Food aktuell
Varia
29.6.2011
«Tierschutz» kritisiert weisses Kalbfleisch



Diesen Montag (27. Juni 2011) trafen sich Bauern, Metzger, Gastronomen, Behörden, Tierärzte und Wissenschaftler im Tierspital Bern. Der vom Schweizer Tierschutz STS einberufene «Kälbergipfel» führte zum Erfolg: Rötliches Fleisch von gesunden Kälbern soll für die Konsumentinnen und Konsumenten zum Qualitätsmerkmal werden. Bis dahin ist noch viel Aufklärungsarbeit nötig.

Das vom Schweizer Tierschutz STS anberaumte Treffen im Tierspital Bern hat die Weichen für tierschutzrelevante Verbesserungen in der Kälbermast gestellt. Unter den anwesenden Fachleuten und Branchenvertretern bestand Konsens darüber, die Auslaufhaltung von Kälbern verstärkt zu fördern und die ab 2013 geltenden Vorschriften für eine artgemässe Kälberfütterung mit einer besseren Eisenversorgung mittels Zufütterung von Heu und uneingeschränkter Wasserversorgung konsequent umzusetzen.

Rötliches Kalbfleisch wird normal

Als Folge dieser für das Wohlbefinden und die Gesundheit von Mastkälbern grundlegenden Anpassungen wird in Zukunft Kalbfleisch im Laden und im Restaurant rötlicher werden – ein Qualitäts- und Gesundheitsmerkmal, das den Konsumenten verstärkt kommuniziert werden soll. Denn noch immer sind allzu viele Konsumenten irrtümlicherweise der Meinung, helles Kalbfleisch sei edel, mit den bekannten fatalen Konsequenzen für Gesundheit und Wohlbefinden der Mastkälber.

Fatal sind die Auswirkungen des sich so hartnäckig haltenden Irrglaubens auch für Bauern, die ihre Kälber tierschutzkonform halten: Sie müssen bis heute immer noch empfindliche Preiseinbussen für das rötliche Kalbfleisch hinnehmen. Um den Fleischabnehmern – sprich Metzgern und Gastronomen – wie auch den Konsumierenden das rötliche Kalbfleisch schmackhaft zu machen, ist noch viel Aufklärungsarbeit nötig. Der STS-Kälbergipfel hat die Grundlage für ein mit allen involvierten Kreisen abgesprochenes Vorgehen geschaffen. (Text: STS)

Zielsetzungen des Schweizer Tierschutz STS

Referat von Cesare Sciarra, dipl. ing. agr. ETH, Stv. Geschäftsführer Fachbereich, Schweizer Tierschutz STS, anlässlich des STS-Kälbergipfel vom 27. Juni 2011 in Bern:

Der Schweizer Tierschutz STS verfolgt seit mehreren Jahren intensiv die Entwicklungen in der Kälbermastpraxis und sichtet laufend die neuen wissenschaftlichen Erkenntnisse. Sein heutiges Fazit:

Es gibt mehrere Bereiche in der Kälberhaltung, denen in Zukunft aus Gründen des Tierschutzes vermehrt Beachtung geschenkt werden sollte. Will man von einer tierfreundlichen Kälberhaltung sprechen, so gehört an erster Stelle die Ermöglichung altersangepasster, arteigener Verhaltensmuster.

Dabei gehört das Bedürfnis nach geeigneten Sozialkontakten an allererste Stelle. Sicher würde die Gewährung des Kontaktes zur Mutter einen optimalen Start ins Leben der Kälber ermöglichen. Wo dies nicht möglich ist, kann zumindest der Kontakt mit gleichaltrigen Kälbern, der auch in einer Herde schon nach wenigen Tagen, später auch im sogenannten „Kindergarten“, eine wichtige Rolle spielt, ein angemessener Ersatz sein. Gänzlich an den Bedürfnissen der Kälber vorbei geht hingegen eine Einzeltierhaltung, bei welcher kein direkter Körperkontakt möglich ist.

Ebenso wichtig bezüglich altersangepasster Verhaltensmuster ist das Verabreichen von geeignetem, strukturiertem, schmackhaftem Futter, welches die Kälber erkunden, zupfen und kauen können und welches eine langandauernde Beschäftigung ermöglicht. Im Weiteren wird damit die natürliche Pansenentwicklung stimuliert. Das ist nicht irgendeine störende Fehlplanung der Natur, welche man durch Weglassen einiger Futterkomponenten umprogrammieren kann. Die Pansenentwicklung macht ein wachsendes Rind aus und ein Unterdrücken führt zu Problemen für die Kälber.

Und schliesslich ist eine altersangepasste, genügende Versorgung mit allen essentiellen Nährstoffen von ausschlaggebender Bedeutung für die gesunde Entwicklung eines Kalbes. Selbstverständlich ist in diesem Zusammenhang auch und insbesondere die genügende Versorgung mit verwertbarem Eisen gemeint. Diese ist unserem Wissensstand nach leider auch heute nicht überall gegeben.

