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Varia
24.2.2011
«Grüne» Milch soll Milchmarkt entspannen

In der Milch steckt immer mehr ausländisches Kraftfutter. Futterbauexperte Peter Thomet fordert ein Umdenken: Milch aus Gras und Heu sei nicht nur ökologischer, sondern auch qualitativ besser. Die IPSuisse will in Kürze eine solche Grasmilch lancieren.



Möglichst wenig Kraftfutter, dafür umso mehr Gras und Heu. So sollen Bauern ihre Kühe füttern, fordert Peter Thomet.


Andreas Geisler hat allen Grund zur Freude: "Der Absatz ist 2010 gegenüber dem Vorjahr um 44 Prozent gestiegen. Der Export beträgt 30 Prozent." Geisler ist Koordinator bei der österreichischen Arbeitsgemeinschaft Heumilch. Diese setzt auf eine naturnahe Fütterung: Im Sommer fressen die Kühe frisches Gras, im Winter Heu. Kraftfutter wird nur dosiert eingesetzt. Dafür erhalten die Bauern rund zehn Prozent mehr Geld für ihre Milch. Beworben wird die Heumilch als "die urspünglichste Form der Milchproduktion", als eine Milch, die sich dank erstklassiger Qualität in Geschmack und Inhaltsstoffen abhebt.

In der EU werden heute nur noch drei Prozent der Milchmenge nach diesen Standards produziert, in Österreich sind es 15 Prozent. Die Heumilch-Bauern besetzen damit erfolgreich eine – wachsende – Nische. "Das Ziel ist es, den 8'000 Heumilch-Lieferanten und den 60 Verarbeitern eine Perspektive für einen sich öffnenden Milchmarkt in der EU nach dem Auslaufen der Milchkontingentierung zu geben", erklärt Geisler.

Austauschbare Massenmilch

Was in Österreich erfolgreich praktiziert wird, fordert Peter Thomet, Dozent an der Schweizerischen Hochschule für Landwirtschaft auch für die Schweiz: Eine Milchproduktion, die primär auf Wiesen- und Weidefutter basiert und bei der weitgehend auf Kraftfutter verzichtet wird. "Kühe können ihren Nährstoffbedarf fast vollständig mit Graslandfutter decken."



Schweizer Milchkühe werden zu rund 80% mit Gras bzw Heu und zu rund 20% mit Kraftfutter gefüttert.


Heute verfolgten die Bauern aber eine Hochleistungsstrategie, bei der es einzig darum gehe, möglichst viel Milch pro Kuh und Jahr zu produzieren. Deshalb habe der Einsatz von Kraftfutter in den letzten Jahren dramatisch zugenommen (siehe Kasten und Grafik auf Seite 6), zumal dessen Einfuhr wegen Zollabbaus billiger wurde. So können Bauern dank zugekauftem Kraftfutter mehr Tiere halten, ohne über die hierfür nötige Futterfläche zu verfügen. "Eine Hors-Sol-Produktion ist das", erklärt Thomet. Als Folge werde eine austauschbare Massenmilch produziert, die sich wegen des zunehmenden Kraftfuttermittel-Einsatz bald nicht mehr von ausländischer Milch unterscheide. Für Thomet ist klar: "Damit sägen wir am eigenen Ast."

Möglichst wenig Futtermittel

Deshalb fordert der Futterbau-Experte ein Umstellen auf Gras und Milch. Der Zeitpunkt hält er für ideal, zumal die Milchpreise im Keller sind und die Preise für importiertes Futtermittel wie Soja derzeit stark anziehen. Kostengünstiges und betriebseigenes Futter gebe es in der Schweiz zuhauf, zumal 75 Prozent der landwirtschaftlichen Nutzfläche Wiesen und Weiden seien. "Ausserdem verfügt die Schweiz über das beste Graswachstum in Europa." Diesen Vorteil gegenüber anderen Nationen gelte es zu nutzen.

Für Christoph Grosjean-Sommer, Mediensprecher des Dachverbandes Schweizer Milchproduzenten (SMP), braucht es kein Umdenken, denn: "Die Schweizer Milch wird bereits zu rund 80 Prozent aus Gras und Heu produziert. So schnell wird sich dies nicht ändern." Und: Im Ausland werde hingegen bis zu drei Mal mehr Kraftfutter eingesetzt. "Doch diese Trümpfe sind dem Handel einfach noch nichts wert. Mangels Nachfrage musste 2008 das von den silofreien Milchproduzenten getragene Programm Wiesenmilch, ein mit der österreichischen Heumilch vergleichbares Programm, eingestellt werden."

Mehrpreis dank Vorzügen

Für Thomet ist klar: Eine auf Grasland basierende Milchproduktion ist nachhaltiger, ökologischer und sie mache die Bauern unabhängiger von Kraftfuttermittel-Importen. Zwar nehme die Milchleistung von Kühen ab, wenn weniger Kraftfutter eingesetzt werde, doch können Bauern im Gegenzug Kosten einsparen.

