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Varia
6.7.2010
Speisereste-Verfütterung beibehalten?

Noch dürfen Speiseabfälle an Schweine verfüttert werden. Der Bundesrat will dies aufgrund von Verträgen mit der EU verbieten. Widerstand kommt vom Nationalrat, der sich für eine Fortsetzung stark macht.


Speiseabfälle müssen gekocht werden, um das Seuchenrisiko zu verkleinern. Die EU hat deren Verfütterung bereits verboten. Der Bundesrat will nachziehen. (Bild: Suisseporcs)

Ob in der Hotellerie, im Restaurant, im Spital oder in der Kantine: Überall fallen sie an, die Küchen- und Speisereste. Doch wie sollen diese entsorgt werden? Die EU hat diese Frage bereits im Jahr 2002 beantwortet: Küchen- und Speisereste gehören in Biogasanlagen, auf keinen Fall aber in den Schweinetrog. Begründet wird dieses Verbot mit der von den Abfällen ausgehenden Seuchengefahr. So ging der Ausbruch der verheerenden Maul- und Klauenseuche in Grossbritannien im Jahre 2001, wo Tausende Tiere notgeschlachtet werden mussten, mit grosser Wahrscheinlichkeit auf das Verfüttern von Speiserückständen zurück.

Die von EU-Staaten umgebene Schweiz ist diesbezüglich eine Insel: Seit 2006 ist sie das einzige Land in Europa, wo Speiseresten verfüttert werden dürfen. Allerdings nicht mehr lange: Da sich die Schweiz in den bilateralen Verträgen mit der EU verpflichtet hat, Tierseuchen in gleicher Weise vorzubeugen und zu bekämpfen, ist sie unter Zugzwang. Das Bundesamt für Veterinärwesen (BVet) hat mit der EU eine Übergangsfrist ausgehandelt, welche am 1. Juli 2011 endet. Ab dann gilt das Verbot auch in der Schweiz.

Gegen ein Verbot

Gegen dieses drohende Verbot wehrt sich Marcel Scherer. Der Zuger SVP-Nationalrat hat noch im gleichen Jahr, in dem die EU ein Verbot aussprach, die Motion "Weiterführung der Verwertung von Speiseresten zu Tierfutter" eingereicht. Das war 2006. Vom National- und Ständerat gutgeheissen, stellte der Bundesrat damals klar, dass die Schweiz nicht an der Praxis festhalten werde, da dadurch der EU-Marktzugang stark behindert würde. Das will die Landesregierung nicht riskieren.

Am 17. Juni 2010 sollte die Motion deshalb auf Antrag des Bundesrates abgeschrieben werden. Der Nationalrat sprach sich aber bei nur einer Gegenstimme klar für die Weiterverfolgung der Motion aus. Damit folgte die grosse Kammer der Empfehlung der Kommission für Wirtschaft und Abgaben (WAK), welche die Verfütterung von Lebensmittelabfällen aufgrund der geltenden strengen Vorschriften weiterhin erlauben will.

Sinnvolle Verwendung

"Damit kommt es wohl zu einem Kräftemessen zwischen Parlament und Verwaltung," erklärt Scherer. Falls sich National- und Ständerat gegen ein Verbot aussprechen, müsse man mit dem Staatsvertrag nochmals über die Bücher. Am meisten missfällt ihm, dass die Schweiz aufgrund des Staatsvertrages EU-Regelungen einfach übernehmen müsse. Er verweist auf die strengen schweizerischen Vorsichtsmassnahmen, dank deren seit 1993 keine Schweinepest und seit 1965 keine Maul- und Klauenseuche mehr ausgebrochen sei.

Heute dürften nur konzessionierte und hochtechnisierte Betriebe Speiseresten zu "Schweinesuppe" verarbeiten. Bevor diese im Trog lande, müsse sie sterilisiert werden, damit allfällige Keime abgetötet würden. Mit einem Verbot aber würde eine ökologisch sinnvolle Verwertung von Nahrungsmitteln verunmöglicht. Vor allem gingen wertvolle Eiweisse verloren, die dann in Form von Sojabohnen importiert werden müssten – aus Ländern, wo die Bevölkerung womöglich Hunger leide. Für Scherer hat ein Verbot der Verfütterung von Speiseabfällen deshalb auch eine ethische Komponente.

