Food aktuell
Varia
13.5.2010
ETH-Reorganisation in der Kritik

Die ETH Zürich wird das Departement Agrar- und Lebensmittel-wissenschaft auflösen und die beiden Bereiche auf neue Departemente verteilen. In der Landwirtschaft ist man alarmiert. Bild: ETH-Hauptgebäude.

Für die Betroffenen ist es ein Paukenschlag: Die ETH-Leitung hat beschlossen, das Departement für Agrar- und Lebensmittelwissenschaften (D-AGRL) per Ende 2011 aufzulösen. Künftig sollen die Lebensmittelwissenschaften zusammen mit den Ernährungs-, Bewegungs- und Neurowissenschaften in ein neues Departement unter dem Namen Health, Science and Technology HEST integriert werden.

Die Agronomie, konkret das Institut für Pflanzen-, Tier- und Agrarökosystemwissenschaften IPAS, soll dem neuen Departement Umwelt und natürliche Ressourcen angegliedert werden. Die Änderung geschehe, "um Antworten auf drängende gesellschaftliche Fragen zu erhalten, sowie durch den verschärften Wettbewerb in der Wissenschaft", heisst es in einer Medienmitteilung der ETH.

Gegenüber dem LID erklärt Ralph Eichler, Präsident der ETH, allerdings, der Hauptgrund für die Neuaufteilung seien die sinkenden Zahlen bei den Agronomen. Die Frage habe sich gestellt, wie man diesen Lehrgang attraktiver machen könne. Tatsächlich ist die Zahl der Studienanfänger unter den Agronomen von rund 70 Anfang der Neunzigerjahre auf rund 30 gesunken – für das nächste Studienjahr gibt es derzeit 38 Anmeldungen. Bei den Lebensmittelwissenschaften (LM-Ing) sind es jeweils rund 70.

An der Zürcher Hochschule für Angew. Wissenschaften ZHAW steigen die LM-Ing-Studentenzahlen stetig – eine Konkurrenz für die ETH. In den meisten Jobs sind praxis- und nicht wissenschafts-orientierte LM-Ing gefragt.

Die Studenten sind verärgert und verunsichert. An einer Aussprache vom 4. Mai an der ETH machten sie ihren Emotionen Luft. Die Professoren des Departementes versuchten zwar, die Wogen zu glätten. Aber auch sie wurden vom Entscheid der ETH-Führung überrumpelt.

Trennen, was zusammengehört

Der Schweizerische Bauernverband kritisiert den Entscheid: Wenn die Agronomie kein eigenes Departement mehr habe, dann schwinde auch ihre Bedeutung, wird befürchtet. ETH-Präsident Eichler versteht zwar, dass das Verschwinden des Namens aus der Departementsebene ein Problem ist. Die Departementsgrenzen seien aber willkürlich, man solle das nicht überbewerten.

Mit der Trennung von Agrar- und Lebensmittelwissenschaften gehe auch die Verbindung von Landwirtschaft und Verarbeitung verloren, befürchtet man beim Schweizerischen Verband der Ingenieur Agronomen und Lebensmittel-Ingenieurinnen (SVIAL), der die ehemaligen ETH-Absolventen umfasst.



Blick in den Pilot Plant des Labors für Lebensmittel-Technologie: Brabender-Extruder für die Kochextrusion von Getreidemehlen.


"In den letzten Jahren hat man aber gemerkt, wie wichtig diese Verbindung ist", sagt SVIAL-Geschäftsführer Michel Roux. Die Einführung von neuen Technologien oder Produkten habe jeweils Wechselwirkungen in der ganzen Wertschöpfungskette zur Folge. Ebenso wichtig sei, dass die tatsächlichen Bedürfnisse der Arbeitgeber berücksichtigt würden. "Es darf nicht sein, dass nur die Professoren definieren, wie die Studiengänge in Zukunft aussehen." Umso mehr, als Agronomen im Arbeitsmarkt sehr gesucht seien.

Schon wieder Änderungen

Der Entscheid kommt nicht zuletzt deshalb überraschend, weil das Departement AGRL schon vor zwei Jahren umgekrempelt wurde. Nachdem die Agronomie an der ETH lange eine geschwächte Stellung hatte – die reine Produktionsmaximierung war in Zeiten von Agrarüberschüssen überholt – führte unter anderem die Ernährungskrise 2007 und 2008 dazu, dass das D-AGRL sich umorientierte und sich mit der Ausbildung von Fachleuten für das "World Food System" ein neues Leitbild gab. Der Schwerpunkt "World Food System" werde als interdepartementale Koordinationsstelle beibehalten, sagt ETH-Präsident Eichler. Und inhaltlich werde sich an den Studiengängen nichts ändern.

SVIAL-Direktor Michel Roux bleibt aber skeptisch. "Die Nebenwirkungen des Entscheides werden wohl unterschätzt", sagt er. Der SVIAL werde sich jedenfalls dafür einsetzen, dass die Verbindung zwischen Agrar- und Lebensmittelwissenschaften auch in Zukunft stark bleibe. (Text: LID / Roland Wyss-Aerni)

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