Food aktuell
Varia
26.9.2012
Kohlehydrate meiden statt Fett?


LOGI, "Low Glycemic and Insulinemic Nutrition", heisst eine neue Ernährungsform, die durch Kohlenhydratreduktion die Blutzucker- und Insulinwerte besser konstant halten und einer Gewichtszunahme vorbeugen soll. Stattdessen empfiehlt LOGI Gemüse, Obst, Fisch, Fleisch, Hülsenfrüchte und Milchprodukten. Die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung SGE sagt dazu jedoch: «Es gibt noch keine Evidenzen für eine erfolgreiche Therapie von Übergewicht und Adipositas».


Heute leiden beträchtlich mehr Menschen an Fettleibigkeit und den damit verbundenen Folgeerkrankungen als noch vor einigen Jahrzehnten. Schuld daran könnten entgegen der weit verbreiteten Meinung nicht zu viele Fette, sondern zu viele Kohlenhydrate sein.

Jedes fünfte Kind in der Schweiz ist fettleibig. Die Gesundheitsförderung Schweiz geht davon aus, dass ein Drittel der Schweizer Bevölkerung übergewichtig oder gar adipös ist und somit einen Body-Mass-Index von über 25 aufweist. Die Folgen reichen von Bluthochdruck über Herz-Kreislauf-Erkrankungen bis hin zu Diabetes Mellitus und Krankheiten des Bewegungsapparates – immer öfter auch bei jüngeren Menschen.

Vergleicht man diese Sachlage mit den Aussagen von Konsumentenbefragungen, wird augenblicklich die Differenz zwischen der gesellschaftlichen Realität und dem Selbstbild vieler Menschen sichtbar. In einer Umfrage des Grossverteilers Coop gaben 80 Prozent der befragten Personen an, auf eine gesunde Ernährungsweise zu achten, beim Kochen frische Zutaten zu verwenden und genug Früchte und Gemüse zu essen.

Fragte man Eltern danach, was ihre Kinder zu den Hauptmahlzeiten trinken würden, lautete die Antwort fast ausschliesslich Wasser oder ungesüsster Tee. Im gleichen Atemzug wurde die von den Sprösslingen konsumierte Menge an Süssgetränken jedoch auf durchschnittlich zwei Becher pro Tag geschätzt.

Tatsächlich konnte eine Ende August veröffentlichte Studie des Universitätsspitals Zürich aufzeigen, dass bereits moderate Mengen an Süssgetränken, regelmässig konsumiert, negative Auswirkungen auf den Blutzuckerspiegel und die Cholesterin-Werte haben. Der Befund ist umso erstaunlicher, bedenkt man, dass die Untersuchung nur drei Wochen dauerte.

"Vielen Eltern ist die Fettleibigkeit ihrer Kinder gar nicht bewusst", sagt die Lebensmittelingenieurin und Hochschuldozentin Marianne Botta Diener an einer Fachtagung für Ernährung, die vom Verband der Schweizer Milchproduzenten organisiert wurde. "Das Übergewicht wird häufig als 'Babyspeck' verharmlost und nicht als Gesundheitsrisiko anerkannt." Problematisch ist dieser Sachverhalt unter anderem deshalb, weil fast die Hälfte der übergewichtigen Kinder auch im Erwachsenenalter zu dick sein und somit ein Leben lang an gesundheitlichen Problemen leiden wird.

Neue Therapieansätze nötig

Für den Ernährungswissenschaftler und Autor Nicolai Worm sind die gängigen Methoden zur Reduktion von Übergewicht gescheitert. Auch für ihn stellen Bewegungsmangel und das unbegrenzte Angebot an Esswaren den Hauptgrund für die Zunahme adipöser Menschen dar.

Dennoch ist er überzeugt, dass die Problematik einer neuen Angehensweise bedarf, die über Bewegungsprogramme und Diäten hinausgeht: "Die bisherigen Adipositastherapien sind schwierig und häufig ineffizient. Hinzu kommt, dass die Massnahmen bei den Patienten oftmals auf wenig Begeisterung stossen, so dass diese nicht gewillt sind, mitzumachen. Niemand wird langfristig eine Diät durchhalten, die zum Kotzen schmeckt."