EU droht mit Sanktionen

Auch Marcel Falk vom BVeT hält das Verfüttern von Speiseresten grundsätzlich für ökologisch sinnvoll. Analysen hätten gezeigt, dass das von diesen Abfällen ausgehende Seuchenrisiko aber real sei. "Der Grund für das komplette Verbot ab Juli 2011 ist jedoch das Ziel der Marktöffnung", sagt Falk. Das Abkommen mit der EU sieht einen gemeinsamen Veterinärraum ohne tierärztliche Grenzkontrollen vor. Ziel davon ist die Erleichterung des Fleischhandels und Tierverkehrs. Das setzt aber identische Tierseuchenbestimmungen voraus. Will heissen: Die Schweiz muss die Schweinesuppe verbieten. "Die EU hat bereits signalisiert, dass aus ihrer Sicht die Vorschriften der Schweiz nicht die gleiche Sicherheit bieten wie ein Verbot", erklärt Falk.

Bleibe die Schweiz bei der gegenwärtigen Praxis, drohten tiefgreifende Einschränkungen beim Marktzugang. Das hätte nachteilige Folgen für die hiesige Landwirtschaft, gehen doch zwei Drittel ihrer exportierten Produkte in den EU-Raum. Allfällige Restriktionen durch die EU wegen der Beibehaltung der Schweinesuppe seien auch deshalb zu vermeiden, weil nur gerade fünf Prozent der Schweineproduzenten Speiseabfälle einsetzen. Und von den Betrieben, die eine Bewilligung zur Aufbereitung solcher Resten besitzen, gebe es schweizweit nur circa 200.

Biogas als Alternative

Falk erinnert daran, dass es nebst der Verfütterung der Speiseresten eine weitere sinnvolle Verwertungsform gibt: Die Herstellung von Biogas. "Was früher Abfälle waren, sind heute begehrte Ressourcen." Wie eine Anfrage bei Coop und Migros ergibt, führen die beiden Detaillisten den grössten Teil ihrer nicht mehr essbaren Lebensmittel und Speiseresten bereits der Gasproduktion zu. Von den jährlich 12'000 Tonnen sind dies zwei Drittel, wie Coop-Sprecherin Sabine Vulic erklärt. Und Monika Weibel von der Migros: "Der Anteil, der für Tierfutter verwertet wird, ist bereits heute minimal." Beide Detaillisten sprechen sich für eine Harmonisierung der Tierseuchengesetzgebung und gegen einen Sonderzug aus.

Marcel Scherer gibt aber zu bedenken, dass die Verwertung von Speiseresten in Biogasanlagen ein viel grösseres Seuchenrisiko beinhalte. Die EU habe deshalb die Vorschrift erlassen, dass dort, wo Biogas produziert wird, im Umkreis von 300 Metern keine Klauentiere gehalten werden dürfen. In der Schweiz gebe es aber keine vergleichbare Regelung. (LID / Michael Wahl)



Rund zehn Prozent der Schweine werden mit Abfällen aus der Küche gefüttert.



Hintergrund-Infos: Essensreste sind kein Saufrass

175 Gramm Speisereste und Küchenabfälle bleiben nach einer Mahlzeit im Restaurant oder in der Kantine übrig. 200,000 Tonnen Salat, Hörnli, Brot oder Hackfleisch sammeln sich so jährlich in den Gastronomiebetrieben. Häufig wandern diese Abfälle nicht in die Kehrichtverbrennungsanlage, sondern werden von Lebensmittelrecyclern zu Schweinesuppe verarbeitet. Einwandfrei muss das Überbleibsel der menschlichen Ernährung sein, soll es den Schweinen vorgeworfen werden. Weder schimmliger Käse noch faule Eier dürfen im Futtertrog landen. Sonst drohen Tierseuchen und massenhaft Notschlachtungen.

Risiko ist gleich Null

Einer der ganz Grossen im Recyclinggeschäft ist Werner Humbel aus dem aargauischen Stetten. Vom Abholen in den Restaurants über die Verarbeitung bis hin zur Lieferung an die Bauern – Humbel und seine Leute machen alles. "Zwei Millionen Franken habe ich vor vier Jahren in die Infrastruktur zur Verarbeitung von Speise- und Küchenresten investiert", sagt Humbel. In seiner Anlage erhitzt er die Lebensmittelreste während 20 Minuten auf 100 Grad Celsius. Seinen 1,500 Schweinen setzt er fast ausschliesslich Nebenprodukte aus der Lebensmittelindustrie vor, neben Resten aus der Küche auch solche, die bei der Produktion von Käse oder Pommes Frites anfallen. "In der Schweiz werden etwas weniger als zehn Prozent der Schweine mit Speiseresten gefüttert", schätzt Humbel.

Eine Praxis, die vom Bundesamt für Veterinärwesen (BVET) "überprüft wird", wie Amtssprecher Marcel Falk sagt. "So ökologisch sinnvoll die Verfütterung ist, von der Schweinesuppe geht auch eine reale Gefahr aus. Es konnte eindeutig nachgewiesen werden, dass viele der Tierseuchenausbrüche, die in den letzten Jahren in Europa ausgebrochen sind, auf die Verfütterung von Speiseresten zurückgehen." Als Beispiel sei etwa die verheerende Maul- und Klauenseuche in Grossbritannien im Jahr 2001 zu nennen oder diejenige von 1993 in der Schweiz.

