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25.2.2007: nachrichten
25.2.2007
Polemik gegen «optimierte» Lebensmittel

Diese Woche in der Weltwoche: Prof. Beda Stadler plädiert für Grossmutter-Kost - aber auch Gentechfood. Und er verspottet Bioprodukte, Birchermüesli, Olivenöl und LC1-Joghurt.


Deutschland hat den Lebensmittelchemiker und Buchautor Udo Pollmer - die Schweiz hat dafür Beda M. Stadler (Bild), Berner Professor für Immunologie und glühender Gentech-Befürworter. Beide sind nicht nur Wissenschafter sondern auch begnadete Spötter und kommentieren regelmässig moderne Lebensmittel und Ernährungsmethoden. foodaktuell hat einige «Rosinen» aus Stadlers sechsseitigem Pamphlet in der Weltwoche gepickt:

Industriell optimierte Designer-Nahrung erzeugt Übergewicht und Unbehagen. Der gesundbeterische Bio-Kult beruht auf falschen Versprechungen. Wer gut leben und essen will, greift zu den bewährten Rezepten unserer Grossmütter. Wir essen zu wenig Blätter und Stängel. Zu grosse Mengen und zu viel von Wissenschaftlern entworfenes Essen. Dies ist die vereinfachte Formel, weshalb wir immer dicker werden, obwohl es noch nie so viel Light Food, so viele Ernährungsberater, so viele Diäten gegeben hat wie heute.

Wann hat der Irrsinn mit der Ernährung begonnen? Für mich persönlich war es das Birchermüesli, eine traumatische Erfahrung während der jugendlichen Zwangsernährung. Zu meinem Erstaunen finden heute junge Leute ein Birchermüesli durchaus appetitlich. Das hat einerseits mit dem Gewöhnungseffekt zu tun, andererseits denkt man, das Birchermüesli habe einen inneren Wert.

Den wunderbaren Frühstücksspeck kann man heute in der Molecular Cuisine als Aroma wohl noch riechen. Tierische Fette sind hingegen schon lange out, und durch ihren neuerdings entdeckten Gehalt an Transfettsäuren ist ihr Image weiter in den Keller gesackt. Kaum haben wir uns an den Ausdruck «ungesättigte Fettsäuren» gewöhnt und entsagen seither der Butter und dem Speck, bedrohen uns die Transfettsäuren. Das Paradox: Die angeblich so gesunde und cholesterinsenkende Margarine enthält mehr Transfettsäuren als die feine Frühstücksbutter, die wir uns eben abgewöhnt haben.

Pommes frites sind zur Acrylamid-Bedrohung geworden. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) sieht als zulässige Höchstmenge für Menschen eine Aufnahme von einem Mikrogramm pro Tag und Kilogramm Körpergewicht an. Der durchschnittliche Acrylamid-Gehalt aller vom Zürcher Kantonschemiker kürzlich analysierten Pommes frites betrug 102 mg/kg. Wer sechzig Kilo wiegt, darf also täglich gefahrlos 600 Gramm Pommes frites verschlingen – die Bedrohung ist keine mehr.

Vor Weihnachten wurden in ganz Europa die Zimtsterne als Nervengift verteufelt. Plötzlich zählte beim Zimt nur noch der Cumarin-Gehalt und nicht mehr der Geschmack. Dabei hätte ich damals, laut Bundesamt für Gesundheit (BAG), jeden Tag 33 Kilo Sterne, bei Aldi gekauft, verdrücken dürfen!

Grassierende Label-itis

Beim neusten Hype um BSE in der Milch wird der Schuss wohl auch hinten rausgehen. Solange wahnsinnige Kühe einen filmreifen Salto mortale vor dem Kuhstall machten, konnte man dem Konsumenten noch gewaltig Angst einjagen. Gemäss den damaligen Prognosen müssten wir heute längst eine Creutzfeldt-Jakob-Epidemie in der Schweiz haben. Der Konsument verliert jedoch seine Angst vor BSE, wenn jetzt behauptet wird, in der Milch, die er seit Jahrzehnten trinkt, sei ein tödlicher Erreger vorhanden.

Der Zweikampf zwischen den Butter- und den Margarine-Verkäufern wurde ebenfalls mit Wissenschaft unterlaufen. Olivenöl musste einspringen und soll ein wahrer Gesundbrunnen sein. Ein Forscherteam der Universitätsklinik von Barcelona rät neuerdings, jeder Mensch solle täglich acht Walnüsse zu sich nehmen, um sich vor Herzinfarkt zu schützen. Ist nun das Olivenöl der gesundheitsfördernde Schlüsselfaktor der mediterranen Kost, wie bislang vielfach geglaubt wurde, oder die in südeuropäischen Mahlzeiten oft verwendeten Nüsse?

Die Wissenschaft tritt die Flucht nach vorne an. Als Nächstes kommt Brain-Food. Nestlé hat bereits einen Vertrag mit der ETH Lausanne unterzeichnet. Nestlé war auch die erste Firma, die moderne Gesundheits-Claims in ein Produkt verpackte. Lange Zeit wurde behauptet, LC1-Jogurt stärke das Immunsystem. Viel Geld wurde aufgewendet, um einen Beweis dafür zu finden. Vereinzelte wissenschaftliche Studien zeigen einen kleinen Effekt auf das Immunsystem im Reagenzglas.

