Food aktuell
Varia
16.2.2010
Gesunde Ernährung leicht gemacht?



Mit einem Kennzeichen für gesunde Lebensmittel möchte das Bundesamt für Gesundheit Herrn und Frau Schweizer eine gesunde Ernährung erleichtern. Der Widerstand ist gross.


Immer mehr Schweizerinnen und Schweizer leiden an Übergewicht. Derzeit ist es laut dem Bundesamt für Gesundheit schon fast die Hälfte der Bevölkerung. Die volkswirtschaftlichen Kosten, die daraus entstehen, liegen laut BAG bei 5'755 Millionen Franken pro Jahr, sie haben sich innerhalb der letzten fünf Jahre verdoppelt.

Als eine Möglichkeit, etwas dagegen zu tun, sieht das Bundesamt ein "gesundheitsbezogenes Lebensmittellabel", wie Michael Beer vom Direktionsbereich Verbraucherschutz beim BAG, an einer Fachtagung des Agronomen- und Lebensmitteltechnologenverbandes Svial vom 25. Januar in Bern erklärte.

Gestützt auf Studien der Weltgesundheitsorganisation WHO, die die Nährwertkennzeichnung als wichtiges Mittel bezeichnen, um die Wahl und den Zugang zu nahrhaften Lebensmitteln zu vereinfachen, prüft das BAG deshalb zusammen mit der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung die Einführung eines solchen Labels (s. Kasten).

Möglichst korrekt oder möglichst verständlich

Übergewicht und Fehlernährung sind in fast allen Industrieländern ein Thema, und auch Kennzeichnungen von Nahrungsmitteln gibt es in Hülle und Fülle. Weit verbreitet ist die so genannte Guideline Daily Amounts (GDA), Angaben zu Fett, Salz, Zucker, Energie und gesättigten Fettsäuren. Dabei wird in Prozentzahlen angegeben, wie gross der Anteil am täglichen Bedarf ist, der durch eine Portion des betreffenden Lebensmittels abgedeckt wird.



Viele Konsumenten verstehen die Nährwert-Deklaration nicht.


Das eine Problem dabei ist, dass die Hersteller selber definieren können, wie gross eine Portion ist und die Zahlen entsprechend "verharmlosen" können. Das andere Problem ist, dass viele Konsumenten die Kennzeichnung nicht verstehen.

Während die GDA-Kennzeichnung etabliert und auch bei Coop und Migros zu finden ist, hat es das so genannte Ampel-System etwas schwerer. Dabei wird mit rot, gelb und grün gekennzeichnet, ob ein Lebensmittel gesund oder weniger gesund ist. Auch von der Ampel gibt es eine differenzierte Variante für die verschiedenen Inhaltsstoffe. Das Problem ist, dass so die ursprünglich klare Botschaft einer Ampel verwässert wird: Soll man ein Produkt, das eine rote, zwei gelbe und eine grüne Ampel hat, nun essen oder nicht?

Kritik von Industrie und Konsumentenschützern

BAG-Mitarbeiter Beer, der sich an der Svial-Tagung in Bern für ein Gesundheitslabel einsetzte, erhielt Unterstützung von Esther Infanger von der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung: Ein Gesundheitslabel mache eine Aussage über ein Produkt statt über bestimmte Nährstoffe, für die Konsumenten sei dies verständlicher, sagte Infanger. Ausserdem lasse sich ein Gesundheitslabel gut mit der Ernährungspyramide kombinieren, dem Klassiker der Ernährungslehre. Im Vordergrund steht dabei das Zeichen "Choices", das von Unilever lanciert und in einigen europäischen Ländern schon im Gebrauch ist.

Die Kritik liess in Bern nicht auf sich warten. Lorenz Hirt, Co-Geschäftsführer der Fial, des Verbandes der Lebensmittelindustrie, erklärte, die Industrie sei gerne bereit, ihre Mitverantwortung im Kampf gegen Übergewicht wahrzunehmen. Ein Gesundheitslabel vereinfache aber zu stark und teile bloss in gute und schlechte Lebensmittel ein. Man müsse auch auf die Selbstverantwortung der Konsumenten setzen können.



Die meisten Konsumenten haben durchaus das Wissen, dass Früchte, Gemüse und Vollkorn-Produkte gesund sind, wenden es aber zuwenig an.


Auch Franziska Trösch, Präsidentin des Konsumentenforums, war skeptisch: "Die Leute wüssten ja, was gesund wäre, aber sie ändern ihr Verhalten trotzdem nicht." Viel wichtiger als Labels wären eine entsprechende Erziehung an den Schulen und ein Mittagstisch zuhause in den Familien.

Die englische Forscherin Monique Raats, die die Verbreitung und den Umgang mit Food-Labels in ganz Europa untersucht, zeigte auf, dass die Konsumenten die Informationen zwar mehr oder weniger verstehen, ob sie aber deswegen ihr Ernährungsverhalten änderten, sei unklar und auch fast nicht nachzuweisen. Ihre Untersuchungen zeigten ferner, dass manche Konsumenten ganz froh sind, von klaren Labels wie dem "Choices" eine Empfehlung zu erhalten, andere hingegen empfinden dies als Bevormundung. Möglicherweise bestehe der Effekt von Gesundheitslabels auch einfach darin, dass die Industrie selber ihre Rezepturen ändere, sagte Raats.

Paolo Colombani, ETH-Professor für Ernährungsbiologie, machte schliesslich darauf aufmerksam, dass nicht nur entscheidend ist, wie viel Energie und Nährstoffe die Menschen aufnehmen, sondern wie viel sie verbrauchen. In vielen Ernährungsstudien komme man zum Resultat, dass die Menschen sich fehlernährten. Dahinter stehe aber eigentlich ein Manko an Bewegung.

Gesundheitslabel könnte schon 2011 eingeführt werden

Die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung (SGE) erarbeitet im Auftrag des Bundesames für Gesundheit (BAG)die Grundlagen für die Einführung eines "einheitlichen und einfach verständlichen ‚Healthy Choice Labels'". Am 13. Januar gab die SGE die entsprechenden Vorschläge in die Vernehmlassung bei den betroffenen und interessierten Kreisen.

Die SGE kommt in den Unterlagen zum Schluss, dass das Label "Choices" mit gewissen Anpassungen auch in der Schweiz verwendet werden könnte. Die Vernehmlasser können bis Ende März 2010 Stellung nehmen, im Mai wird das BAG über die Einführung entscheiden, im September soll nach einer Konsultation der "Choices"-Stiftung ein Entscheid über die Kooperation mit der Stiftung gefällt werden. Der Start für das neue Label ist für Anfang 2011 vorgesehen – vorausgesetzt, es kommt zustande. (Text: LID / Roland Wyss-Aerni)

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