Food aktuell
Varia
8.2.2006
Lob oder Tadel für Betty Bossi?

Kühlfrische Fertiggerichte sind sowohl in der Gastronomie wie auch im Supermarkt ein Megatrend. Wo steht die Betty Bossi-Marke heute und was ist von der Qualität der Produkte zu halten? «foodaktuell» setzt nicht nur emotionale Massstäbe an: Eine Analyse in mehreren Teilen. Erstens: Wie gut schmecken Fertiggerichte und wie gesund sind sie?


Man mag über den oft langweiligen Geschmack von verzehrsfertigen Gerichten wie Betty Bossi und Anna’s Best schnöden. Tatsache ist: sie entsprechen einem Megatrend und sind ein grosses Geschäft für die Hersteller (welche dem Markt sinnvollerweise liefern, was er begehrt).

Betty Bossi feiert fünfzig Jahre. Warum sind Fertiggerichte ein Trend? Berufstätige Frauen entspannen sich in der Freizeit vor dem Fernseher und schauen lieber Kochsendungen als selbst Gemüse zu rüsten und Fleisch zu braten. Und Männer haben ohnehin weniger Hemmungen, fertig Gekochtes zu kaufen. Beide jedoch gehen ins Restaurant, wenn sie Gourmetgelüste stillen wollen. Aber sie kochen selbst, wenn sie Gäste haben.

Eine Person kocht aber kaum für sich allein Paella, zumal man sie fertig im Coop oder in der Migros kaufen kann. Spanier würden eine Anna’s Best-Paella zwar geschmacklich langweilig finden, ebenso Indonesier unsere Nasi-Goreng-Portionen oder Inder die helvetisierten Currys. Warum sind Fertiggerichte tendenziell zu fad? Sie sollen ja eine breite Akzeptanz finden bei der hiesigen Kundschaft. Nicht alle lieben stark Gewürztes, schon gar nicht die Kinder. Aber abschmecken ist ja nicht verboten.

«Ausverkauf» der Marke Betty Bossi?

«Coop betreibt mit der Marke Betty Bossi einen Ausverkauf», klagte kürzlich Claudia Jud vom «Salz & Pfeffer-Land». Zum 50. Geburtstag der Koch-Ikone und Kunstgestalt Betty Bossi im April lobte Jud zwar das frühere Konzept mit den Kochbüchern und Hilfsmitteln (Raviolibrett, Schneebesen usw.), verurteilte aber die neuesten Angebote wie vorgekochten Blumenkohl oder geschnittene Ananas.

Sie habe Betty Bossi «früher gerne gehabt», sagte die Kochexpertin zum Medienmagazin «Kleinreport». Heute werde es ihr jedoch durch die Convenience-Angebote «vermiest». «Fast Food und Take Away haben etwas gemeinsam: das Komplott mit der Plastikindustrie», spottete Jud mit Blick auf allzu aufwändige Verpackungen. Überhaupt komme heute unter dem Namen Betty Bossi «zuviel des Üblen» auf den Markt.

Der Verpackungsaufwand ist tatsächlich hoch, aber «übel» mag ein Urteil aus der Luxuswarte sein. Die Marketingstrategen nahmen in Kauf, bei der Marken-Migration Betty Bossi-Fans der früheren Generation zu verärgern. Trotzdem geht ihre Rechnung auf: die Neukunden sind zahlreicher und die Zuwachsraten enorm. Coop macht rund zehn Prozent Umsatz mit Betty Bossi. Und Slowfood-Anhänger beissen ohnehin bei Standard-Convenience selten an, aber es gibt auch «Gourmet Ready Food», bisher eher im Gastronomiekanal (beispielsweise von Gmür) aber seit kurzem auch im Supermarkt (Bild: Migros City Zürich).


Aber wenn die Konsumenten immer mehr zu Fertigmahlzeiten greifen, werden diese eine immer grössere Rolle in der Gesamtkost spielen. Dann sollten sie ernährungsphysiologisch sinnvoll zusammengesetzt sein oder kurz gesagt: gesund sein. Konkret heisst dies: viel Gemüse, wenig aber gutes Fett und wenig Salz. Und nicht zu grosse Portionen.

Eine Stichprobe von «foodaktuell» der Fertiggericht-Deklarationen der Marken Hilcona, Betty Bossi und Anna’s Best (300 g Portionen) ergab Gemüseanteile von 16 bis 30% (bzw 48-90g), Fettgehalte von 2 bis 5% (6-15g) und Salzgehalte (bei Betty Bossi) von 1 bis 1.4%. Obwohl Ernährungsexperten empfehlen, den Teller zur Hälfte mit Gemüse zu füllen, sind dreissig Prozent wohl mehr als die meisten selbst schöpfen würden. Fett- und Salzgehalte sind nicht zu hoch, und der Salzgehalt-Trend zeigt nach unten seit der Salzreduktions-Kampagne von Nestlé und dem Bundesamt für Gesundheit.