Worm spricht sich für die Anwendung eines neuen Ernährungskonzeptes aus, das stärker auf die Bedürfnisse der zu therapierenden Personen eingeht, ohne die medizinischen Begleiterscheinungen zu vernachlässigen. Der Ernährungswissenschaftler hat deshalb eine neue Methode entwickelt, die nicht primär auf die Gewichtsreduktion, sondern auf eine Anpassung der Ernährung an die gesundheitlichen Bedürfnisse der Betroffenen zielt.

"Wenn die geläufigen Therapien nicht wirken, muss die Ernährung des Patienten eben an seine aktuelle Gesundheitssituation angepasst werden", so Worm. Wenn die Patienten nicht imstande sind, ihre bisherigen Essgewohnheiten umzustellen, muss ihnen eine Ernährungsform angeboten werden, die – wenn sie das Übergewicht auch nicht zu verringern vermag – ihre Gesundheitslage nicht weiter verschlimmert.


Ist Brot Sünde? Die LOGI-Ernährungsmethode spricht vor allem den Kohlenhydraten die Schuld am Übergewicht vieler Menschen zu. Die Markenbrotfirma Pain Paillasse engagierte Ex-Miss Schweiz Lauriane Gilliéron (im Bild mit dem Genfer Bäcker Aimé Pouly), um das Dickmacherimage zu kontern. Die schöne Schlanke ist übrigens Vegetarierin.


Neu an der von Worm konzipierten Strategie ist nicht nur die stärker symptomorientierte Vorgehensweise, sondern auch, dass sie nicht die Reduktion von Fetten, sondern von Kohlenhydraten in den Mittelpunkt der Therapie stellt. LOGI, "Low Glycemic and Insulinemic Nutrition", heisst die neue Ernährungsform, die durch die verringerte Zufuhr von Kohlenhydraten – hauptsächlich aus Stärke und Zucker bestehend – die Blutzucker- und Insulinwerte der Betroffenen besser konstant halten und einer erneuten Gewichtszunahme vorbeugen soll.

Übergewicht und seine Begleiter

Worms neuer Ansatz beruht auf den Sachverhalt, dass der Blutzuckerspiegel vor allem beim Verzehr von Kohlenhydraten ansteigt. Dies wiederum führt dazu, dass der Körper eine bestimmte Menge an Insulin ausschüttet; einem Hormon, das den Transport von Zuckern in das Zellinnere gewährleisten soll. Da die Körperzellen übergewichtiger Personen oftmals insulinunempfindlich werden, ist hier der Körper der Betroffenen gezwungen, bei der Nahrungsaufnahme beträchtlich mehr Insulin als normal freizugeben.

Folge dieser übermässigen Insulinausschüttung können Funktionsstörungen der Bauchspeicheldrüse, Herz-Kreislauf-Störungen oder ein erhöhtes Krebsrisiko sein. Das Ansetzen bei einer kohlenhydratarmen Kost ist für Worm deshalb ein effektives Mittel, um auch ohne Gewichtsabnahme das Risiko für Folgeerkrankungen bei Übergewicht und Adipositas zu verringern, indem die Notwendigkeit des Körpers zur Insulinfreigabe reduziert wird. Hinzu kommt, dass die LOGI-Ernährung gemäss Worm die Fettverbrennung erhöht und damit einen positiven Effekt auf die Gewichtsreduktion ausübt.

Die Menge macht das Gift

Konkret sieht die "LOGI-Methode" den eingeschränkten Konsum aller stärke- und zuckerreichen Lebensmittel wie Süssigkeiten, Brot, Teigwaren, Reis oder Kartoffeln vor. In der von Worm modifizierten Ernährungspyramide sind Brot- und Teigwaren denn auch erst auf der zweitletzen (Vollkornprodukte, Kartoffeln und Teigwaren) bzw. letzten Stufe (Nahrungsmittel aus Weissmehl) der empfohlenen Esswaren anzutreffen. Stattdessen wird den Betroffenen geraten, sich von Gemüse, Obst, Fisch, Fleisch, Hülsenfrüchte und Milchprodukten zu ernähren.

