Food aktuell
Varia
4.2.2014
Schweizer Tierwohl exportieren?



Die Migros will künftig nur noch tierische Produkte aus dem Ausland einführen, die nach Schweizer Tierschutzstandards produziert worden sind. Verliert die Schweizer Landwirtschaft damit den Tierwohl-Bonus?


Kommentar von Michael Wahl: Das Ziel ist ambitioniert: Die Migros will ab spätestens 2020 nur noch Milchprodukte, Fleisch und Eier importieren, die im Ausland nach Schweizer Tierwohl-Standards produziert werden. "Generation M" heisst das Projekt der Migros. Zusammen mit Organisationen wie dem Tierschutz definiert der Detaillist Anforderungen, die punkto Tierhaltung, Gesundheit, Fütterung, Transport und Schlachtung gelten sollen. Für die Bereiche Truten-, Kaninchen- und Pferdefleisch ist die Umsetzung der neuen Anforderungen bereits im Gang. Poulet soll folgen.

Eine artgerechte Haltung der Nutztiere ist auch der Grünen Partei ein Anliegen. Diese fordert, dass importierte Lebens- und Futtermittel Schweizer Qualitäts-, Umwelt- und Tierschutzstandards entsprechen müssen. Erreichen wollen das die Grünen mittels Volksinitiative.

Tierwohl ist entscheidend

Migros und die Grünen bewirtschaften ein Thema, das den Schweizer Konsumenten zunehmend wichtig ist – das Tierwohl. Für viele Konsumenten gilt: Wenn schon tierische Produkte konsumieren, dann sollen es Rind, Schwein und Huhn möglichst gut haben. Dafür sind sie auch bereit, mehr zu bezahlen.

In der Schweiz haben es die Nutztiere besser, denn hierzulande gelten strengere Tierschutz-Vorschriften als in der EU. So dürfen in der Schweiz etwa Ferkel nur mit Narkose kastriert werden, Schnabelcoupieren bei Legehennen ist nicht erlaubt, Tiertransporte dürfen nicht länger als 6 Stunden dauern.

Der Anteil Tiere, die im Rahmen des staatlichen Programms "Regelmässiger Auslauf von Nutztieren im Freien" (RAUS) gehalten werden, stieg in den letzten zehn Jahren um 20 auf 73 Prozent. Beim Programm "Besonders tierfreundliche Stallhaltungssysteme" (BTS) verdoppelte sich der Anteil auf heute knapp 50 Prozent. Dazu kommen diverse Labels, deren Anforderungen über die minimalen gesetzlichen Vorschriften hinausgehen.


Strengere Tierschutzvorschriften verteuern zwar die Produktionskosten der Schweizer Landwirtschaft, sie sind aber gleichzeitig auch der grosse Trumpf, mit dem man bei einer Tierwohl-sensiblen Bevölkerung punkten und sich von ausländischen Produkten abgrenzen kann. Was aber, wenn ausländische Produkte quasi auf Augenhöhe daherkommen?

Druck nimmt zu

Die Eierproduzenten sehen den Tierwohl-Bonus der Schweizer Landwirtschaft durch die Migros gefährdet. "Wenn nun die Grossverteiler nur noch Waren importieren, die in Haltung und Herstellung unserer Schweizer Produktion ebenbürtig sind, werden einige unserer Argumente weniger Gewicht haben", beklagt Jean Ulmann, Präsident von Gallo Suisse, dem Verband der Schweizer Eierproduzenten, in der Geflügelzeitung. Die Konsumenten könnten womöglich nicht mehr gewillt sein, einen Mehrpreis für Schweizer Eier zu bezahlen.

