Food aktuell
Varia
16.11.2011
Das Kreuz mit dem Schweizerkreuz

Die Konsument/innen werden nach wie vor unrechtmässig mit Schweizerkreuzen umworben. Und die Swissness-Vorlage wird weiterhin umkämpft. Aber es gibt Hoffnung auf einen für alle Seiten tragbaren Kompromiss.


Zahlreiche Konsumentinnen und Konsumenten sind bereit für Schweizer Lebensmittel mehr zu bezahlen. Doch ob ein Produkt aus Schweizer Rohstoffen hergestellt wurde, lässt sich zuweilen kaum erkennen. Und die Herkunft kann jederzeit ändern, wie das Beispiel eines Apfelschorle von Lidl zeigt: Während im Dezember 2010 auf dem Apfelschorle der Marke Freeway noch das Suisse-Garantie-Logo prangte, befand sich wenige Monate später auf derselben Etikette zwar immer noch ein Schweizer Kreuz, aber nur noch auf der Rückseite.

Und dann in Verbindung mit dem Satz: "Hergestellt in der Schweiz". Nur wer die schwarze Schrift auf dunkelblauem Untergrund genau studierte, stellte fest, dass das Schorle nun nicht mehr aus Schweizer, sondern aus Europäischem Apfelsaftkonzentrat hergestellt wurde.

Zweimal Schweizerkreuz, aber nur einmal Schweiz

Solange die Rohstoffherkunft korrekt deklariert ist, handelt es sich zwar nicht um eine Konsumententäuschung. Sara Stalder, die Geschäftsführerin der Stiftung für Konsumentenschutz SKS, findet den Vorgang dennoch störend: "Vor allem weil auf beiden Etiketten das Schweizer Kreuz verwendet wird. Den meisten Konsumentinnen dürfte es schwer fallen, den Unterschied zwischen vorher und nachher überhaupt zu bemerken."

Die diskrete Veränderung der Etikette weckt zudem den Verdacht, dass Lidl den Wechsel ganz bewusst vorgenommen hat. Der Frage, ob das der Fall ist, weicht Lidl Schweiz aus: "Freeway ist eine von unseren internationalen Marken und ist darum in einem einheitlichen Auftritt gestaltet", heisst es lapidar, und "Freeway Apfelschorle wird in der Schweiz mit Apfelsaftkonzentrat aus der EU produziert. Das ist auf dem Produkt so deklariert." Es handle sich deshalb keineswegs um eine Irreführung der Kunden.

Doch auch wenn die Herkunft korrekt angegeben ist, handelt Lidl eigentlich ungesetzlich. Laut Wappenschutzgesetz ist das Anbringen eines Schweizerkreuzes auf Produkten "zu geschäftlichen Zwecken" nämlich verboten. Nur wird dieses Vergehen derzeit nicht strafrechtlich geahndet. Stefan Szabo vom Institut für geistiges Eigentum erklärt warum: "Weil der Gebrauch des Schweizerkreuzes in Zukunft nach der vom Bundesrat an das Parlament überwiesenen Swissness-Vorlage gestattet sein wird." Bis dahin wird die Verwendung des Schweizer Kreuzes toleriert.


Wie sich Swissness definiert, ist derzeit noch unklar. Der Teufel steckt – wie so oft – im Detail. Ein erster Entscheid der Rechtskommission des Nationalrats weckt auf landwirtschaftlicher Seite die Hoffnung, dass die Verwendung landwirtschaftlicher Rohstoffe stark gewichtet wird.

Alain Farine, der Geschäftsführer der Vereinigung AOC-IGP erwartet keine Kursänderung mehr bei der Frage, ob zur Beurteilung der Swissness nur die Rohstoffherkunft oder nur die Verarbeitungskosten berücksichtigt werden sollen. Denn die Kommission hat sich sehr klar für "sowohl als auch", also die Kombination beider Kriterien entschieden. Das ist ein Lichtblick für die Schweizer Bauern. Denn ginge es allein nach den Herstellungskosten, dann dürfte sich Apfelschorle aus EU-Apfelsaftkonzentrat mit dem Schweizerkreuz brüsten, selbst wenn einzig das Wasser darin aus der Schweiz stammt.

Dynamisches Kriterium Selbstversorgung

Ob die Rohstoffherkunft zum Zug kommt, soll gemäss der aktuellen Vorschläge auch davon abhängen, ob die Schweizer Bauern genügend von einem Rohstoff produzieren. Denn bei der Swissness könnte künftig der Selbstversorgungsgrad eine Rolle spielen. Dies als Antwort auf den rechtlich problematische Passus der bundesrätlichen Vorlage, in der von mangelnder Verfügbarkeit die Rede war. Farine: "Statt einer vage formulierten Ausnahmeliste ist nun eine Positivliste vorgesehen die auf einer A4-Seite Platz hat." Die Liste mag kurz und bündig ausfallen, den Konsumentinnen wird man das aber erst lang und breit erklären müssen.

