Food aktuell
Varia
11.8.2011
Prangerportal für Lebensmittel: Kommentar


Kürzlich ist das Konsumentenportal www.lebensmittelklarheit.de gestartet, das Informationen rund um Kennzeichnung und Aufmachung von Lebensmitteln bietet sowie Meinungen und Positionen der Verbraucherzentrale. Siehe: Deutsches Info- und Prangerportal startet

Das Konzept des Portals ist durchdacht und ausgewogen, ergo gut gemeint. Wie gut es wirklich ist, hängt von der Portalredaktion ab, die wie jede seriöse Redaktion die Ausgewogenheit täglich praktizieren muss, was ihr vielleicht nicht immer gelingt. Auf jeden Fall engagiert sich das Portal gemäss der beschriebenen Zielsetzung nicht einseitig für die Konsumenten wie dies bei Medien von Konsumentenorganisationen üblich ist. Dank der redaktionellen Filterwirkung sind Missbräuche erschwert im Gegensatz zu einigen Bewertungsportalen, wo z.B. Gästekritiken an Restaurants ungefiltert erscheinen.

Dennoch muss man das Portal als Pranger bezeichnen, denn von der Redaktion festgestellte Sünder werden - im Gegensatz zum amtlichen Vollzug - öffentlich genannt, auch wenn sie selbst einen Kommentar abgeben dürfen. Die Redaktion steht daher auf dem Glatteis und muss bei der Kategorie Getäuscht mit einer Verleumdungsklage des Herstellers rechnen, wenn sie einen Fehler macht (oder wenn der Hersteller sie einschüchtern will).

Anonyme Meldungen sind nicht möglich, aber die Redaktion anonymisiert die Einsender, indem sie nur einen Buchstaben des Namens und den Ort nennt. Ob die Einsender Strohmänner der Konkurrenz sind, kann sie nicht prüfen, aber diese Schwachstelle besteht nicht erst seit der neuen Plattform (theoretisch kann schon heute ein Strohmann einer Firma ein Produkt der Konkurrenz brieflich bei einem Kantonslabor denunzieren).

Das sinnvolle Vorgehen, keine Namen zu nennen, wenn die Beschwerde nicht berechtigt ist, ist erfüllt – siehe das folgende Beispiel des Bayrischen Leberkäse (Bild):

Verbraucherbeschwerde: "… verkauft einen Bayerischen Leberkäse der Firma …. Ich habe mir diesen gekauft und musste zuhause feststellen, dass kein einziges Gramm Leber in dem Leberkäse ist!!! Es ist nur Fleisch drin und damit ein „Fleischkäse“, was ich so nicht erwartet habe. In Ordnung ist das nicht, oder?"
Herr S. aus Nordhorn per E-Mail vom 15.01.2011
Einschätzung der Verbraucherzentrale: Die von der Verbraucherzentrale im Handel erworbenen „Bayrischen Leberkäse“ bestehen zu über 80 % aus Schweinefleisch. Die restlichen Zutaten bilden Wasser, teilweise Speck, Salz, weitere Gewürze und verschiedenen Zusatzstoffe. Leber enthält keiner der Bayrischen Leberkäse, was gemäss der gültigen Verkehrsauffassung korrekt ist.

Übrigens enthält Leberkäse oder Fleischkäse auch keinen Käse. Die irreführende Bezeichnung ist aber eingebürgert. Dasselbe gilt für Berner Zungenwurst, doch diese enthielt früher tatsächlich Zunge.

Wie das Portal genutzt wird, ob mehr zur Denunziation oder mehr zur Aufklärung, wird die Praxis zeigen. Die Prangerwirkung darf aber als teilweise berechtigtes Gegengewicht zur Schlauheit der Werbestrategen der Herstellerfirmen betrachtet werden. Diese bewegen sich oft an der Grenze des Erlaubten mit ihren suggestiven, manipulativen oder täuschenden Werbeaussagen und Werbebildern. Immerhin erhalten sie nun die Chance, in der Kategorie Geändert genannt zu werden, wenn sie zu weit gegangen sind.

Bemerkenswert ist die Tatsache, dass lebensmittelklarheit.de staatliche Unterstützung erhält. Die deutschen Lebensmittelhersteller mahnen zu Sachlichkeit, unterstützen mehr Information, lehnen aber einen Pranger ab. Der deutsche Bund für Lebensmittelrecht und Lebensmittelkunde BLL verlangt, dass das Portal das geltende Lebensmittelrecht als Massstab nimmt. Korrekt deklarierte Waren könnten durch eine gefühlte Täuschung leicht gebrandmarkt werden. Die Forderung ist berechtigt, aber Täuschungen sind immer Gefühlssache. Daher regelt ja das Gesetz, was als objektive Täuschung gilt, und der Vollzug bzw letztlich der Richter interpretiert dies in konkreten Fällen.



Täuschung ist eine Gefühls- und eine Ermessens-Sache.


Ein Richter muss sich am Beispiel der Deklaration «ohne Geschmacksverstärker» trotz Zusatz von deklariertem Hefeextrakt folgendes überlegen: erfolgt der Zusatz nur zum Zweck, den Glutamatgehalt zu erhöhen und wie stark ist dieser erhöht? Oder macht der teure Hefeextrakt das Produkt sensorisch oder gesundheitlich wertvoller? Erleidet der Konsument einen Schaden oder wird er übers Ohr gehauen? Welche Folgen hätte eine Verurteilung dieser Aussage auf ähnliche Fälle?

Theoretisch könnte dann auch die Aussage «ohne Konservierungsmittel» verboten werden bei Brot mit Sauerteig, der nachweislich Schimmel hemmt, oder bei Saucen mit Essig, der Bakterien hemmt. Täuschung ist nicht nur eine Gefühls- sondern auch eine Ermessensache.

Auch in der Schweiz könnte ein solches Beschwerdeportal entstehen. «Für die Schweiz muss eine solche Site ebenfalls eingeführt und betreut werden», sagt Sara Stalder, Geschäftsleiterin der Stiftung für Konsumentenschutz SKS, «denn handfeste, verständliche Informationen dienen der Verbesserung der Volksgesundheit: Dazu braucht es nebst dem politischen Willen aber auch entsprechende finanzielle Mittel und die enge Kooperation zwischen dem zuständigen Bundesamt für Gesundheit und den Konsumentenschutz-Organisationen.» Der SKS sei geraten, zuerst die Erfahrungen in Deutschland abzuwarten.

Weiterlesen: Deutsches Info- und Prangerportal startet

Copyright http://www.foodaktuell.ch