Thomet erinnert daran, dass gerade Futter- und Fütterungskosten das Portemonnaie der Bauern am meisten belasten. Vor allem aber sei eine "grüne Milch" gesünder: "Die Grasmilch enthält mehr Omega-3-Fettsäuren, welche etwa Herz-Kreislauf-Krankheiten vorbeugen." Diese Vorzüge gelte es den Konsumenten zu kommunizieren. Gelinge das, seien diese auch bereit, einen Mehrpreis zu bezahlen, ist Thomet überzeugt.

Vermarktungspotenzial sieht der Agronom zudem im Export von Schweizer Grasmilch. "In der EU basiert die Milchproduktion massgeblich auf Mais und Kraftfutter." Eine "grüne", qualitativ hochstehende Schweizer Milch würde sich abheben und ihre Käufer finden. Thomet appelliert deshalb an die Schweizer Bauern, einen Kurswechsel vorzunehmen.



Vor allem Mais und Kraftfutter erhalten EU-Kühe


"Entscheiden wird dies der Markt", sagt SMP-Sprecher Grosjean-Sommer. "Nicht die Produktion ist heute das Problem, sondern die dafür nötige Zertifizierung und Logistik, die Mehrkosten verursacht. Werden Produkte aus Grasmilch verlangt, lassen sich auch Verarbeiter und Produzenten finden." Aus Sicht der Bauern sei es wichtig, dass die höheren Verkaufspreise auch tatsächlich an die Produzenten weiter gegeben würden.

IP-Suisse will Grasmilch lancieren

Auf Anklang stiess Thomets Vision bei der IP-Suisse. "Wir stehen kurz vor der Lancierung", erklärt Geschäftsführer Fritz Rothen. Die Richtlinien seien definiert und erste Info-Gespräche mit Vermarktern hätten stattgefunden. Wann es die IP-Suisse-Milch zu kaufen gibt, steht aber noch nicht fest. Rothen hält den Zeitpunkt für ideal. Der Milchmarkt sei am Boden, ein Umdenken daher nötig. "Nur wenn wir konsequent auf Qualität statt auf Massenproduktion setzen, können wir uns vom Ausland absetzen und den Bauern eine Perspektive bieten."

Die Migros, die mit der IP-Suisse zusammenarbeitet, will zu den Vermarktungschancen einer Grasmilch keine Stellung nehmen. Mediensprecher Urs Peter Naef erklärt auf Anfrage, dass es bereits heute viele verschiedene Milchsorten geben würde – von der herkömmlichen Milch über Heidi-Milch bis zur Aus-der-Region-Milch. Falls es ein Kundenbedürfnis nach einer solchen Milch bestehe, würde die Migros das aber prüfen.

Kühe fressen immer mehr ausländisches Kraftfutter

Seit 1990 hat die in der Schweiz produzierte Milchmenge um sechs Prozent bzw. um 250'000 Tonnen zugenommen – und dies bei einem geringerem Kuhbestand. "Eine solche Leistungssteigerung ist ohne Kraftfutter kaum erklärbar", heisst es in einer im Januar veröffentlichten Studie von Priska Bauer (Agrofutura AG), die im Auftrag von Greenpeace den Soja-Import untersucht hat. Deren Einfuhr hat sich in den letzten rund 20 Jahren verzehnfacht. Von der 2008 über 250'000 Tonnen importierten Soja wurden rund 40 Prozent an Rindvieh verfüttert. Eine auf Grasland basierende Milchproduktion sei der "Königsweg" für die Reduktion bzw. totalen Verzicht von Soja, heisst es in der Studie.


Schweizer Ackerfläche soll für Kartoffeln, Getreide, Raps, Gemüse etc verwendet werden und nicht für Futterbau.

Futteranbau in der Schweiz soll attraktiver werden

Der Bauernverband hat auf die gestiegenen Soja-Importe mit zwei Massnahmen reagiert: Einerseits soll ab 2014 mindestens 90 Prozent der importierten Sojabohnen aus verantwortungsbewusster Produktion stammen. Dafür wurde das Netzwerk "Nachhaltige Soja" ins Leben gerufen. Damit soll verhindert werden, dass Soja unter ökologisch wie sozial bedenklichen Bedingungen produziert werde, wie dies heute teils der Fall sei. Andererseits wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die klären soll, inwiefern der Futteranbau in der Schweiz gefördert werden kann. Dieser hat in den letzten Jahren unter anderem wegen des Abbaus des Grenzschutzes massiv an Bedeutung verloren.

Geld lasse sich heute mit dem Anbau von Futter keines verdienen, heisst es beim SBV. Von einem forcierten inländischen Futteranbau hält Peter Thomet indes wenig: "Die Kosten sind gerade im Hinblick auf die Milchproduktion viel zu hoch." Vor allem aber widerspreche es der Ernährungssouveränität. Die offene Ackerfläche in der Schweiz sei mit 300'000 Hektaren gering. Diese solle vorrangig für die direkte Nahrungsmittelproduktion verwendet werden, für den Anbau von Brotgetreide, Kartoffeln und Zuckerrüben. (Text: LID / Michael Wahl. Erstes Bild: LID / Claudia Gappisch / landwirtschaft.ch)

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