Denn der Selbstversorgungsgrad ist für manche Überraschung gut. Zwar erwartet wohl niemand, dass die Ananas im Ananasjoghurt aus der Schweiz stammt. Beim Himbeerjoghurt dürfte das aber durchaus der Fall sein. Doch die Schweizer Bauern produzieren vor allem Beeren für den Frischmarkt und den Premiumbereich, nicht jedoch für die Verarbeitungsindustrie. Der Selbstversorgungsgrad dürfte also zu tief sein, um Schweizer Himbeeren als Bestandteil der Swissness vorzuschreiben.


Allerdings könnte sich das eines Tages ändern. Denn der Selbstversorgungsgrad ist eine dynamische Grösse. Heute wird z.B. nur sehr wenig Hartweizen in der Schweiz produziert, obwohl er grundsätzlich auch hierzulande gedeiht. Dasselbe ist bei Hafer der Fall: Er wird in der Schweiz praktisch nicht (mehr) angebaut, obwohl es agronomisch keine Einwände dagegen gibt. Sollten die Schweizer Bauern eines Tages entschliessen, dass Schweizer Müesli eigentlich mit Schweizer Hafer gemacht werden muss, dann müsste die Industrie 40% Schweizer Hafer verwenden sobald der Selbstversorgungsgrad beim einheimischem Hafer mehr als 20% beträgt.

Ähnliches wäre rein theoretisch bei Produkten wie Senf möglich. Vorerst bleibt Schweizer Senf aus Schweizer Senfsamen eine Spezialität und ist entsprechend rar. Er kann sich dennoch von der Masse abheben indem der Hersteller ein privates Label verwendet, wie zum Beispiel "Terrasuisse" oder "Suisse Garantie". Diese Möglichkeiten wird es auch weiterhin geben.

Lex Bündnerfleisch

Produkte, die vor dem Inkrafttreten der Swissness-Vorlage im AOC-IGP Register eingetragen wurden, werden die Swissness in jedem Fall erhalten. Damit wird die Vorlage zum "Lex Bündnerfleisch". Denn das ist ein Zugeständnis an ein wertschöpfungsstarkes Produkt, für welches mehr edle Rindfleischstücke verwendet werden, als in der Schweiz überhaupt anfallen.

Bündnerfleisch soll aber die Ausnahme bleiben: Das IGP-Gesuch für Appenzeller Mostbröckli, welches grundsätzlich auch mit ausländischem Fleisch hergestellt werden könnte, wird voraussichtlich erst nach Annahme der Swissnessvorlage behandelt werden. Farine ist deshalb zufrieden: "Die aktuellen Vorschläge sind für mich nicht einfach ein schwacher Kompromiss, sondern eine echte Konsenslösung nach Schweizer Tradition."

So viel Schweiz soll drin sein

Die Rechtskommission des Nationalrats hat einige Grundsatzentscheidungen gefällt: So soll grundsätzlich zwischen verarbeiteten Naturprodukten und Industrieprodukten unterschieden werden, wobei sich die nachfolgenden Vorgaben für "verarbeitete Naturprodukte“ auf Lebensmittel beschränken. Die Kommission will zudem zwischen "stark verarbeiteten und schwach verarbeiteten“ Produkten differenzieren, wobei sie die Definition dem Bundesrat überlassen will.

Naturprodukte, die natürlicherweise in der Schweiz nicht vorkommen, wie z.B. Kaffee oder Ananas, werden bei der Berechnung nicht berücksichtigt. Ebenso Naturprodukte, bei denen der Selbstversorgungsgrad in der Schweiz zu gering ist oder die auf Grund einer Mangelsituation nicht in genügender Menge verfügbar sind. (LID / Eveline Dudda)



Swissness ohne Schweizer Rohstoff: Heidi-Kaffee



NR-Kommission will nur noch 60% Schweizer Rohstoffe

Die Rechtskommission des Nationalrats will in stark verarbeiteten Lebensmitteln bereits bei 60 Prozent verwendeten Schweizer Rohstoffen das Label Schweiz zulassen. Der Bundesrat wollte einen Anteil von 80 Prozent Schweizer Rohstoffe vorschreiben, damit mit der Schweizer Flagge geworben werden kann. Im Oktober hatte auch die Rechtskommission noch auf 80 Prozent bei stark verarbeiteten Produkten beharrt, wie die Nachrichtenagentur SDA schreibt.

Nach wie vor gelten soll die Regel, dass bei stark verarbeiteten Produkten 60 Prozent der Herstellungskosten in der Schweiz anfallen müssen. Bei schwach verarbeiteten Produkten soll die 80 Prozent-Regel gelten. Der Nationalrat wird das Geschäft wahrscheinlich in der Frühlingssession behandeln. Der Schweizerische Bauernverband (SBV) hat bereits eine Volksinitiative angekündigt, falls die Swissness-Vorlage verwässert werden sollte. Die SBV-Delegierten beschliessen nächsten Donnerstag an der Delegiertenversammlung über die Initiative. (LID 11.11.2011)

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