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3.6.2007: nachrichten
3.6.2007
Fischt die Ernährungs-Forschung im Trüben?

Heute in der Sonntagszeitung: «Die Wissenschaft verfasst viele unsinnige Gesundheitsstudien. Über rotes Fleisch, Gemüse, Fettsäuren, Probiotika und Kaffee».


Laut Studien erhöht der hohe Eisengehalt des rotes Fleisches das Krebsrisiko, wenn dieses Rind-, Lamm- oder Pferdefleisch regelmässig in grossen Mengen verzehrt wird. Die Studien sind mit Vorsicht zu geniessen. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass Steakliebhaber oft ungesünder leben und weniger Obst und Gemüse essen.

Heute in der Sonntagszeitung: Nicht weniger als 519 000 Menschen aus zehn EU-Ländern beteiligen sich an der «European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition», also der Europäischen Prospektivstudie zu Krebs und Ernährung (Epic). Es ist die grösste Studie über den Zusammenhang von Diät und Gesundheit, die es je gab. Forscher aus 23 Instituten begleiten das Heer der Probanden zwischen dem Nordkap und Sizilien seit nunmehr 15 Jahren.

Akribisch musste jeder Teilnehmer einige Wochen lang aufschreiben, was er isst und wie viel er sich bewegt. Die Wissenschaftler haben sein Gewicht und seine Körpermasse registriert und ihm obendrein Blut abgezapft. Und dann gewartet, ob ihr Studienobjekt krank wurde oder gar starb. Seit Beginn der Mammutuntersuchung im Jahr 1992 sind 26 000 Teilnehmer an Krebs erkrankt, 16 000 Todesfälle waren zu beklagen – genug Daten, um eine Reihe teils überraschender Erkenntnisse aus ihnen zu destillieren.

So brachte eines der prominentesten Epic-Ergebnisse ein Jahrzehnte altes Dogma der Ernährungswissenschaften endgültig zum Einsturz: «Das Krebspräventive Potenzial von Obst und Gemüse ist geringer als bislang angenommen und auf wenige Krebsarten beschränkt», sagt Hans-Georg Joost, wissenschaftlicher Direktor des Deutschen Instituts für Ernährungsforschung (DIfE) in Potsdam, eines der beiden deutschen Epic-Zentren.

Schon zuvor hatten US-Studien Zweifel daran gesät, dass Apfel, Tomate & Co. so wirksam vor Krebs schützen, wie es frühere Forschungsarbeiten und Laborversuche nahegelegt hatten. Epic bestätigt nun: Es gibt keinen Effekt des Grünzeugverzehrs auf die Wahrscheinlichkeit, an Brust- oder Prostatakrebs zu erkranken, und auch bei Darmkarzinomen zeigt sich bislang kein eindeutiger Zusammenhang. Gerade bei den Volkskrankheiten unter den Tumoren bleibt also der erhoffte Schutzeffekt aus.

Rotes Fleisch schadet, Fisch dagegen ist günstig?

Ein moderater Einfluss liess sich hingegen bei Tumoren der oberen Verdauungswege wie Mund- und Speiseröhrenkrebs feststellen: Wer weniger als 300 Gramm Obst und Gemüse pro Tag isst, kann sein Erkrankungsrisiko senken, indem er mehr Salat auf den Teller packt. Oberhalb dieses Werts – er entspricht etwa zwei Äpfeln – bringt mehr Grünzeug jedoch keinen weiteren Gesundheitsvorteil.

«Man sollte deshalb besonders Menschen mit einem sehr niedrigen Obst- und Gemüsekonsum dazu ermutigen, ihre tägliche Verzehrmenge zu erhöhen», sagt Heiner Boeing, Leiter des Potsdamer Epic-Projekts. Anders als in der Nachkriegszeit nähmen heute die meisten Menschen vermutlich genug Pflanzenkost zu sich. Dass Epic älteren Studien widerspricht, liegt wohl an ihrem anderen Forschungsansatz: Als Prospektivstudie beginnt sie mit gesunden Menschen und beobachtet, wie sich deren Befindlichkeit über die Jahre entwickelt.

Deutlicher als beim Obst fällt der Einfluss des Fleischkonsums auf die Krebsgefahr aus: «Wer viel ‹rotes› Fleisch, also Rind, Lamm oder Schwein, isst, hat ein höheres Risiko, an Darmkrebs zu erkranken», sagt Boeing. Geflügel hat hingegen keinen Effekt, und Fisch wirkt sich günstig aus. Ganz klar zeigt Epic überdies, dass es nicht nur darauf ankommt, was man isst, sondern mehr noch, wie viel man zu sich nimmt – oder genauer: wie viel der verzehrten Kalorien sich an der Taille festsetzen. Übergewicht trägt zur Entstehung so verschiedener Karzinome wie Brust-, Prostata-, Gebärmutter-, Dickdarm-, Speiseröhren- und Nierenkrebs bei.

