Food aktuell
Varia
15.6.2011
Portrait: „feini choscht“ aus dem Emmental


Stefan Schlüchter in seiner Metzgerei «feini choscht» in Dürrenroth BE


Aus der Metzgerei des letzten Jahrhunderts ist das moderne Fleischfachgeschäft des 21. Jahrhunderts herangewachsen. Dieses zeichnet sich unter anderem durch eine moderne, zeitgemässe Ladeninfrastruktur und hohe Fachkompetenz des Personals aus. Geführt werden ausschliesslich Produkte höchster Qualität und - anders als es die Aussage des allseits bekannte Werbeslogan unterstellt - umfasst das Sortiment auch eine sorgfältig und fachkundig zusammengestellte Auswahl an Qualitätsbeilagen wie Pasta und Gemüse. Fisch, Früchte, Traiteurartikel, Weine usw. runden oft das Angebot ab.

Diese neue Art des Fleischfachgeschäfts erfreut sich einer steigenden Beliebtheit sowohl in städtischen als auch in ländlichen Gegenden. Angeboten und geschaffen werden hier auch attraktive Arbeitsplätze und steile Karrieremöglichkeiten für junge Leute, die in Berufen arbeiten wollen, die sich nahe am Leben und den Menschen bewegen.

In der Serie „Mit Qualität zum Erfolg - gewerbliche Fleischfachgeschäfte im Aufbruch“ stellt der Fleischfachverband SFF in loser Folge Unternehmen und die dazugehörigen UnternehmerInnen vor, welche an der vordersten Front dieser Entwicklung stehen und künftig mit ihren Konzepten und ihrem Erfolg das Bild des Fleischfachgeschäfts und den Markt entscheidend mitprägen werden.

Portrait: Metzgerei Schlüchter in Dürrenroth

Dürrenroth ist eine am Rande des „hügeligsten Tals der Welt“ gelegene intakte Gemeinde. Wovon sich viele Schweizer Gemeinden schon längst verabschieden mussten, existiert hier noch. Wer seinen täglichen Bedarf an Lebensmitteln einkaufen will, findet in einem Umkreis von 300 Metern alles, was er/sie braucht. Ein Lebensmittelgeschäft, eine Bäckerei, eine Käserei und eine Metzgerei.

Die Wurzeln der Metzgerei von Dürrenroth reichen weit ins letzte Jahrhundert zurück. Die Analen dokumentieren den 1938 vollzogenen Kauf der damalige Metzgerei durch Otto und Emma Röthlisberger. Vierzig Jahre später wurde die zu einem in der Region renommierten Betrieb herangewachsene Metzgerei Röthlisberger schliesslich in der dritten Generation von Urs und Ruth Röthlisberger übernommen.

Nach 33 Jahren erfolgreicher unternehmerischer Tätigkeit verspürten die beiden tüchtigen „Gewerbler“ jedoch die Lust, beruflich noch einmal eine neue Herausforderung anzunehmen. Nachdem sich im Familienkreis keine Nachfolgregelung ergeben hatte, machte man sich auf die Suche nach einem geeigneten Nachfolger. Ein erfahrungsgemäss schwieriges Unterfangen. Die Führung eines modernen Fleischfachgeschäfts ist äusserst anspruchsvoll und erfordert nicht nur grosse unternehmerische Fähigkeiten, sondern auch ein hohes fachliches Ausbildungsniveau.

Wer solche Voraussetzungen mitbringt, würde in diesem Geschäft grosse Erfolgspotenziale vorfinden, die relativ rasch genutzt werden könnten. Die Röthlisbergers hätten wohl noch längere Zeit auf ihren Traum einer beruflichen Veränderung warten müssen, wäre da nicht der gezielt verfolgte Traum eines anderen gewesen. Aufgewachsen in Dürrenroth hatte Stefan Schlüchter als Schüler in der Ferienzeit gelegentlich im Geschäft der Röthlisbergers „geschnuppert“.

