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10.7.2008: nachrichten
10.7.2008
WWF kritisiert Gastronomie bei Fischbeschaffung

Der WWF wollte von Gastronomen wissen, wie es mit dem Nachhaltigkeits-Verständnis bei Fisch und Meeresfrüchten aussieht. Er machte eine Umfrage und findet die Erkenntnis erschreckend.





Rund 86 Millionen Tonnen Fische und Meeresfrüchte werden derzeit pro Jahr aus den Meeren gefischt. Dies ist viermal mehr als noch vor 50 Jahren. Die Folgen davon: Drei Viertel der kommerziell genutzten Fischbestände rund um den Globus sind schon überfischt oder stehen kurz davor. Um diese bedrohliche Entwicklung zu stoppen muss umgedacht und mit Verantwortung gehandelt werden.

Im Schweizer Detailhandel etabliert sich derzeit zumindest teilweise ein nachhaltiges Sortiment an Fisch- und Seafood-Produkten. Wie sieht es jedoch bei den Schweizer Gastronomen punkto Fischangebot und Verantwortungsbewusstsein aus? 55 Prozent der in die Schweiz importierten Fische und Meeresfrüchte werden von der Gastronomie abgenommen.

Der WWF wollte es wissen und befragte 29 Spitzenköche mit 15 bis 19 Gault Millau-Punkten im Raum Genf und Zürich u.a. nach ihrem Fischangebot, ihrem Verständnis von Nachhaltigkeit und ihrer Bereitschaft, einen verantwortungsvollen Fischkonsum zu fördern. So fragte die Naturschutzorganisation,

• ob die Spitzengastronomen über die Beifang- und Überfischungsproblematik informiert sind,
• welche Fischarten bei ihnen auf den Tellern landen,
• ob sie wissen, aus welchen Fangebieten die Fische stammen,
• wie das Verhältnis Meerfisch gegenüber einheimischen Fischen im Restaurant aussieht,
• ob sie Labels für Fische aus nachhaltiger Fischerei kennen,
• welche Trends sie punkto Nachfrage feststellen und
• ob die Gastronomen bereit sind, einzelne Fische von der Speisekarte zu nehmen.

Das Resultat der Umfrage war erstaunlich. Nicht nur mangelndes Wissen, sondern auch mangelnde Bereitschaft einen Beitrag zu nachhaltigem Fischkonsum zu leisten, macht sich in der Gastro-Branche breit. Für den WWF ein erschreckendes Resultat.

Die Auswertung der Interviews zeigt folgende Resultate:

Das Angebot an Fisch- und Seafood-Produkten in den untersuchten Restaurants setzt sich im Durchschnitt aus 75% Meeresfischen und –tieren zusammen. Nur 25% der Fische stammen aus Süsswasser. Weiterhin wiesen 70% der Interviewpartner darauf hin, Fisch aus Wildfang einem Zuchtfisch vorzuziehen, da bei Ersterem eine höhere Qualität bzw. ein besserer Geschmack erwartet wird.

Klarer Spitzenreiter unter den angebotenen Fisch- und Seafood-Produkten ist der Wolfsbarsch («Loup de mer»), gefolgt von Seeteufel, Seezunge, St. Petersfisch und Kabeljau. Häufig stehen auch Heilbutt und Steinbutt auf den Karten der Edelbeizen. Diese Fischarten ausgenommen der St. Petersfisch werden als kritisch oder gefährdet beurteilt, weil sie entweder überfischt sind, oder nicht selektive, zerstörerische Fangmethoden zum Einsatz kommen .

Die Weltmärkte zahlen derzeit für selten gewordene Fischarten extrem hohe Preise. So bestätigen 95% der befragten Gault Millau Köche, dass die Preise für Fisch und Meerestiere aus Wildfang, auch auf dem Schweizer Markt, in den letzten fünf Jahren um ca. 20% gestiegen sind. Besonders augenfällig ist laut Aussagen der Interviewpartner der Preisanstieg bei wildgefangenem Steinbutt und Kabeljau. Bei diesen Arten habe sich der Preis sogar verdoppelt bis verdreifacht. Solch hohe Marktwerte reizen Fischereien möglicherweise, gefährdeten Fischarten doch noch bis zum letzten Exemplar nachzujagen.

Der Preisanstieg hat allerdings keinerlei einschränkende Auswirkungen auf den Fischkonsum. Ganz im Gegenteil, die Nachfrage nach Fisch und Meeresfrüchten steigt. Die Warenmenge der in der Schweiz konsumierten Fisch- und Seafood-Produkte stieg seit 1988 um über 20% auf heute 56.000 Tonnen an. Damit beträgt der Schweizer Pro- Kopf-Konsum derzeit jährlich 7,6 Kilogramm.

Diesen Trend bestätigen auch 90% der befragten Gault Millau Köche, die eine gesteigerte Nachfrage nach Fisch –und Seafood-Produkten bei ihren Gästen beobachten. Insbesondere Krustentiere, aber auch die Edelfische wie Seeteufel, Seezunge und Steinbutt werden immer beliebter.