Aber es ist gar nicht möglich, das Immunsystem gefahrlos zu «stimulieren», ausser man impft. Im Normalfall läuft das Immunsystem auf vollen Touren. Die Medizin verwendet hingegen eine ganze Reihe von Medikamenten, um das Immunsystem zu hemmen. Das klappt aber die einzigen mir bekannten Medikamente, welche das Immunsystem hingegen stärken, sind äusserst gefährlich.

Nestlé scheint das begriffen zu haben und macht einen vernünftigen Schritt vom Nahrungsmittel zurück zum Lebensmittel. Neuerdings werden die Jogurts damit angepriesen, einfach gutzutun. Das ist gar keine so dumme Idee, Lebensmittel sollten uns eigentlich uns wohl fühlen lassen, sie sind kein Medikamentenschrank.

Das Bio-Label suggeriert, Produkte mit der Knospe seien gesünder, sicherer und ökologischer. Fundierte wissenschaftliche Studien dazu gibt es allerdings nicht. Es wird sogar argumentiert, die zusätzlichen Werte in Knospen-Nahrungsmitteln könnten nicht wissenschaftlich erfasst werden. Religiöse Labels auf Nahrungsmitteln sind an und für sich kein Problem, falls sie nur für die Anhänger dieser Religion gelten.

Bei uns wurde das Bio-Label aber dazu verwendet, Produkte, die sich in keiner Art und Weise von normalen Produkten unterscheiden, im Preis um mindestens zwanzig Prozent anzuheben. Preistreiberei ist ja nicht verboten, aber es ist Zeit, aus der BioWelle auszusteigen. Ist das religiöse Bio-Label einmal eingestampft, könnte man überlegen, ob etwas Gutes dran war: Die lokale und konsumentennahe Produktion macht durchaus Sinn. Allerdings nicht, weil damit vom Aussterben bedrohte Bauern, die mittelalterliche Methoden benutzen, geschützt werden.

Die Pro-Specie-Rara-Leute dürften ruhig eine wichtigere Rolle in der Lebensmittelproduktion übernehmen. Die Biodiversität unserer Lebensmittel hat drastisch abgenommen. Viele der täglichen oder saisonalen Lebensmittel unserer Urgrossmütter sind heute kaum mehr erhältlich.

Was sollen wir denn nun wirklich essen? Granny-Food

Mehr Stängel, mehr Blätter. Verglichen mit der Vielfalt an Teigwaren und Broten ist das Angebot an Gemüse marginal. Mehr Stängel und mehr Blätter zu essen, ist also gar nicht so einfach.

Einen Garten anlegen. Gäbe es wieder vermehrt Restaurants, wo man nach dem Bestellen einer Portion Spargeln den Koch aufs Feld marschieren sähe, wäre das fast wie zum Spaten gegriffen – zumindest eine Ausrede für die eigene Faulheit. Und der Schrei eines Huhnes aus der Küche ist die beste Frischegarantie.

Selber kochen – Am allermeisten würde unser Verhältnis zu Lebensmitteln verbessert, wenn wir wieder dazu übergingen, selber zu kochen. Der heutige Beruf eines Kochs hat oft nicht mehr viel mit Kochen zu tun. Jene, die wirklich noch kochen können, tun es nur für Betuchte. Das Granny-Food-Prinzip wird von Hobbyköchen bereits gelebt, die Kantinenköche sind noch weit davon entfernt.

Gen-Food – Es gibt eine moderne Technologie, die es ermöglicht, Lebensmittel als solche zu belassen und sie trotzdem gesünder und frischer auf unserem Tisch erscheinen zu lassen: Gentechnik. Darüber zu reden, ist fast unmöglich, weil wir ein romantisches Bild der Landwirtschaft haben.

Will man wirklich Pflanzen, die weniger Chemie brauchen, die an unser lokales Klima angepasst sind, die gesünder wären, dann ist die traditionelle Pflanzenzucht dafür weniger geeignet als der gentechnische Eingriff. Die traditionelle Pflanzenzucht hat in der Vergangenheit Tomaten hervorgebracht, die sich ausgezeichnet eignen, um im Glashaus zu wachsen. Mit solchen Tomaten wird es aber sogar schwierig, ein Ketchup herzustellen.

Friss einen Viertel – Ein Schokoriegel ist geeignet, einen Astronauten auf den Mond zu senden, nicht aber, ein Kind zur Schule zu schicken. Auch uns Erwachsenen ist das Mass abhanden gekommen, selbst wenn wir bloss eine Portion essen.

Text: Auszug aus dem Artikel in der Weltwoche vom 22.2.2007. Autor: Beda M. Stadler ist Professor an der Universität Bern und Direktor des Instituts für Immunologie.
Bild: Website der medizinischen Fakultät der Uni Bern: http://studmed.unibe.ch/timedb/homepage.php?doz=BSds

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