Allerdings hängt dies sehr davon ab, wo das Fett sitzt: Schädlich sind in erster Linie Rettungsringe um die Taille. Bauchfett verhält sich im Stoffwechsel besonders aktiv und bringt den Hormonhaushalt durcheinander, frauentypische Polster an Oberschenkeln und Hüften richten dagegen wenig Schaden an. Ob man sich den Speck mit Spaghetti oder Spinat angefuttert hat, spielt aber keine Rolle.

Die Forschung fischt im Trüben

Hier ruht ein Wohlstandbürger, gestorben an falschem Essen — wer will schon diese Inschrift auf seinem Grabstein haben? Und doch prasst und völlt sich jeder Dritte von uns verfrüht unter die Erde, behaupten Epidemiologen. Bei zu viel Fett auf dem Teller, zu viel Zucker im Becher drohen Herzinfarkt, Schlaganfall, Krebs. Die Flut von Tipps ist überwältigend — und voller Widersprüche. Bringt uns wirklich das Fett ums Leben? Oder sind etwa Kohlenhydrate die wahren Killer? Broccoli rette vor dem Krebstod, heisst es, und Fisch halte die Arterien frei. Doch in den nächsten Studien erscheinen Gemüse und Getier plötzlich wirkungslos.

Vor vier Jahren machte sich die FAO auf die Suche nach der definitiven Antwort. Sie liess den Wust wissenschaftlicher Daten von einer internationalen Expertenkommission durchkammen — mit ernüchternder Ausbeute. Von den vielen vermuteten Zusammenhängen befanden die Fachleute nur eine Hand voll für «überzeugend» belegt:

Der Verzehr von Obst und Gemüse schützt vor Herz-Kreislauf-Erkrankung.

Das Gleiche gilt für eine salzarme Emährung, die reich an ungesättigten und arm an gesättigten Fettsäuren ist.

Ältere Menschen sollten njcht vergessen, für feste Knochen ausreichend Calcium und Vitamin D zu sich zu nehmen.

Wie vergänglich Ernährungsweisheiten sind, zeigt das Hin und Her ums Fett: Verzicht auf Fett galt viele Jahrzehnte als Kernstück gesunder Speisepläne, und der Glaube daran hat sich tief in unser Denken eingegraben. «Falsch» meint heute Walter Willett, Ernährungswissenschafter an der Harvard- Universität. «Es gibt keine Untersuchung, die einen langfristigen gesundheitlichen Nutzen einer fettarmen Diät belegt.»

Auch Peter Ballmer, Internist und Ernährungsexperte am Kantonsspital Winterthur beklagt den «Unsinn», laut dem man jahrzehntelang versucht hat, durch fettarme Diät die Cholesterin-Werte der Menschen zu senken. «Das geht einfach nicht — oder höchstens, wenn die Ernährung so freudlos ist, dass die patienten lieber gleich sterben.»

Wie gesund sind Probiotika, Preiselbeeren und Kaffee wirklich?

Vor wenigen Jahren wurde gewarnt vor Herz- und Kreislaufkrankheiten als Folge von übermässigem Kaffeegenuss. Heute ist von gesunden Radikalfängern die Rede. Kaffee soll wie Tee vor Gicht, Arthrose, Diabetes und gar Krebs schützen. Der gefahrlose Kaffeegenuss ost erwiesen, aber seine positive Wirkung ist nicht gesichert.

Probiotika sind allgegenwärtig, meist als Joghurts, denen spezielle Milchsäurebakterien zugesetzt werden. Als erwiesen gilt, dass so angereicherte Produkte bei Durchfall und Milchzucker-Unverträglichkeit helfen. Andere Effekte wurden im Labor nachgewiesen, nicht aber beim Menschen.

Im Labor konnte gezeigt werden, dass Inhaltsstoffe der Cranberries (grossfruchtige Moosbeeren, verwandt mit Preiselbeeren) als eine Art Antibiotikum wirken. Dadurch soll etwa Entzündungen im Mund vorgebeugt werden. Da man nach dem Genuss von Cranberrysaft vermehrt Salicylsäure ausscheidet, können Harnwegsinfektionen verhindert werden, aber eine therapeutische Wirkung ist nicht erwiesen.

Drei ETH-Forscher tüfteln an den Lebensmitteln der Zukunft. Im Zentrum ihres Interesses steht die Stärke und ihre Wechselwirkung mit Aromen. Besonders interessiert ist man derzeit an der Yamsstärke, die bei hohen Temperaturen stabil ist. Sie könnte dereinst modifizierte Stärke ersetzen: als native Stärke hätte sie eine bessere Akzeptanz.

Text: Auszüge aus mehreren Berichten in der Sonntagszeitung vom 3. Juni 2007
Bild: foodaktuell

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