Food aktuell
Varia
8.4.2010
Schweizer Top-Milchqualität auf EU-Niveau senken?

Die Qualität von Schweizer Milch ist top. Per 2011 sollen die verlangten Werte für die Milchqualität auf das EU-Niveau gesenkt werden. Das stösst auf Widerstand im Parlament.



Schweizer Molkereien sind an der Weltspitze. Grosse Milchproduktions-Länder wie Deutschland, Irland oder Neuseeland stehen im Vergleich dazu schlecht da, erst recht die USA oder Israel.


Die beste Milch der Welt gibt es in der Schweiz. Das klingt wie ein Bluff und es lässt sich auch nicht bis ins Letzte mit Zahlen belegen, aber die Vermutung ist nicht weit hergeholt. Vergleicht man für die wichtigsten Qualitätskriterien – die so genannten Zellzahlen und die Keimzahlen (siehe Kasten "Was gute Milchqualität bedeutet") – die Schweizer Milch mit derjenigen der meisten europäischen Ländern, schneidet die Schweiz am besten ab.

Konkurrenz macht der Schweiz höchstens Norwegen. "In Norwegen gibt es ähnliche Betriebsstrukturen und ein ähnlich hohes Stützungsniveau wie in der Schweiz", sagt Walter Schaeren von der Forschungsanstalt Agroscope Liebefeld-Posieux (ALP). Schaeren hat verfügbare Daten zur Milchqualität aus allen möglichen Ländern gesammelt. Offizielle Qualitätswerte gebe es meist keine, "sie werden aus triftigen Gründen nicht veröffentlicht", sagt Schaeren.

Anpassung an die EU

Seit einiger Zeit diskutiert die Branche eine Änderung und Angleichung der Milchprüfung an die EU per Anfang 2011. Dabei soll die Zahl der Kontrollen zwar von 14 auf 24 erhöht, die Grenzwerte aber sollen gelockert werden: Künftig sollen statt 350'000 Zellen pro Milliliter 400'000 Zellen erlaubt sein. Bei der Keimzahl wird der erlaubte Wert von 80'000 auf 100'000 erhöht. Dabei wird nach einer definierten Formel ein Durchschnittswert errechnet (siehe Kasten "Ausreisser eingeebnet"). Wird dieser Wert überschritten, wird die Milch gesperrt und muss weggeschüttet werden.

Gegen die Anpassung an die EU gibt es Widerstand: Der Luzerner SVP-Nationalrat Josef Kunz hat Mitte März eine Motion eingereicht, die verlangt, dass die geltende Verordnung beibehalten wird. Eine Lockerung der Grenzwerte laufe der Qualitätsstrategie, die der Bund für die Schweizer Landwirtschaft anstrebe, vollständig entgegen, schreibt Kunz in der Begründung seiner Motion. Diese wurde von 74 Nationalräten von links bis rechts mitunterzeichnet.

"Ich hätte auch 100 Unterschriften erreichen können", sagt Kunz selbstbewusst. Ihm geht es weniger um die konkreten Werte als um die Signalwirkung: "Mit der Angleichung an die EU würde es den Schweizer Produzenten unmöglich, eine bessere Qualität zu kommunizieren", sagt er.

Milch nach Qualität segmentieren

Um zu gewährleisten, dass die Milchqualität künftig auch bei tieferen Grenzwerten unverändert hoch bleiben würde, ist die Branche in Verhandlungen über privatrechtliche Regeln. Dabei sind Abzüge für Zellzahlen über 350'000 im Gespräch, aber auch Zuschläge für sehr tiefe Zellwerte.



Milchannahme in der Dorf-Molkerei Schönried BE


Auch die Dachorganisation der Schweizer Milchproduzenten (SMP) sieht darin eine Möglichkeit, die Milch nach Qualität zu segmentieren und für qualitativ bessere Milch höhere Milchpreise zu erzielen. "Bisher wird von den Schweizer Milchbauern höhere Qualität verlangt, aber am Markt wird die Milch unabhängig von der Qualität verkauft", sagt Thomas Reinhard von der SMP.

Allerdings heisst es nicht zuletzt aufgrund der Motion Kunz nun beim zuständigen Bundesamt für Veterinärwesen (BVET), es gebe "keine Notwendigkeit", die Grenzwerte zu lockern. "Die Branche wollte die Anpassung", sagt Josef Schmidt, Vizedirektor beim BVET. "Aber die Höhe der Grenzwerte hat keine grosse Bedeutung und keinen Einfluss auf die Lebensmittelsicherheit." Wichtig sei die Erhöhung der Kontrollen von 14 auf 24. Die Verordnung werde voraussichtlich im Mai in die Anhörung kommen. Möglicherweise eben mit den angestammten höheren Grenzwerten.

Auch Milchspezialist Schaeren hält es nicht für entscheidend, ob letztlich die EU-Grenzwerte oder die bisherigen Schweizer Grenzwerte gelten: "Wichtig ist, wie das Sanktionssystem aussieht." Beispielsweise, ob die Milch nach drei oder nach fünf Beanstandungen gesperrt werde. Diese Frage wird ebenso zu klären sein wie diejenige nach dem Geld. Denn schon jetzt ist klar, dass die vier Millionen Franken, die der Bund für die Milchprüfung budgetiert hat, nicht reichen werden.



Was gute Milchqualität bedeutet

Für die Qualität der Milch gibt es verschiedene Indikatoren:

Zellzahl: Bei Euterentzündungen (der so genannten Mastitis) bildet die Kuh Abwehrzellen, die vom Blut in die Milch gelangen. Je schwerer die Entzündung, umso mehr Abwehrzellen sind vorhanden. Milch, die mit hohen Zellzahlen belastet ist, ist nicht gesundheitsgefährdend. Sie kann aber bei der Verarbeitung Probleme machen und kann geschmacklich verändert sein.

Keimzahl: Bakterielle Keime in der Milch sind meist ein Zeichen von mangelnder Hygiene beim Melken oder Lagern. Frische Milch aus gesunden Eutern enthält höchstens wenige Hundert Keime pro Milliliter, aus der unmittelbaren Umgebung der Tiere können höchstens einige Tausend Keime stammen. Von unsauberem Milchgeschirr hingegen können bis zu 100'000 Keime stammen. Keime können Krankheitserreger sein oder Produktschädlinge, die die korrekte Verarbeitung der Milch erschweren oder verunmöglichen.

Hemmstoffe: Zu Behandlung von Euterentzündungen werden Antibiotika eingesetzt. Wenn die Milch zu früh nach der Behandlung wieder abgeliefert wird, finden sich darin Rückstände der Hemmstoffe.



Auswertung der Keimzahl unter dem Mikroskop



Ausreisser eingeebnet

Für die Berechnung des massgebenden Wertes für Zell- und Keimzahlen wird für jeden Monat aus beiden Proben eines Milchbetriebes das so genannte geometrische Mittel der Werte erhoben. Damit werden Ausreisser bei den Messungen "eingeebnet". Konkret werden die beiden Werte miteinander multipliziert und aus dem Resultat wird die Wurzel gezogen. Der entstehende Wert ist näher beim tieferen als beim höheren Ausgangswert, was den Produzenten entgegenkommt. Werden zum Beispiel die zwei Werte 370'000 und 430'000 gemessen, resultiert ein Wert von 398'873, also knapp unter dem EU-Grenzwert.

(Quelle: LID / Roland Wyss-Aerni)

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