Gezielt verfolgte Lehrbuch-Karriere

Auch wenn Stefan Schlüchter heute sagt, dass er lediglich die sich auf seinem Karriereweg bietenden Chancen genutzt habe, so kann sein beruflicher Werdegang doch als Modell dafür gelten, wie man die Basis für eine erfolgsversprechende Karriere in der Fleischfachbranche legen kann.

Bereits in jungen Jahren war sich Stefan Schlüchter im Klaren, dass sein Ziel nur auf dem Boden eines soliden Fundaments erreicht werden konnte. Dementsprechend absolvierte er mit Bravour eine Metzgerlehre, oder moderner und reglementskonformer ausgedrückt als Fleischfachmann, absolvierte anschliessend die berufsbegleitende Zusatzausbildung zum Metzgermeister und bildet sich gezielt durch Fachkurse weiter.

Seine grosses Engagement und seine Kompetenz blieben auch den Verantwortlichen des Ausbildungszentrums der Fleischwirtschaft ABZ in Spiez nicht verborgen. Daraus ergab sich eine Berufung als Fachlehrer ans ABZ. Weitere Erfahrungen sammelte er dann während einiger Jahre als Fleischkonsulent an der Forschungsanstalt Agroscope Liebefeld-Posieux des Bundesamts für Landwirtschaft. Damit war die Basis gelegt und das Terrain für den geplanten Schritt ins Unternehmertum geebnet.

Back to the Roots

Was nun noch fehlte, war ein geeignetes Objekt, welches aus seiner Sicht ein optimales Sprungbrett für die Nutzung der sich im Fleischfachhandel bietenden Erfolgspotenziale darstellte. Es war nicht nur Zufall, aber der Zufall war sicher mit im Spiel, dass es nach der Evaluation zahlreicher Objekte gerade der Betrieb von Urs und Ruth Röthlisberger in seiner Heimatgemeinde Dürrenroth war, der sich als der geeignete Ort zur Umsetzung seiner Vision eines modernen kleinen aber feinen Fleischfachbetriebs entpuppte. Er entsprach am Besten dem Profil des gesuchten vielseitigen Betriebs, wo Schlüchter sein ganzes Fachwissen einbringen konnte.

Mit ausschlaggebend war dabei sicher auch, dass das Ehepaar Schlüchter in der Umgebung des Herkunftsortes auf das grösste Netzwerk und damit auch auf eine tragfähige Anzahl potenzieller Kunden zählen konnte. Ausserdem hält sich in dieser Region der Druck bestehender Grossverteiler in Grenzen und es ist nicht unmittelbar mit der Eröffnung neuer Detailhandelskanäle zu rechnen. Obwohl Stefan Schlüchter betont, dass er sein Geschäft eigentlich ganz gerne neben einem Markt von Migros oder Coop hätte, weil dies auch zusätzliche Frequenz bringe und er mit seinen Spezialitäten die Konkurrenz wohl nicht zu fürchten bräuchte.



Metzgermeister Stefan Schlüchter und seine Frau Nicole


Am 1. Juli 2010 war es soweit. Stefan Schlüchter und seine Frau Nicole übernahmen, wie in der Kindheit scherzhaft prophezeit, das moderne, hervorragend ausgerüstete und positionierte Fleischfachgeschäft mit eigenem Schlachthaus im Heimatdorf. Vor der Neueröffnung wurden einige Korrekturen am Ladenlokal angebracht, welche im Dienste der Kundenfreundlichkeit zu einer Vergrösserung der Verkaufsfläche und zu einem grosszügigeren Ladenlayout führten. Die Firma „schlüchter fleisch und feini choscht“ hatte das Licht der Welt erblickt.

Vorerst gesichert war damit auch der Weiterbestand eines Traditionsgeschäfts im neuen Kleid. Mit den Schlüchters hatte sich eine weitere Generation junger dynamischer Fleischfachleute daran gemacht zu beweisen, dass das gewerblich geführte Fleischfachgeschäft des 21. Jahrhunderts auch und gerade in ländlichen Gegenden nicht nur gebraucht wird, sondern dass bei entsprechender Innovationstätigkeit und klugem Wirtschaften in diesem Markt auch noch bedeutende Wachstumspotenziale vorhanden sind. Dies gerade und vor allem wegen zur weiter zunehmenden Konzentration im Lebensmitteldetailhandel und der damit einhergehenden Verschlechterungen der Dienstleistungsqualität und der Anonymisierung des Geschäfts.

