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Varia
3.8.2010
Wie gut schmeckt Hors-Sol Gemüse?

Hängende Erdbeeren in Substratkultur, gemeinhin Hors-sol genannt. Durch die weissen Schläuche werden Dünger und Wasser eingetröpfelt.

Erdbeeren auf Steinwolle, Tomaten auf Kokosfasern – Pflanzen brauchen nicht unbedingt Boden, um zu wachsen. Manchmal reichen auch so genannte Substrate und die richtigen Nährstoffe. Vor allem spezialisierte Gemüse- oder Beerenproduzenten setzen auf Substratkulturen. Substratkulturen sind auch unter dem Namen "Hors-sol" bekannt. Dieser ist mit einem eher negativen Image behaftet. Die Bezeichnung Hors-sol bedeutet, dass eine Pflanze bodenunabhängig gezogen wird.

"Für die Pflanzen spielt es eine untergeordnete Rolle, ob sie in einem gewachsenen Boden oder in einem Substrat wachsen – Hauptsache, sie erhalten die richtigen Nährstoffe und Wasser in der richtigen Menge zur richtigen Zeit", erklärt René Steiner, Präsident des Forums Forschung Gemüse (FFG). Deshalb kann, abgesehen von Erde, eine ganze Palette von Substraten verwendet werden. Im Gemüse- und Beerenanbau kommen heute am häufigsten Kokosfasern zum Einsatz.

Aufwendige Infrastruktur

"Das schlechte Image der Hors-sol Kulturen kommt daher, dass sich der Anbau stark von den traditionellen Verfahren der Landwirtschaft unterscheidet", sagt René Steiner. Der bodenunabhängige Anbau wirke unnatürlich. "Es gibt Leute die kritisieren, dass damit ein ganz neuer Betriebszweig entstehe, der nichts mehr mit angestammter Landwirtschaft zu tun habe." Tatsächlich benötigt der Produzent für den Anbau von Substratkulturen eine aufwendige Infrastruktur. Die Pflanzen werden in einem Gewächshaus gehalten. Es gibt verschiedene Möglichkeiten der Systemeinrichtung, verbreitet sind hängende oder aufgebahrte Rinnen, auf denen die Kultur in Substratmatten oder -kissen wurzeln.

Die genaue Bewässerung mit gleichzeitiger Zugabe des Düngers wird per Computer gesteuert. Im Zierpflanzenbau kann auch die Belichtung der Kultur über den Computer gesteuert werden. "Die Rinne, worauf das Substratkissen liegt, ist leicht schräg angebracht, damit die überschüssige Nährflüssigkeit – die Drainage – abfliessen kann", sagt Steiner. Entweder wird dieser Flüssigkeitsüberschuss aufbereitet und für dieselbe Kultur wieder verwendet. Oder die Drainage wird gesammelt und für eine andere Kultur wie Gülle verwendet. Bei der zweiten Variante hat man zwar für die Gewächshauskultur einen gewissen Nährstoffverlust, dafür werden keine Krankheiten übertragen.

Zum schlechten Ruf der Substratkulturen gehört auch das Vorurteil, die Produkte seien geschmacklich weniger gut als solche aus traditionellen Kulturen. "Nach meiner Erfahrung, auch aus Blindtests mit kritischem Publikum, kann kein Unterschied im Geschmack festgestellt werden", sagt René Steiner. Viel wichtiger seien die Sortenwahl und der Reifegrad sowie die Lagerung und Zubereitung der Produkte. "Der Ruf von Hors-sol ist eine Glaubenssache", meint Steiner. (Text: LID / Seraina Dübendorfer)



René Steiner mit einer Tomatenkultur auf Steinwolle.



Hors Sol-Qualität ist besser als ihr Ruf

Hors Sol-Gemüse hat ein Imageproblem, nicht nur, weil es mit einer industrie-ähnlichen und ökologisch umstrittenen Methode produziert wird, sondern auch, weil man ihm faden Geschmack nachsagt. „Heute können Hors Sol-Produkte mit vollem Geschmack erzeugt werden“, so Marc Wermelinger Geschäftsführer des Verbandes des Schweizerischen Gemüse-, Früchte- und Kartoffelhandels Swisscofel: „Nicht die Anbaumethode sondern die Sorte und der Reifegrad bestimmen den Geschmack.

Die Landwirte haben die Prioritäten geändert und bauen heute schmackhaftere Gemüsesorten an. Früher haben die hohen Hors Sol-Investitionen zur Pflanzung von schnell wachsenden, faderen Sorten verleitet. Ausserhalb der Hauptsaison hat Hors Sol-Gemüse seine Berechtigung“.

Die gedeckten Hors Sol-Kulturen ergeben erfahrungsgemäss optisch makellose und regelmässige Gewächse, im Gegensatz zu Freilandkulturen, die ja allen positiven und negativen Einflüssen der Natur stärker ausgesetzt sind. Zum Thema Konsumenteninformation weist Wermelinger darauf hin, dass die Obst- und Gemüsebranche Hors Sol-Anbau freiwillig auf der Etikette deklariert, damit der Konsument die Wahlfreiheit hat.

