Food aktuell
Varia
15.8.2012
Milchpreis auf historischem Tiefstand



Ausgemolken?

Bauern erhalten für ihre Milch so wenig wie seit 40 Jahren nicht mehr. Dennoch: Trotz historischem Tiefststand hängen nicht mehr Bauern den Melkstuhl an den Nagel als normal.


Seit Jahrzehnten nimmt die Anzahl Milchbauern ab. Und auch die Produzentenpreise entwickeln sich – mit Ausnahme von 2008 – seit Jahren nur in eine Richtung: nach unten. Erhielt ein Bauer 1992 noch rund einen Franken pro kg Milch, waren es im Mai 2012 gerade noch 55 Rappen (Molkereimilch). Seit 40 Jahren seien die Produzentenpreise nicht mehr so tief gewesen, rechnete die Berner Bauernorganisation LOBAG vor. Doch die Talsohle scheint noch nicht erreicht zu sein.

Vor wenigen Tagen haben die beiden Milchverarbeiter Emmi und Hochdorf eine weitere Preissenkung angekündigt. Der Schweizerische Bauernverband (SBV) zeigte sich alarmiert: Immer mehr Milchbauern befänden sich in einer verzweifelten wirtschaftlichen Lage, denn bei den aktuellen Preisen könne kein Bauer kostendeckend Milch produzieren.

Gruyère-Milch: Preise nicht im Keller

Der Leidensdruck unter den Bauern ist unterschiedlich. Denn je nach Abnehmer und Verwendung der Milch werden andere Preise gezahlt. Am meisten unter Druck sind Landwirte, die konventionelle Molkereimilch (wird etwa zur Herstellung von Trinkmilch oder Joghurt gebraucht) produzieren. Pro Kilo erhielten sie im letzten Mai lediglich 56 Rappen (Bio-Milch 70 Rp.).

Besser haben es Bauern, deren Milch zu Käse verarbeitet wird. Allerdings ist hier das Spektrum gross: Während Produzenten von Gruyère-Milch im Mai knapp 80 Rappen bezahlt wurde, erhielten Bauern, aus deren Milch Emmentaler Käse hergestellt wird, nur rund 60 Rappen. Anders ausgedrückt: Bei einer Einlieferung von 132'000 kg Milch (entspricht der durchschnittlichen Produktion eines Bauern im Jahr 2011) erhielt ein Produzent von Gruyère-Milch 26'400 Franken mehr als ein Emmentaler-Lieferant.


Milchannahme einer Käserei


Gross ist der Druck sowohl bei kleinen als auch bei grossen Betrieben. Denn alleine mit einer grossen Milchmenge lassen sich die tiefen Preise nicht wettmachen. Das zeigt die Auswertung der Vollkostenrechnungen von 116 Talbetrieben mit weniger als 65 Rp. Milchpreis für die Jahre 2008-2010. So kamen diejenigen 25 Prozent der Bauern mit der höchsten Milchmenge (knapp 400'000 kg) auf einen Stundenlohn von 12 Franken, während diejenigen Betriebe mit der tiefsten Milchmenge (113'000 kg) einen Arbeitsverdienst von 11 Franken erwirtschafteten.

Entscheidender sind aber die Kosten: Gerade Wachstumsbetriebe, die Futter zukaufen müssten, in Maschinen und Gebäude investiert haben oder Lieferrechte zugekauft hätten und deren Fremdkosten deshalb hoch seien, litten am meisten unter sinkenden Preisen, erklärt Thomas Haas vom Luzerner Berufsbildungszentrum Natur und Ernährung, der die Vollkostenrechnung im Auftrag der Agridea analysiert hat.

Trotz tiefen Preisen steigen nicht mehr Bauern aus

Dennoch: "Die tiefen Milchpreise führen nicht zu einer beschleunigten Aufgabe der Milchproduktion", erklärt Christoph Grosjean-Sommer, Mediensprecher des Dachverbandes der Schweizer Milchproduzenten (SMP). Das zeigten die Zahlen der vergangenen Jahre. Die Gründe seien vielfältig. Bauern, die in den letzten Jahren in die Vergrösserung ihres Betriebes investiert hätten, könnten sich einen Ausstieg gar nicht leisten. Andere wiederum, die einen längst abbezahlten Hof besässen, würden weitermachen.