Worm versteht die LOGI-Ernährungsweise als Annäherung an die mediterrane Küche und ist überzeugt, dass sie bei den Betroffenen auf mehr Akzeptanz stösst als herkömmliche Ernährungsempfehlungen. Doch auch Worm weiss, dass es allein die Menge ist, die das Gift macht. Der Verzehr kohlenhydratreicher Lebensmittel soll kein Tabu sein, sondern auf ein überschaubares Mass reduziert werden. "Es geht nicht darum, Kohlenhydrate zu verteufeln, sondern darum, in Anbetracht der physiologischen Situation vieler Übergewichtiger realistisch zu denken", so Worm.

Ernährungsexpertin Marianne Botta Diener hat die Koch- und Esstipps von LOGI über längere Zeit in der eigenen Küche ausprobiert. "Natürlich hat die Abneigung der Kinder gegen die noch unbekannten Gemüse-und Fleischgerichte die Umsetzung erstmals erschwert. Kinder gewöhnen sich aber mit der Zeit an die Lebensmittel, die sie häufig sehen und essen. Man muss ihnen nur etwas Zeit lassen", sagt die mehrfache Mutter.

Nach einigen Wochen sei das neue Essen gut angekommen. "Ich glaube, wir haben uns alle sehr wohl damit gefühlt", so Botta Diener. Als einzigen Kritikpunkt nennt die Ernährungsingenieurin die höheren Ausgaben, die mit der Umstellung auf eine LOGI-konforme Ernährungsweise einhergegangen seien.

Bei vielen Medizinern und Ernährungswissenschaftlern stösst Worms neues Konzept auf Interesse. Internationale Studien zeigen, dass die neue Methode die Versprechen, die sie macht, auch hält. Doch ob sich die Ernährungsform als Standard auch für gesunde Menschen etablieren wird, wie sich das Worm wünscht, ist fraglich. Worms Ansicht, wonach nicht die Fette, sondern vor allem Kohlenhydrate für den grösser werdenden Bauchumfang vieler Menschen verantwortlich sind, entspricht nämlich nicht der allgemeinen Auffassung.

Ein Blick in die Supermarktregale verdeutlicht das, denn von der Margarine bis hin zu süssen Naschereien ist alles in der "light"-, also in der fettreduzierten Version, erhältlich. Kommt hinzu, dass offizielle Stellen wie die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung (SGE) kohlenhydratreiche Lebensmittel noch immer als gesünder als fettreiche erachten. Zuletzt wird das Scheitern breitangelegter Präventionsmassnahmen an der mangelnden Bereitschaft der Menschen liegen, sich von den gewohnten Ernährungsmustern zu lösen. Oder wie Worm es ausdrückt: "Ich bin überzeugt, wir Menschen besitzen ein Faulheits-Gen". (Text: Schweizer Milchproduzenten SMP, Swissmilk / Peywand Kassraian)

Kommentar

von Steffi Schlüchter, Dipl. Ernährungsberaterin HF
Leiterin Nutrinfo und Medienservice
Schweizerische Gesellschaft für Ernährung SGE:

Bisher konnten therapeutische Erfolge der Logi-Methode nur bei Hyperinsulinämie und Insulinresistenz glaubwürdig nachgewiesen werden. Es gibt noch keine Evidenzen für eine erfolgreiche Therapie von Übergewicht und Adipositas. LOGI als Familienernährung zu empfehlen, ist fragwürdig. Ausserdem sollten die ökologischen Aspekte nicht ausser Acht gelassen werden. Der hohe Fleischkonsum widerspricht den globalen Bestrebungen zur Nachhaltigkeit. Der SGE wird nachgesagt, dass sie eine kohlenhydratreiche Ernährung propagiert. Dem ist keinesfalls so. Die Empfehlungen gemäss der Schweizer Lebensmittelpyramide stützen sich auf eine Kohlenhydratzufuhr von 45 %.

Dass die Schweizerische Gesellschaft für Ernährung SGE wie der Bericht der SMP unterstellt, «kohlenhydratreiche Lebensmittel noch immer als gesünder als fettreiche erachten» stimmt nicht. Wir klassieren Lebensmittel grundsätzlich nicht in gesund-ungesund, auch weil derartige Pauschalisierungen fachlich nicht haltbar sind.
www.sge-ssn.ch

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