Food aktuell
Varia
1.10.2012
Gewürze sind Mood Food

An der Fachtagung «Trendtage Convenience 2012», 4. und 5.9. 2012, veranstaltet vom Euroforum Schweiz AG in Zürich, hat Udo Pollmer, Wissenschaftlicher Leiter des Europäischen Instituts für Lebensmittel und Ernährungswissenschaften ein Referat gehalten zum Thema «Opium fürs Volk – stimmungsbeeinflussende Stoffe in Lebensmitteln).

Über dieses Thema schrieb er schon im 1994 ein Kapitel in seinem Buch «Prost Mahlzeit – krank durch gesunde Ernährung» (Kiepenheuer & Witsch Verlag, Köln). foodaktuell.ch präsentiert als Medienpartner der Fachtagung einen Auszug aus dem Referat bzw aus dem Buch: stimmungsbeeinflussende Stoffe in Gewürzen, oft «Moodfood» genannt.

Essen ist Jagd nach Geschmack

Jedes Kind weiss, dass wir zu viel, zu fett, zu süss und zu salzig essen und dass es alleinseligmachende Ballaststoffe sind, die unserem zivilisationsgeschädigten Darm fehlen. Leider haben diese Einsichten den Umsatz von Weizenkleie und Co. nicht in schwindelnde Höhe wachsen lassen. Werden sie dennoch gekauft, fallen sie nach einer ersten Verkostung und einer Inkubationszeit von vier Wochen den auf solches Futter spezialisierten Motten zum Opfer.

Mit all den Ratschlägen für gesunde Ernährung hat man letztendlich eher ein kollektiv schlechtes Gewissen erzeugt, als eine »Umstellung« der Ernährung bewirkt. Und das nur, weil man eine Tatsache vergessen hat: Der Mensch isst nicht nur, weil er dadurch Proteine, Fett, Kohlenhydrate, Vitamine und Mineralstoffe zu sich nimmt, die sein Körper benötigt, sondern er isst vor allem, um seine Lust nach Essen zu befriedigen.

Essen ist Jagd nach Geschmackserlebnissen. Die Regulation der Nahrungsaufnahme ist ein sehr alter Trieb, der tief im Unbewussten, d. h. dem limbischen System verankert ist. Seit ewigen Zeiten wird die Nahrungsaufnahme stets durch Lust oder Unlustgefühle gesteuert.

Je grösser die Auswahl, je verführerischer der Überfluss, desto öfter nimmt der Mensch Lebensmittel zu sich, ohne den knurrenden Magen zu spüren, rein aus Vergnügen. Der australische Psychophysiker Robert McBride vergleicht »Essen ohne Hunger und Trinken ohne Durst mit Sex, bei dem keine Kinder gezeugt werden sollen«. Der Appetit des Menschen dient also vor allem der Lustmaximierung und ist willentlich kaum kontrollierbar.

Schon der berühmte französische Gourmet Brillat-Savarin schrieb Anfang des 19.Jahrhunderts in seinem Werk Physiologie des Geschmacks, dass ein Mensch nicht vollkommen glücklich sein kann, solange sein Geschmack nicht befriedigt ist«. Wie wichtig diese Geschmacksstimulierung für das Wohlbefinden ist, kann der Mensch anscheinend erst abschätzen, wenn er diesen Sinn verliert.

Ohne Geruch keine Freude am Essen

Süss, sauer, bitter und salzig schmecken wir mit den Geschmacksknospen der Zunge, für alle anderen Geschmackserlebnisse sind Gaumen und vor allem Nase zuständig. Anosmotiker, Menschen, die nichts mehr riechen können, haben auch keine Freude mehr am Essen. Und das ist leicht nachzufühlen, denn es wird einem auch das beste Galadiner verleidet, wenn man an diesem Tag Schnupfen hat. Eine intakte Nase gehört anscheinend zum Essvergnügen.

Die Lust, die wir beim Konsum eines bestimmten Nahrungsmittels verspüren, ist individuell also sehr verschieden. Was dem Engländer der Tee, ist dem Deutschen die Tasse Kaffee. Der Lustfaktor alleine erklärt deshalb noch nicht, weshalb einige Nahrungsmittel einen solchen Siegeszug um die Welt angetreten haben und weshalb der Mensch von einigen Speisen und Getränken einfach nicht lassen kann.

Die Antwort liegt in unserer Psyche begründet. Einige Nahrungsmittel scheinen die Fähigkeit zu besitzen, regelrechte Nahrung für die Seele zu sein. Sie enthalten Verbindungen wie Morphine oder Opiate oder greifen indirekt in den Gehirnstoffwechsel ein und fördern so die Produktion von stimulierenden Substanzen im Gehirn. Die Konsequenz ist, dass wir regelrecht abhängig von diesen Genussmitteln werden können.

Gewürze als Kriegsgrund

Das viele Blut, das für exotische Gewürze vergossen wurde, beweist, wie wichtig die Jagd nach Genussmitteln schon immer war. Um 1800 wurden die Briten Herrscher über den Gewürzhandel. Statt aber, wie ihre Vorgänger, die Preise durch künstliche Verknappung hochzuhalten, boten die Engländer die Gewürze relativ preiswert an und machten sie so für weite Bevölkerungskreise erschwinglich. Die Zeit der Gewürzmonopole war vorbei. Die Gewürzplantagen wichen dem Anbau von Kaffee, Tee oder Kautschuk.