Esther Infanger, Nutrinfo-Leiterin der Schweizerischen Gesellschaft für Ernährung SGE in Bern fordert in einer Portion einen Gemüseanteil von 150 g – der Fleischanteil liesse sich dagegen oft verringern. «Das Gemüse kann man aber durch Salat ersetzen», so Infanger. «Und der Fettgehalt eines Fertiggerichts inklusiv Salat sollte 15-20 g (entspricht 4-7%) nicht zu oft überschreiten, die Fettsorte soll ungehärtetes Pflanzenöl sein, idealerweise Raps- oder Olivenöl».

Fazit: Für die Gesundheit ist es besser, Convenience mit hohem Gemüseanteil zu essen als frisch Gekochtes, bei dem das Gemüse fehlt. Und wenn vorgekochte Gemüse oder geschnittene Früchte den Früchte- und Gemüsekonsum fördern, stiften sie trotz der Convenienceform einen volksgesundheitlichen Nutzen. Denn heute liegt der Konsum nur bei der Hälfte der empfohlenen «5 am Tag»-Portionen.


Nicht unerwähnt seien die Vitamine: Gemäss dem deutschen Vitamin-Experten Antal Bognar finden die grössten Vitamin C-Verluste von Gemüse beim offenen Garen statt sowie beim unverpackt Kühllagern (abgesehen vom schlimmsten Vitaminkiller, dem Warmhalten). Die modernen vakuumgegarten Sousvideprodukte kommen nahe an die nur 20% Verluste von Cook+Serve heran, wenn man sie innert vier Tagen verbraucht.

Mehr als doppelt so hoch steigen die Verluste bei Cook+Chill in offenen GN-Schalen und anschliessender dreitägiger Lagerung, wenn Garen und Lagern unverpackt geschieht. Fazit: Vitaminverluste können im Haushalt - wenn nicht à la minute gekocht wird - ebenso hoch liegen wie bei Convenience. Aber Sousvide – sofern nur kurz gelagert – ist vertretbar.

Nicht fundierte Kritik

Das Konsummagazin Saldo kritisierte vor drei Jahren, dass die zweiwöchige Haltbarkeit von kühlfrischen Fertiggerichten mit Zusatzstoffen erkauft werde, was im Widerspruch zum Frischeversprechen stehe. Dies trifft in Einzelfällen zu, aber der Trend geht in die umgekehrte Richtung. Seit einiger Zeit revidiert die Industrie ihre Rezepte und eliminiert Zusatzstoffe. Das Ziel beispielsweise bei Bischofszell Nahrungsmittel (Migros) oder Bell Convenience heisst «Clean Labels» ohne E-Nummern.


Auch bei Fertiggerichten gibt es Premium- und Economy-Klassen. Edelconvenience wie sie beispielsweise Le Patron herstellt (Bild), ist sogar für einen Gastronomie-Testesser «schwer zu erkennen, vor allem wenn sie zusätzlich verfeinert auf den Teller kommt», verrät Hanspeter Maurer vom Guide-bleu-Gastroführer. Ausserdem gibt es mehrere Fertiggerichte mit Bio- oder Vegi-Label.

Aber bei Billigconvenience fällt der Kosten-Qualitäts-Kompromiss zulasten der Qualität aus. Ein Beispiel: Der K-Tipp untersuchte den Panadeanteil von Chickennuggets und fand Produkte mit nur 23%, viele zwischen 33% und 46%, aber auch solche mit satten 56%. Doch dank der heute obligatorischen quantitativen Deklarationspflicht sieht der Kunde meistens, wieviel Anteil an wertvollen bzw gesunden Zutaten vorhanden ist.

Nebst dem Preis, der immer kaufentscheidend sein kann, ist bei Convenience auch der Bequemlichkeitsgrad ein Kaufmotiv – und oft das wichtigere als die Qualität (die man selbst nachbessern kann mit eigenen Zutaten). Ein Beispiel: Pastinella stellt zwei Klassen von Teigwaren her: vorgekochte pasteurisierte sowie angedämpfte unpasteurisierte. Letztere besitzen einen intensiveren Geschmack und können auf den Aldente-Punkt gekocht werden (ausserdem sind sie dank Wasseraufnahme ausgiebiger). Trotzdem bevorzugen viele Kunden die vorgekochten, weil man sie in der Mikrowelle regenerieren kann. Dies die Erfahrung von Hilcona, welche daher nur vorgekochte anbietet

Und die Moral von der Geschicht?

Es ist zwar sinnvoll, ein Menü im Gourmetrestaurant mit einem Gourmet-Massstab zu messen, aber Betty Bossi & Co sind multifunktionelle Kompromissprodukte. Um diese adäquat zu beurteilen, reicht eine einzige Skala nicht aus. Und wenn sie zu teuer sind, bleiben sie einfach im Regal liegen oder werden als Preisaktion verquantet.

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