Nicht genügend hoch bewertet werden kann ein kälberkonformes Stallklima. Eine optimale Luftqualität, die Minimierung des Keimdrucks in der Luft und der Schadgaskonzentrationen sind extrem wichtig für die Gesunderhaltung der Kälber und sind erfahrungsgemäss am einfachsten und effizientesten in Aussenklimabereichen zu erreichen. Und last but not least: Der Faktor Mensch, die tägliche Einzeltier-Beobachtung ist das A und O jeder tierfreundlichen Haltung!

Ziele des STS zur tiergerechten Haltung von Kälbern

Der Schweizer Tierschutz STS hat sich deshalb in den nachstehenden vier Bereichen klare Ziele gesetzt:

1. Haltung

Der STS will sich verstärkt für eine Förderung der Auslaufhaltung von Aufzucht- und von Mastkälbern einsetzen. Die Haltung von Kälbern in RAUS-tauglichen Haltungssystemen hilft den Jungtieren durch angepasste Bewegungsmöglichkeiten und den Aufenthalt an der frischen Luft, die Gesundheit zu verbessern (Tiefer Keimgehalt, Entlastung Stalluft!) und fördert das Image der schweizerischen Landwirtschaft.

Der STS fordert ausserdem die Abschaffung der Einzelhaltung von Kälbern die älter als zwei Wochen sind. Einzel-Iglus sind zwar wesentlich besser für die Kälbergesundheit als Stallhaltung. Wir sind aber der Meinung, dass die Einzelhaltung kaum Bewegungsmöglichkeit bietet und keineswegs den Bedürfnissen des Sozialverhaltens von Kälbern gerecht wird. Lediglich Sichtkontakt zu anderen Tieren der Rindergattung einzuhalten, wie es die Tierschutzverordnung fordert, ist für uns ungenügend. Natürlich ist der STS offen für eine praxiskonforme Umsetzung, indem bei Einzelkälbern oder kranken Kälbern Ausnahmen zulässig sein sollen.

2. Fütterung

Die Fütterung von Kälbern muss gewährleisten, dass täglich eine artgemässe, länger dauernde Futteraufnahme möglich ist (Rauhfutter guter Qualität, Kraftfutter). Sie muss so gestaltet sein, dass eine tiergerechte, altersangepasste physiologische Entwicklung der Tiere möglich ist und die Pansenentwicklung gefördert wird. Darmläsionen sollen verhindert werden und das Futterregime muss gewährleisten, dass eine gute Nährstoffversorgung, insbesondere mit Eisen, über die ganze Lebensdauer der Kälber gegeben ist.

3. Schlachtabzüge für Fleischfarbe

Um das Ziel einer tiergerechten Fütterung bei den Kälbern erreichen zu können, müssen Sinn und Nutzen der Forderung nach möglichst hellem Kalbfleisch und die aktuelle Qualitätseinstufung nach Kalbfleischfarbe unvoreingenommen hinterfragt werden. Denn zu Recht verlangen die neuen Tierschutzvorschriften im Interesse des Tierwohles und der Tiergesundheit eine genügende Eisenversorgung der Mastkälber. Dazu gehört die Aufnahme von Heu, Mais oder anderem geeignetem Futter zusätzlich zu Stroh.

Mastkälber, die genügend mit Eisen versorgt sind, haben aber in der Regel deutlich röteres Fleisch als nur knapp mit Eisen versorgte Kälber. Paradoxerweise laufen deshalb Bauern, die ihre Mastkälber gesetzeskonform füttern, Gefahr, vom Metzger mit Abzügen bestraft zu werden.

Diese Farbabzüge können für den Mäster sehr hoch sein und damit über Gewinn oder Verlust eines Mastumganges bestimmen. Unserer Erfahrung nach wird von Tierhalterseite deshalb stark darauf geachtet, das Risiko von rosa bis rotem Fleisch zu minimieren. In den vergangenen sechs Monaten spielten uns Brancheninsider, darunter landwirtschaftliche Berater, Kälbermäster und Futtermittelhersteller, entsprechende konkrete Informationen zu. Diesen Angaben entsprechend wird oft mit der Reduktion der Eisengaben im Futter gegen Ende Mast gearbeitet. Im Weiteren würden eisenbindende Substanzen im Futter eingesetzt und die vorgeschriebene Verabreichung von Rauhfutter werde oft weitestgehend unterbunden.

Selbstverständlich weiss der STS um den Stellenwert der Kalbfleischfarbe in der Metzgerbranche. Dieses „Qualitätsmerkmal“ wurde mit Lancierung der modernen Kalbfleischerzeugung vor 70, 80 Jahren Metzgerlehrlingen und Konsumenten immer und immer wieder gepredigt, so dass es mindestens den Metzgern in Fleisch und Blut übergegangen ist. Aber: Es findet sich offensichtlich ein Widerspruch zwischen diesem „Qualitätsmerkmal“ und der Forderung nach Gesundheit und Wohlbefinden von Mastkälbern.