Warum sind Pfefferkörner und Muskatnüsse (Bild) so begehrt, dass man beinahe von einer kollektiven Sucht sprechen kann? Auch Gewürze enthalten Stoffe, die auf die Psyche wirken. Die bekanntesten Inhaltsstoffe sind Myristicin und Elemicin, beide nahe verwandt mit dem Mescalin. Mescalin ist die Droge aus dem mexikanischen Peyotl-Kaktus, die schon die Azteken für ihre religiösen Kulthandlungen benutzten und die starke Halluzinationen hervorruft. Der Gehalt an Myristicin und Elemicin ist in manchen haushaltsüblichen exotischen Gewürzen viel höher als in heimischen Kräutern, wie z. B. dem Dill.

Natürlich unterscheiden sich die beiden genannten Stoffe noch etwas vom Mescalin. Diese Abweichung scheint aber die Leber »korrigieren« zu können. Man fand heraus, dass zumindest die Rattenleber in der Lage ist, sie in Amphetamine umzuwandeln. Und das sind Drogen, die dem Mescalin nicht nur chemisch sehr nahe kommen, sondern es in seiner Wirkung noch übertreffen. Wenn den Hippies früher das Haschisch ausging, griffen sie nicht selten zur Muskatnuss. Zwei bis drei Nüsse reichen für Halluzinationen aus, allerdings auch für eine scheussliche Vergiftung.

Lange vor den Hippies empfahl die Nonne und grosse Seherin des Mittelalters, Hildegard von Bingen, Muskatnüsse aufs Wärmste, um die »Bitterkeit des Herzens« zu dämpfen, denn sie machen »deinen Geist fröhlich«. Zu jener Zeit kosteten zwei Pfund Muskatblüte genausoviel wie eine Kuh.

Ein wenig erinnern Verwendung, Preise und Gewinnspannen an modernen Drogenhandel. Myristicin und Elemicin können aber auch noch subtiler unters Volk gebracht werden. Ein Aromenunternehmen liess sich eine besondere Anwendung patentieren: Parfüms oder Düften, denen man diese beiden legalen Drogen zusetzt, wirken stressvermindernd und beruhigend. Das heisst, wir können solche Stoffe auch über die Nase aufnehmen, ohne dass wir sie deshalb bewusst riechen müssen. Diese Manipulationsmöglichkeit lüftet ein wenig den Schleier, der bisher über den Düften und ihrer Wirkung auf unsere Emotionen lag.

Ein australischer Wissenschaftler hat herausgefunden, warum manche Menschen die scharfen Gewürze so lieben. Der Wirkstoff von Chilli ist das Capsaicin, von Pfeffer das verwandte Piperin. Sie bringen den Mund zum Brennen und treiben uns dieTränen in die Augen.

Warum setzen sich Menschen nun freiwillig dieser unangenehmen Schärfe aus? Nun, was wir als Schärfe empfinden, ist in Wirklichkeit ein Schmerzeindruck. Durch die Schmerzen der Schärfe werden körpereigene Opiate freigesetzt, die sogenannten Endorphine. Sie erzeugen ein Gefühl von Zufriedenheit und Glück.

Dies erklärt, weshalb es Menschen gibt, die regelrecht süchtig nach scharfem Essen sind. Dass allerdings in vielen Staaten der Dritten Welt generell extrem scharf gegessen wird, hat noch einen weiteren Grund: Scharfstoffe wie das Capsaicin bekämpfen Darmparasiten. Piperin, der Scharfstoff des Pfeffers, ist eins der stärksten Insektengifte. Insofern ist diese Gepflogenheit bei Fehlen entsprechender Arzneimittel durchaus sinnvoll.

Früher wurden in Deutschland pro Kopf offenbar hundertmal mehr Gewürze verkonsumiert als heute, nicht nur wegen der Bandwürmer oder gar aufgrund mangelnder Esskultur. Viel naheliegender ist eine andere Überlegung. Im Mittelalter gab es ausser Alkohol, Muskat und Pfeffer sowie einigen widerwärtigen einheimischen Drogen wie dem Stechapfel keine Stimulantien. Als Zucker; Kaffee und Tabak verfügbar wurden, schwand der Bedarf an heimischen »Aufputschmitteln«, und die Dosierungen von Muskat und Pfeffer konnten gesenkt werden.

Udo Pollmer – zur Person

Udo Pollmer (Bild) hat sich nach Abschluss seines Studiums der Lebensmittelchemie gleich selbständig gemacht und arbeitet seither als Wissenschaftsjournalist, Unternehmensberater und Dozent im In- und Ausland. Seit 1994 ist er Wissenschaftlicher Leiter des Europ. Institutes für Lebensmittel- und Ernährungswissenschaften e.V.. Er hat zur ernährungswissenschaftlicher und lebensmittelkundlicher Thematik zahlreiche Publikationen und Beiträge in Hörfunk und TV veröffentlicht (www.euleev.de).

Seit 1998 hat er eine eigene Kolumne bei Deutschlandradio Kultur ("Mahlzeit", jeden Sonntag kurz vor 12.00 http://www.dradio.de/rss/podcast/sendungen/mahlzeit). Seine jüngste Buchveröffentlichungen sind die nachfolgenden: "Lexikon der populären Ernährungsirrtümer", Eichborn 2007; "Wer gesund isst, stirbt früher", BLV 2008; "Opium fürs Volk - Nahrung für den Geist", Rowohlt 2010. "Wer hat das Rind zur Sau gemacht" Rowohlt 2012. (Text: Euroforum. Bild: Arthur Rossetti)

Weiterlesen:
Aromastoff-Moleküle gleichen Antidepressiva
Schokoladensucht biochemisch erklärt
Warum Zucker glücklich macht

Copyright http://www.foodaktuell.ch