Regionalität, Qualität und Beratung als Erfolgsfaktoren

Genauso gradlinig wie der Weg zum eigenen Geschäft ist die Philosophie von „Schlüchter fleisch und feini choscht“. Das Inserat in eigener Sache bringt das kurz und bündig auf den folgenden Nenner: „Ein kleiner aber feiner Metzgereibetrieb, der von der Schlachtung bis zum Würstli alles selber produziert wird.“ Anzufügen bleibt, dass man dabei ausschliesslich auf Fleisch aus regionaler Produktion und Emmentaler Spezialitäten setzt. „Der Fleischfachmann muss die Qualität leben und von seiner Arbeit überzeugt sein“, sagt Schlüchter mit Nachdruck.

Dabei fährt er seinen regionalen Lieferanten gegenüber eine klare, sich nach gängigen Standards richtende Qualitätsstrategie. Nicht nur der Kunde, sondern auch die Lieferanten sollen genau wissen, woran sie bei Schlüchter sind, was wiederum allen dient. Im Marketingjargon könnte man dies auch als Win-Win-Situation für alle beteiligten „Stakeholders“ bezeichnen. Beim Verkauf konzentriert man sich vor allem auf das Endkundengeschäft, das gute Margen generiert und weniger krisenanfällig ist, wiewohl auch das Gastronomiegeschäft natürlich herzlich willkommen ist.


Ein Konzept, das aufzugehen scheint. Seit der Übernahme konnte die Schlüchter AG beim Umsatz um über ein Drittel zulegen und hat eine grosse Zunahme an Kunden von nah und fern zu verzeichnen. Gewachsen ist auch die Zahl der Arbeitsplätze, die mittlerweile auf 8 ½ Vollzeitstellen angewachsen ist. Um den fachlichen Nachwuchs auch in Zukunft gewährleisten zu können, werden zudem drei Lehrlinge ausgebildet. Insgesamt besteht das Team zurzeit aus 14 Personen. Stefan Schlüchter führt dieses schnelle Wachstum unter anderem auf folgende Faktoren zurück:

Voller Einsatz, das heisst persönliche Beratung und ein hervorragendes Team aus ausgebildeten Fachleuten, welche in ihrem erlernten Spezialgebiet tätig sind. Man legt Wert auf eine persönliche Beratung des Kunden und nimmt sich dafür auch die Zeit.

Qualität über alles und ausschliesslich Fleischspezialitäten aus eigener Produktion.

Verwendung des Emmental Schriftzuges auf allen Spezialitäten

Laufend gezielte Sortimentserweiterungen und –ergänzungen und schnelle Umsetzung von Kundenwünschen

Kleines Zusatzsortiment an Artikeln, wie Emmentaler Rapsöl, getrocknete Apfelringe, Emmentaler Schaumwein usw., die man sonst nirgends erhält. Der Schwerpunkt liegt jedoch auf Fleisch und Fleischspezialitäten. Da das Dorf über ein Lebensmittelgeschäft, über eine Käserei und eine Bäckerei verfügt, verzichtet man auf die Führung solcher Artikel.

Innovationsfähigkeit, Entwicklung attraktiver neuer Produkte

Autozugänglichkeit des Geschäfts

Innovation ist natürlich ein oft gehörter und viel genannter Begriff, der für manche Ohren den Geschmack einer Plattitüde hat. Bei Schlüchter steht Innovation für die schnelle Umsetzung von recht „bodenständigen“ Produktideen, die sich im Markt einer schnell steigenden Beliebtheit erfreuen. So etwa das Wurstabonnement. Wer für sich selbst oder als originelles Geschenk ein Wurstabo bestellt, erhält automatisch jeden Monat ein Paket bestehend aus im eigenen „Küchenrauch“ geräucherten Emmentaler Wurstspezialitäten wie Emmentaler Chnebel, Bauernwurst, Landjäger usw.