Auch der heute pensionierte Agroscope-Gemüseforscher Ernst Höhn bestätigt: „Ob Hors Sol oder Anbau im gewachsenen Boden hat theoretisch keinen Einfluss auf die Qualität, sondern vor allem Klima und Pflege. In der Praxis hingegen kommen bei beiden Methoden kaum ideale Wachstumsbedingungen vor: Im freien Feld kann man die Witterungseinflüsse nicht kontrollieren, hingegen schöpft man bei Hors Sol-Kulturen das Qualitätspotenzial oft nicht aus, weil man den Zielkonflikt zwischen der Qualität und den Kosten für die Pflanzen-Wachstumsfaktoren durch Kompromisse löst“. (Text: foodaktuell.ch). Bild: Konventionelle Tomatenstaude im Boden wachsend in einem Gewächshaus.

Wirtschaftlichkeit abwägen

Für grosse und spezialisiert Gemüsebaubetriebe ist der Anbau von Substratkulturen interessant. Auf kleinem Raum kann ein grosser Ertrag erzielt werden, oft reifen die Pflanzen schneller und können ausserhalb der eigentlichen Saison kultiviert werden. Wasser und Dünger werden gespart. Im selben Jahr können mehrer Kulturen nacheinander angepflanzt werden, die Ernte kann genauer terminiert werden und der Anbau ist sicherer. Die Produzenten können ihre Abnehmer so regelmässig beliefern.

Substratkulturen bedingen aber hohe Investitionen und Produktionskosten. Peter Konrad, Präsident der Schweizerische Zentralstelle für Gemüsebau und Spezialkulturen (SZG), sagt: "Die technische Infrastruktur kostet rund noch mal so viel wie die neue Hülle eines Gewächshauses."

Ökologische Auswirkungen sind umstritten

Wie ökologisch Substratkulturen sind, ist umstritten. Auf der einen Seite können Wasser, Nährstoffe und auch Pflanzenschutzmittel genau dosiert und so sparsam eingesetzt werden. Schädlinge können mit dem Einsatz von Nützlingen in Schach gehalten werden. Eine Unkrautbekämpfung entfällt bei Hors-sol-Kulturen vollständig.

Positiv schlägt auch zu Buche, dass dank der Hors-sol-Produktion in Gewächshäusern Kulturen auch ausserhalb der eigentlichen Saison im Inland produziert werden können und damit lange Import-Transportwege vermieden werden. Auf der anderen Seite verbraucht die Heizung von Gewächshäusern sehr viel Energie.

Im biologischen Landbau ist der Anbau von Hors-sol-Gemüse verboten. "Die Grundlage des Biolandbaus ist ein gesunder, humusreicher Boden", sagt Stephan Jaun, Leiter Information von Bio Suisse." Nur schon wegen diesem Grundsatz kommt die Hors-sol-Produktion bei Knospe-Betrieben nicht in Frage."

Offene Grenzen könnten zu einem Boom führen

In der Schweiz wurde die erste Substratkultur vor 20 Jahren eingerichtet. Die Anbaufläche hat kontinuierlich zugenommen und lag im Jahr 2008 bei knapp 90 Hektaren. Der Anbau von Tomaten ohne Substrat wäre heute wegen der grossen Nachfrage und allfälligen Bodenkrankheiten gar nicht mehr denkbar. Neben Geld braucht es für den Betrieb von Substratkulturen auch viel Know-how.

Auf dem inländischen Markt sind die Schweizer Gemüseproduzenten vom Preisdruck des Auslandes etwas geschützt. Damit lohnt es sich für viele Betriebe noch nicht, in grossem Stil auf Hors-sol-Produktion umzusteigen. Bei einer Öffnung der Marktgrenzen könnten die Substratkulturen laut Steiner aber auch in der Schweiz an Bedeutung gewinnen. "Bei den gemüsebaulichen Substratkulturen erwarte ich bei der momentan bestehenden schweizerischen Marktlage keine sprunghaften Veränderungen. Es kann jedoch laufend mit einem leichten Aufwärtstrend gerechnet werden, da immer mehr Gemüse gegessen wird."

Gemüse aus dem Hochhaus

Etwas anders zeigt sich das Bild auf globaler Ebene. "Es ist eine Art Zukunftsvision, dass Ressourcenprobleme mit Substratkulturen gelöst werden können", erklärt Peter Konrad. Der Anbau von Gemüse und Früchten auf Substrat ist bodenunabhängig, deshalb kann praktisch unbeschränkt in die Höhe oder in Etagen angepflanzt werden.

Damit könnte die Ernährung beispielsweise in Megastädten wie Kairo, wo bereits Bodenmangel herrscht, vor Ort sichergestellt werden: "Die Pflanzen könnten auch auf den Hausdächern kultiviert werden", sagt Peter Konrad. Auf kleinem Raum und ortsunabhängig kann viel mehr produziert werden. "Sobald viele Menschen ernährt werden müssen, Wasser und Boden knapp sind, lohnt sich der Einsatz von Substratkulturen." (Text: LID / Seraina Dübendorfer)

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