Ohne Farbabzüge hätten die Tierhalter kaum Bedenken, genügend Eisen und Rauhfutter zu verabreichen. Die Tiere wären gesünder, die Mastleistung im Allgemeinen besser, die gesetzlich geforderte, artgerechte Fütterung wäre realisierbar.

Wer also braucht überhaupt Farbabzüge? Unseres Erachtens ist die Unterscheidung der Farbe beim Endkonsumenten nicht mehr ersichtlich. Die Kundin beim Metzger kann rosa von rotem Kalbfleisch kaum bis gar nicht unterscheiden. Das können im Allgemeinen nicht einmal die Fachleute. Der Gast im Restaurant kann schon gar nicht mehr etwas von der Farbe erkennen. Nur der Koch sieht allenfalls einen Unterschied vor der Zubereitung.

Wichtig für die "Qualitätsbezeichnung" Kalbfleisch ist unseres Erachtens doch vielmehr die Zartheit und die Maserung welche durch das Alter der Kälber, die Abdeckung und allenfalls die Reifung des Fleisches bedingt sind. Genau diese Qualitäten müssten anstelle der Farbe verstärkt ausgelobt und kommuniziert werden.

Die Kunden von heute vertrauen auf Kontrollmechanismen und Warenflusskontrollen. Man denke nur an konventionelle Milch und Biomilch, oder an Lachsfilets in vier bis fünf verschiedenen Qualitäten bei den Detaillisten: Alle sehen gleich aus in Farbe und Form. Dennoch unterscheiden sich die Preise signifikant und auch die teureren Qualitäten werden verkauft.

4. Import von Kalbfleisch

Wenn bei unseren Kälberhaltern ein gewisser Standard bezüglich Aufzuchtbedingungen eingefordert wird, dann ist es nur schwer verständlich, wenn gleichzeitig Kalbfleisch aus tierschutzwidrigen Haltungsbedingungen importiert und den Konsumenten untergejubelt wird. Der STS wird sich deshalb dafür stark machen, dass der Import von Kalbfleisch aus Einzel- und/oder Vollspaltenbodenhaltung unterbunden wird oder zumindest so deklariert werden muss, dass Konsumentinnen und Konsumenten bewusst wählen können, ob sie solches Fleisch wirklich kaufen wollen. (Text: STS)



Instrumentelle Messung der Fleischfarbe mit einem Farbmessgerät



Wieso erscheint Fleisch in unterschiedlichen Farbtönen?

Einer der wenigen Kataloge mit einem Eintrag «rotes Fleisch» ist die Lebensmittelgruppierung von EuroFIR.* Zum «roten Fleisch» wird hier alles Fleisch von domestizierten Tieren (z.B. Rind, Kalb, Schwein, Schaf, Ziege, Pferd, Kaninchen) und Wild (z.B. Wildschwein, Hirsch, Wal) gerechnet. Ein Eintrag «weisses Fleisch» existiert nicht, aber unter Geflügel wird alles Fleisch von domestiziertem Geflügel (z.B. Huhn, Truthahn, Ente, Gans) und Wildvögel (z.B. Fasan, Rebhuhn, Seevögel) gruppiert. Die Einteilung erfolgte aber eher pragmatisch gemäss Tierart und nicht unbedingt gemäss Fleischfarbe. Sie kann in erster Line als Antwortversuch auf die Fragen nach einer Definition des «roten Fleischs» verstanden werden.

Die Fleischfarbe wird zu einem guten Teil durch den Gehalt des Proteins Myoglobin im Muskelfleisch verursacht. Das Häm- Eisen enthaltende Myoglobin im Frischfleisch kann dabei in verschiedenen Formen vorliegen (Oxymyoglobin, Deoxymyoglobin und Metmyoglobin), und je nach Gehalt dieser drei Formen erscheint das Fleisch von rötlich bis bräunlich. Bei der Erhitzung des Fleischs wird aufgrund der Veränderung der räumlichen Struktur des Myoglobins das farbgebende Häm-Eisen dem Sauerstoff stärker ausgesetzt. Durch die folgende Oxidation des Häm- Eisens verschiebt sich die wahrgenommene Farbe Richtung Grau.

Der Gehalt an Myoglobin im Frischfleisch variiert stark nach Spezies - aber auch innerhalb einer Spezies - und kann von weniger als 1 mg / 100 g Fleisch bei Poulet und Schwein, bis zu 20 mg/ 100 g beim Rind oder gar über 25 mg / 100 g beim Wal betragen. Somit liegt schon fast eine schizophrene Situation vor. Das generelle Image von «rotem Fleisch» ist nicht gerade positiv, obwohl eine höhere Zufuhr für die Eisenversorgung - insbesondere bei Frauen, wo sie gerne als problematisch niedrig beschrieben wird - entsprechend positiv eingestuft werden müsste. (Text: Proviande)

Weiterlesen: Tierschutz in der Kälberhaltung und Kalbfleischfarbe

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