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16.6.2008: nachrichten
16.6.2008
Senkt Nitrat im Gemüse den Blutdruck?

Eine englische Studie will dem Nitrat ein besseres Image verpassen. Schweizer Fachleuten halten nicht viel davon. Sie plädieren weiterhin für einen ausgewogenen Gemüsekonsum.



Nitrat – für die Pflanzen ist es ein unabdinglicher Stickstofflieferant, damit sie wachsen können. Für den Menschen hingegen ist zuviel Nitrat ungesund, denn aus dem Schadstoff können Krebs erregende Nitrosamine entstehen. Nitrat ist von Natur aus in den Böden und damit auch in den Pflanzen enthalten. Besonders viel Nitrat ist in Gemüse, das im Treibhaus wächst und mit nitrathaltigen Düngemittel zusätzlich behandelt wird. Deshalb gelten in der Schweiz wie auch in der EU Höchstwerte für Nitrat im Gemüse, die nicht überschritten werden dürfen.

Eine kürzlich publizierte englische Studie will nun das negative Image des Nitrats aufpolieren. Nitrat senkt den Blutdruck, so das Fazit der Autoren. Bewiesen haben sie es damit: Der Blutdruck der Versuchsteilnehmer ist gesunken, nachdem sie während der Testphase täglich einen halben Liter Randensaft getrunken haben. Die Studie geht davon aus, dass dieser positive Effekt auf das Nitrat im Saft zurückzuführen ist.

Interessant für die Gemüseliebhaber ist der Versuch darum, weil Randen besonders reich an Nitraten sind – ähnlich wie grünes, blättriges Gemüse. Die Autoren folgern, dass in erster Linie das Nitrat dafür verantwortlich ist, dass Personen, die viel Gemüse essen, seltener Herzattacken erleiden. Denn die Vitamine im Gemüse könnten das Plus für das Wohlbefinden nicht in der Weise erklären wie das Nitrat.

Nicht beeindruckt von der Studie

Über die neue Studie wurde in der letzten Ausgabe der "NZZ am Sonntag" an prominentester Stelle berichtet. Unter dem Titel "Freispruch für alten Sündenbock" wurde erklärt, dass Nitrat nicht als Krebsauslöser verteufelt werden dürfe, sondern dass Nitrat das Herz stärke. Die englische Studie ist auch beim Bundesamt für Gesundheit (BAG) in Bern bekannt. Doch von den Resultaten ist man nicht sonderlich beeindruckt, wie Mediensprecherin Sabina Helfer erklärt. "Mit nur 14 Personen war die Studie sehr klein. Deshalb liefert sie keine Erklärung für den biologischen Mechanismus des Einflusses von Nitrat auf den Blutdruck." Für das BAG ist die Studie also kein Grund, die in der Schweiz geltenden Höchstwerten für Nitrat im Gemüse zu hinterfragen.

Auch für die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung bringt die englische Studie nichts Neues. "Das Experiment mit dem Randensaft hat zwar funktioniert", sagt Ernährungsberaterin Caroline Bernet. "Das heisst aber noch lange nicht, dass die Ergebnisse auf alle Gemüsearten übertragen werden können." Im Gemüse seien viele verschiedene Vitamine und Mineralstoffe enthalten. Auch die sekundären Pflanzeninhaltsstoffe haben positive Wirkungen, die man zum Teil noch gar nicht genau kenne. "Die Studienautoren machen es sich zu einfach, den positiven Einfluss des Randensaftes auf den Blutdruck einzig und allein auf das Nitrat zurückzuführen", sagt Bernet.

Wissenschaftlicher Streit seit Jahren

Nichts von der Studie gehört hat hingegen Nicolas Fellay, Direktor des Verbandes der Schweizerischen Gemüseproduzenten. Die Diskussion über zu hohe Nitratwerte im Gemüse sei ein Krieg zwischen Wissenschaftern, der sich bereits über Jahre hinziehe, und dem man darum nicht zu viel Beachtung schenken sollte.

Viel relevanter für die Schweizer Gemüsebauern ist laut Fellay, dass die Höchstwerte für Nitrat im Gemüse in der Schweiz und in der EU die gleichen seien, damit die Schweizer Gemüsebauern nicht das Nachsehen hätten. Tatsächlich wurden die zulässigen Höchstwerte im Gemüse im Jahr 2000 an jene der EU nach oben angepasst. Vorher galt beispielsweise für Kopfsalat in der Schweiz ein Höchstwert von 3‘500 Milligramm pro Kilogramm, heute sind 4‘500 Milligramm pro Kilogramm erlaubt.

Ob nun das Nitrat dem Herz gut tut oder doch als Sündenbock für ein erhöhtes Krebsrisiko abgestempelt werden soll – für die Schweizer Fachleute ist klar: Die positive Wirkung von Gemüse auf die Gesundheit überwiegt, wenn man auf Saisonalität, Regionalität und Abwechslung achtet. Oder wie es der oberste Gemüsebauer Fellay ausdrückt: "Lieber isst man Gemüse mit Nitrat drin, als dass man aus Angst gar kein Gemüse mehr isst."

Grenzwert für Nitrat gemäss WHO

Pro Tag nimmt ein Erwachsener mit der Nahrung zwischen 50 und 100 Milligramm Nitrat auf. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat Grenzwerte für die Aufnahme von Nitrat festgesetzt, die nicht überschritten werden sollten. Ein Erwachsener sollte täglich maximal 3,7 Milligramm pro Kilogramm Körpergewicht Nitrat zu sich nehmen, bei einem Mann von 80 Kilogramm sind dies also knapp 300 Milligramm Nitrat pro Tag. In der Schweiz darf der Nitratgehalt im Nüsslisalat nicht 4‘500 Milligramm pro Kilogramm überschreiten, der Toleranzwert bei Spinat liegt bei 3‘000 und bei Randensaft 2‘500 Milligramm pro Kilogramm.

Quelle: LID Helene Soltermann / "Acute Blood Pressure Lowering, Vasoprotective, and Antiplatelet Properties of Dietary Nitrate via Bioconversion to Nitrite", Ahluwalia Amrita et. al., in Hypertension, February 2008.

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