Mit ein Grund, warum Bauern angesichts der Misere auf Milchmarkt nicht vermehrt ausstiegen, sei das Fehlen von Alternativen. Andere wiederum hielten sich mit einem Nebenerwerb über Wasser. Und für Betriebe mit hohen Direktzahlungen sei der Druck, das Melken aufzugeben, ohnehin geringer als für solche, die weitgehend vom Milchgeld leben würden. Und nicht zuletzt: "Bauer zu sein ist eben eine Lebenseinstellung – die Verbundenheit mit den Tieren und dem Hof, den eine Familie womöglich über Generationen bewirtschaftet hat, spielt eine wichtige Rolle", erklärt Grosjean-Sommer.

Nur ein Drittel ist gerüstet

Wichtigster Treiber des Strukturwandels ist hingegen der Generationenwechsel. In den nächsten 15 Jahren erreichen gemäss Grosjean-Sommer die Hälfte der heute rund 25'000 Milchbauern das Pensionsalter. Ob diese dann einen Nachfolger oder Nachfolgerin finden, hänge massgeblich vom erwartbaren Arbeitsverdienst ab. Betriebe, in welche nicht mehr investiert wurde, würden dann kaum weitergeführt werden.

Grosjean-Sommer geht davon aus, dass lediglich ein Drittel der Betriebe in der Lage sind, ein akzeptables Einkommen zu erzielen, als auch die notwendigen Investitionen zu finanzieren. Bereits im nächsten Jahr könnte es zu einer Austritts-Welle kommen: Ab 1. September 2013 gelten neue Mindestmasse für die Haltung von Kühen. Bauern, deren Ställe den Vorschriften nicht genügen, müssen entweder umbauen, auf kleinere Kuhrassen umstellen – oder sich von der Milchproduktion verabschieden.

Steigende Milchmenge drückt auf Preise

Der Milchmarkt ist nach dem Ende der Kontingentierung aus den Fugen geraten: Die Bauern begannen, ihre Produktion fortwährend auszudehnen. 2011 haben sie mit 3,47 Mio. Tonnen so viel gemolken wie noch nie und weit mehr, als nachgefragt wird. Aus der überschüssigen Milch wird primär Butter produziert, die ins Ausland exportiert werden muss. Ein Verlustgeschäft. Im letzten Jahr wurden über 9'000 Tonnen Butter verramscht.

Der Dachverband der Schweizer Milchproduzenten (SMP) fordert seit langem ein Instrument zur Mengensteuerung, mit dem sich Angebot und Nachfrage in Einklang bringen lassen – bislang allerdings ohne Erfolg. Derweil dreht sich die Preisspirale weiter nach unten. Mit jedem Rappen, den die Verarbeiter den Bauern weniger bezahlen für ihre Milch, wandern schweizweit 34 Mio. Franken weniger in die Taschen der Landwirte, hat die Organisation "Bäuerliche Interessen-Gruppe für Marktkampf" (Big-M) ausgerechnet. Seit 2008 sei der Milchpreis um 17 Rappen gesunken, womit den Bauern eine halbe Milliarde Franken entgingen – pro Jahr.


Früher Milchkühe, heute Mutterkühe: Adolf Koller mit seinem Sohn Mario. Die Familie in Willisau LU produziert neu Fleisch statt Milch. (Bild zvg)


Vom übersättigten Milch- zum wachsenden Fleischmarkt

Ein Wechsel von der Milch- zur Fleischproduktion ist ein Wechsel von einem Überschuss- zu einem Wachstumsmarkt. Denn hochwertiges Fleisch aus Mutterkuhhaltung ist gefragt: "Egal ob Natura Beef, Natura Veal oder SwissPrimBeef: Die Nachfrage ist grösser als das Angebot", erklärt Urs Vogt, Geschäftsführer von Mutterkuh Schweiz. Naturnah produziertes Fleisch, das von Tieren stammt, die viel Auslauf haben und nur hofeigenes Grünfutter fressen, käme bei den Konsumenten an. (LID / Michael Wahl)

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