Beliebt sind auch die vielen klein gehaltenen Grillspezialitäten, welche dem Bedürfnis der Konsumenten nach kleineren Grillportionen nachkommen und es ermöglichen, mehr als nur einen Artikel zu geniessen, ohne dabei gleich pappsatt zu sein. Seine Innovationskraft stellt Stefan Schlüchter auch dann unter Beweis, wenn es um spezielle Anlässe geht. So kreierte er anlässlich des Freilichtspiels „Die Glätterin“, dessen Hauptdarstellerin immer mit dem Velo unterwegs war, eine „Velospeichenwurst“, die ausgezeichneten Absatz gefunden hat.

Als grosser Renner im Sortiment hat sich aber der geräucherte und extrahart getrocknete Emmentaler Bauern-Rohessspeck entpuppt. Dieser wird nicht nur gut an die Einheimischen verkauft, sondern mittlerweile auch von zahlreichen ausserkantonalen Kunden in immer grösseren Mengen geschätzt und genossen. Da legen dann auf Ausflügen gelegentlich auch mal Rohessspeck-Fans aus Zürich einen Halt in Dürrenroth ein, um sich 30 kg der Emmentaler Bauerndelikatesse in den Kofferraum zu laden. Beliebt sind auch die diversen Geschenkpakete mit Emmentaler Spezialitäten, welche auch nach Kundenanforderung hergestellt werden.

Damit hat sich aber der Ideenreichtum des Schlüchter Teams noch längst nicht erschöpft. Wer für seinen Geschäftsanlass oder seine Party das Spezielle sucht, der kann bei Schlüchter nicht nur einen grossen Grillplausch mit dazugehörigem Grillexperten bestellen. Auch ein eigener fahrbarer Pizzaofen für einen Pizzaplausch oder ein Feuertopf, mit dem bis zu 60 Personen verpflegt werden können, ist im Angebot.

Eröffnung einer Filiale nach 11 Monaten

Dass das von Stefan Schlüchter und seinem Team angewandte Rezept auch im heutigen schwierigen Detailhandelsumfeld ein grosses Erfolgspotenzial hat, zeigt allein schon die Tatsache, dass der rührige Unternehmer nur 11 Monate nach der Aufnahme der Geschäftstätigkeit in Dürrenroth nun eine zweite Metzgerei in Wasen i.E. übernommen hat. Damit bietet sich ihm nun einerseits die Möglichkeit den Geschäftsumfang weiter auszuweiten und seine Produktionskapazitäten optimal zu nutzen.


Wer sich nun fragt, woher dieser engagierte Fleischfachmann, der zusammen mit seiner Frau sein ganzes berufliches Schicksal auf die Karte Selbstständigkeit und Unternehmertum gesetzt hat, seine gezeigte Treffsicherheit her nimmt, der könnte eine Antwort in der Tatsache finden, dass Stefan Schlüchter auch ein passionierter Hornusser ist (Bild). Um den Hornuss mit einem gezielten Schlag auf über 300 Kmh zu beschleunigen und erfolgreich möglichst weit ins Ries zu schlagen, muss der „Schläger“ über Mut zum Risiko, Konzentrationsfähigkeit, Kraft, Grösse und Beweglichkeit verfügen.

Man kann davon ausgehen, dass Stefan Schlüchter als Mitglied einer Mannschaft der Nationalliga A genau über diese Eigenschaften verfügt. Und man kann auch davon ausgehen, dass er – genauso wie bei seinem Lieblingssport – alles daransetzen wird, um auch seinen sich in der Umsetzung befindlichen Traum zum Erfolg zu führen. Dabei könnte er sich durchaus vorstellen, bei sich bietender Gelegenheit auch noch die eine oder andere weitere Filiale zu eröffnen. (Text: SFF. Bilder: Arthur Rossetti, Stefan Schlüchter)

Weiterlesen: Positives beim Strukturwandel

Copyright http://www.foodaktuell.ch