautomatisierten Hicopain-Brotfabrik: «Durch die standardisierten Prozesse in der Backwaren-Industrie ist die Bandbreite der Qualitätsschwankung deutlich kleiner als im Handwerk. Die Industrie versucht mit dem Einsatz von geschickt aufeinander abgestimmten Anlagenverknüpfungen möglichst nahe an eine handwerkliche, traditionelle geführte Teigführung heranzukommen. Was teilweise auch gelingt».

Vorteil: Vorteig

Die schlechten Noten der Grossverteiler sind aber nicht in Stein gemeisselt: gerade in den letzten Jahren unternahmen sie grosse Anstrengungen für die Verbesserung der Brotqualität generell. So führte Coop die Vorteigmethode ein, die in gewerblichen Bäckereien längst üblich ist aber nicht in industriellen. Jörg Ohsoling, Brotexperte bei Coop ist überzeugt: «Der Automatisierungsgrad muss heutzutage für die Produktqualität nicht mehr nachteilig sein. Der Unterschied zwischen Handwerk und Gewerbe reduziert sich auf eine schonende Teigbearbeitung».


Handwerksbrot in der Migros: Linie Création


Ausserdem lancierten die Grossverteiler mit Erfolg handwerklich hergestellte Brote, wobei diese auch preislich auf dem Niveau der gewerblichen stehen. Die Bäckereien entwickeln sich ebenfalls laufend weiter, nicht zuletzt dank der Unterstützung von der Richemont Fachschule. Bei der Teigbearbeitung hat das Handwerk klar Vorteile, da nur die modernsten Maschinen sehr weiche Teige verarbeiten können, und flüssige Teige (über 195% Teigausbeute) immer noch eine manuelle Exklusivität sind.

Die Verbesserung der Industriebrote bestätigt auch Fries: «Gut geführte Industriebetriebe sind heute in der Lage, hochstehende Produkte herzustellen. Aber ein gut geführter Handwerksbetrieb mit langführten Teigen kann aus fachlicher Sicht von der Industrie nicht getoppt werden, wenn die Abläufe eingehalten werden. Dies ist die Schwierigkeit beim Handwerk. Der grosse Pluspunkt der Handwerksbetriebe dagegen ist die Flexibilität der Triebführung, der Rohstoffverarbeitung, der Formenvielfalt, der Bestreuung, des Ausbackgrades und so weiter, was wiederum matchentscheidend ist für eine individualisierte, hochstehende Produktqualität».

Kompromisse wegen Automatisierung

Beim Brot besteht der Unterschied zwischen Handwerk und Industrie nicht wie bei vielen andern Produktgruppen darin, dass die Industrie weniger edle Zutaten verwendet. Denn Brot besteht hüben wie drüben aus Mehl, Wasser, Hefe und Salz. Aber es gibt Unterschiede in der Machart und dem Automatisierungsgrad, der allenfalls zu methodischen Kompromissen zwingt.

Dazu Fries: «Im Handwerk gibt es keine Grenzen, nur die, die man selber in den Köpfen macht. In der Industrie müssen gewisse Kompromisse gemacht werden aus technischen Gründen. Beide Bereiche haben gut nebeneinander Platz. Die Handwerksbetriebe als Premium- oder Champigons-League Brothersteller mit einem individuellen Touch und die Industrie mit preiswerten, qualitativ einwandfreien Massenartikeln, die in der ganzen Schweiz gleich sind».

In der Tat: Wenn man die Qualität vergleicht, muss man Tat fairerweise auch die Preise vergleichen: Beim Preisleistungsverhältnis ist die Industrie unschlagbar. Im Segment der Spitzenqualität herrschen gewerbliche vor, weil sie eine relativ kleine Schar von Gourmets bedienen, während dem die Industrie auf die grosse Masse der Konsumenten zielt, welche nicht im teureren Spitzensegment kauft. Die Industrie kann heute bei Brot dank Weichteiganlagen durchaus auf dem Spitzenniveau mithalten, tut es aber nur ausnahmsweise, weil dann die Brotpreise zu hoch lägen. Artisanalbrot von Coop sowie Créationbrot von der Migros sind ähnlich wie gewerbliches hergestellt und stehen sowohl qualitativ wie preislich auf demselben hohen Niveau. (GB)

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