Die Verwertung der Speiseresten müsse deshalb sicherer werden – auch in der Schweiz, sagt Falk. Deshalb möchte das BVET das Verfüttern der Schweinesuppe am liebsten verbieten oder zumindest die Vorschriften verschärfen. Humbel kennt das Risiko, das von den Lebensmittelresten ausgehen kann, doch das "Seuchenrisiko ist gleich null, wenn die Reste korrekt erhitzt werden".

Genau daran zweifelt das Bundesamt. Es stehe nicht alles zum Besten bei den Lebensmittelrecyclern, sagt Falk. Es gebe einiges zu beanstanden. Von schwarzen Schafen in der Branche weiss auch Humbel: Es gebe solche, die transportierten ihre Schweine im gleichen Lastwagen, in dem sie zuvor die Lebensmittelreste geholt hätten. "Das BVET hat bei einigen der 218 kantonal anerkannten Lebenbensmittelrecyclern unangemeldete Kontrollen durchgeführt. Nur wenige arbeiteten einwandfrei. Bei mehreren gab es kleinere Mängel, die Mehrheit verstiess grob gegen die geltenden Vorschriften", sagt Humbel.

Schuld liegt bei den Kantonen

Für Humbel ist klar: Schuld an dieser Misere haben die kantonalen Veterinärämter. Diese seien seit 2003 für die Bewilligungen und die Kontrolle der Betriebe zuständig. Doch die Kontrollpflicht nehme man bei den Kantonen nicht ernst. Er habe auch schon Lebensmittelrecycler angezeigt, weil er Kenntnis davon hatte, dass diese unsauber arbeiteten. Die zuständige Behörde hätten ihn jeweils unwirsch abgewimmelt. "Dabei hätten diejenigen, die sauber arbeiten, das grösste Interesse daran, dass korrekte Kontrollen durchgeführt werden", sagt Humbel. Nur so könne das Seuchenrisiko eliminiert werden. Es brauche sicherlich keine schärferen Vorschriften, sondern die bestehenden müssten vollzogen werden.

"Die mangelnde Kontrolle seitens der Kantone ist sicherlich eines der Probleme", sagt BVET-Sprecher Falk. Trotzdem, strengere Regeln brauche es ohnehin. Ein guter Seuchenschutz sei im Interesse der Schweiz, aber auch unabdingbar, um den erleichterten Marktzutritt zur EU nicht zu gefährden. Durch die Abkommen im Bereich Tiergesundheit und Lebensmittelhygiene mit der EU sei die Schweiz verpflichtet, ihre Verordnungen derjenigen von der EU anzugleichen. Die Verfütterung der Lebensmittelreste ist ab Ende Oktober 2006 EU-weit strikte untersagt.

GastroSuisse befürchtet Probleme

Der nationale Verband für Hotellerie und Restauration, GastroSuisse, ist davon überzeugt, dass ein Verfütterungsverbot von Speiseresten und Küchenabfällen die Branche vor "bedeutende Probleme" stellen würde. Jährlich fielen 300,000 Tonnen Speisereste und Küchenabfälle an, alleine in der Gastronomie 100,000 Tonnen. Davon würden mehr als zwei Drittel verfüttert.

GastroSuisse befürchtet, dass durch ein Verfütterungsverbot die Entsorgungskosten ansteigen würden: "Die alternative Entsorgung in Kompogas-Anlagen würde dazu führen, dass sich die Transportwege und damit die Kosten massiv erhöhen würden", sagt der stellvertretende GastroSuisse-Direktor Hans Peyer. Zudem lasse sich durch die Verfütterung der Lebensmittelbestandteile 40,000 bis 50,000 Tonnen Soja einsparen, das importiert werden müsste. GastroSuisse fordert, dass Speisereste und Küchenabfälle verfüttert werden dürfen, "solange dies ohne Risiko möglich ist".

Konsumentenschützer sind empört

Bei der Stiftung für Konsumentenschutz (SKS) hat man wenig Verständnis für ein allfälliges Verfütterungsverbot von Speiseresten und Küchenabfällen. "Ein solches Verbot wäre unethisch und unnötig. Ich würde sogar sagen, ein solches Verbot wäre pervers", sagt SKS-Geschäftsführerin Jacqueline Bachmann. Natürlich müsse sichergestellt werden, dass die Hygienevorschriften eingehalten würden, aber es wäre falsch, solch wertvolle Proteine zu verbrennen. "Und eines darf man nicht vergessen: Das Meiste, was im Schweinetrog landet, war ja auch gut genug für uns Menschen." (Text: Karin Iseli-Trösch)

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