Fisch steht also bei den Gault Millau Restaurants ganz hoch im Kurs, doch inwiefern ist den Spitzengastronomen der Zustand unserer Meere und deren lebenden Ressourcen bekannt?

Fisch wird mehrheitlich im Restaurant konsumiert

90% der Interviewpartner gaben zwar an, das Problem der Überfischung zu kennen, aber nur knapp die Hälfte hiervon konnte explizit eine bedrohte Fischart nennen. Von den 44 im Handel gängigsten Fisch- und Seafood-Produkten, die der WWF auf Basis einer wissenschaftlich erarbeiteten Methode, im Einkaufsratgeber Fische und Meeresfrüchte als gefährdet eingestuft hat, waren den Köchen meist nur die Bestände von Thunfisch und Kabeljau als gefährdet präsent.

Nur fünf der Gault Millau Restaurants gaben an, bereits gefährdete Fischarten von ihrer Karte genommen zu haben. Die Restlichen gebrauchten Ausreden wie „die Fische werden trotzdem gefischt, auch wenn sie nicht auf unserer Karte stehen“ oder „wenn wir sie nicht anbieten, dann tut es die Konkurrenz“, um ihren eingefahrenen, wenig verantwortungsvollen Fischeinkauf zu rechtfertigen. Andere wiesen jede Verantwortung von sich mit dem Hinweis, dass die Gastronomie beim Gesamtkonsum von Fisch- und Seafood-Produkten in der Schweiz ohnehin nur eine untergeordnete Rolle spiele, eine Behauptung, die angesichts der realen Marktzahlen – 55% des Fischkonsums in der Schweiz wird über die Gastronomie abgewickelt – widerlegt wird.

Dass eine seriöse Beschaffung und ein Angebot von nachhaltig produzierten Fisch- und Seafood-Produkten sehr komplex und herausfordernd ist und viel Kenntnisse und Auseinandersetzung mit der Praxis bedarf, steht ausser Frage. Allerdings darf dies nicht als Entschuldigung dafür dienen, die Verantwortung für eine nachhaltige Beschaffung auf andere Akteure in der Lieferkette zu delegieren oder sich gar nicht erst mit dem Thema gründlich zu beschäftigen.

So verwiesen viele der Chefköche darauf, dass sie beim Fischeinkauf ihrem Händler und dessen Wissen und Verantwortungsbewusstsein vertrauten. Die Restaurantumfrage machte deutlich, dass allein schon der Begriff „Nachhaltigkeit“ auf Unverständnis stösst und falsch interpretiert wird. So wurden auf die Frage, welche Möglichkeiten die Köche kennen, beim Fischeinkauf auf Nachhaltigkeit zu achten u.a. folgende Antworten gegeben: „Ich kaufe nur frische Fische, keine Tiefkühlware“, „ich kaufe nur ganze Fische, keine Filets“, „ich kaufe nur Fische aus benachbarten Ländern und nicht aus Fernost“, „der Preis sagt viel über die Qualität aus“.

Nach diesen Antworten war es nicht verwunderlich, dass nur einem von 29 befragten Spitzenköchen das MSC-Label für Produkte aus nachhaltiger Fischerei bekannt war, obwohl bereits über 80 verschiedene Produkte mit diesem Siegel auf dem Schweizer Markt erhältlich sind.

Fazit:

Als Ergebnis der Befragung muss festgestellt werden: Sowohl mangelnde Bereitschaft einen Beitrag zum nachhaltigen Fischkonsum zu leisten, als auch Unwissenheit über die Problematik und mögliche Lösungsansätze sind die Ursache, dass in der Schweizer Gastronomie zur Zeit keine Anstrengungen für ein nachhaltiges Fischangebot unternommen werden. Es bleibt also noch viel Aufklärungsarbeit zu leisten, bis sich in der Gastronomie ein Angebot von Fisch- und Seafood-Produkten aus nachhaltig bewirtschafteten Fischereien etabliert.

Ziel ist es, dass für den Gast die Herkunft der Fische auf der Speisekarte ersichtlich werden. Ein vermehrtes Angebot von Fisch aus nachhaltiger Produktion, wie „MSC“ bei Wildfang oder „Bio“ bei Zucht, würde dem Gast bei der Auswahl sehr entgegenkommen. Letztendlich könnte auch die Gastronomie davon profitieren, wenn auf diese Weise das Vertrauensverhältnis zwischen Gast und Restaurant gestärkt wird.

Auch Konsumenten können mithelfen, das Wissen um die Problematik des Fischfangs- und Konsums in der Gastronomie zu verbessern, indem sie dem WWF nach einem Restaurantbesuch mitteilen, ob gefährdete Fische auf der Speisekarte angeboten wurden. (Link zum entsprechenden Formular). Der WWF wird dem Restaurant dann Informationsmaterial und den Fischführer zum nachhaltigen Fischkonsum übersenden.

(Quelle WWF)

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