Peter Röthlisberger, Präsident der Schweizer Geflügelproduzenten, spricht zwar von einem ernst zu nehmenden Thema, ist aber weniger besorgt. "Das strengere Schweizer Tierschutzgesetz ist durchaus ein Verkaufsargument, aber nicht das einzige." Entscheidend sei das Gesamtpaket "Herkunft Schweiz". Dazu gehörten etwa bäuerliche Familienbetriebe, eine GVO-freie Fütterung und die Regelung der Höchst-Tierbestände. Auch sei die Schweiz von Lebensmittelskandalen verschont geblieben, während dies im Ausland immer wieder mal der Fall gewesen sei. Konsumenten würden zunehmend bewusst einkaufen, Produkte aus der Region lägen im Trend.

"Wenn jemand ein Poulet aus der Region will, wird er kaum ein solches aus Polen kaufen, nur weil es unter vergleichbaren Bedingungen produziert wurde", so Röthlisberger. Er verweist darauf, dass 90 Prozent der Mastpoulets in der Schweiz in Ställen gehalten werden, die mehr Komfort bieten als gesetzlich vorgeschrieben. Müssen ausländische Geflügelproduzenten nach Schweizer Standards produzieren, werden deren Produktionskosten steigen, weil zum Beispiel auf der gleichen Fläche weniger Tiere gehalten werden dürften. Ausländisches Poulet würde teurer, die Preisdifferenz zu Schweizer Geflügel kleiner.

Die Befürchtungen der Eierproduzenten, Schweizer Produkte könnten ins Hintertreffen geraten, teilt die Migros nicht. "Die ausländischen Produkte werden bei den Kundinnen und Kunden nicht die gleiche Beliebtheit haben wie die Schweizer Produkte", erklärt Mediensprecher Urs Peter Naef. Es sei eine Realität, dass viele Produkte importiert werden müssten, weil die Inlandproduktion die Nachfrage nicht abdecken könne. Auch bei den Importen wolle man sicherstellen, dass das Schweizer Tierwohl-Niveau gewährleistet sei.

Welche tierischen Produkte werden importiert?

Massentierhaltung, tierquälerische Transporte oder tiefe Tierschutzstandards: Die Bedingungen, unter denen im Ausland Nutztiere gehalten werden, stehen immer wieder in der Kritik. Bei der Tierschutz-Diskussion stehen vor allem Fleisch und Eier im Zentrum, weniger aber Milchprodukte. Die Schweiz führt beim Geflügel und bei den Eiern rund 50 % des Bedarfs ein. Der Import-Anteil liegt beim Schaffleisch bei ca. 60 %, beim Pferdefleisch bei über 90 %. Hoch ist der Selbstversorgungsgrad hingegen beim Kalbfleisch (98%), Rindfleisch (88%) und Schweinefleisch (97%). (Text: LID)



Fleisch mit gutem Gewissen

Kommentar von Harald Seitz: Verbraucher wollen guten Gewissens Fleisch essen. Das ist zumindest in den Medien die gängige Interpretation von Umfrageergebnissen. So hat zum Beispiel die Umfrage "Consumers’ Choice 11" der Bundesvereinigung der deutschen Ernährungsindustrie ergeben, dass 75 Prozent der Befragten Wert auf Lebensmittel aus artgerechter Tierhaltung legen. Warum auch nicht? Uns geht es gut, da soll es auch den Tieren gut gehen.

Wer sollte da etwas dagegen haben? Die Landwirte, weil das mit Mehrarbeit verbunden ist? Die verarbeitenden Unternehmen und der Handel, weil das vielleicht teurer ist? Oder gar letztendlich der Verbraucher, der dann eventuell lieber nicht so viel zahlen möchte an der Fleischtheke? Aber die Frage nach mehr Tierschutz/Tierwohl/Artgerechter Haltung ist noch wesentlich komplizierter. Das wurde spätestens im Rahmen der weltgrössten Landwirtschafts- und Ernährungsschau, der Internationalen Grünen Woche Mitte Januar in Berlin klar.

Was heisst denn genau "artgerechte Tierhaltung"? Da hat jeder in der Branche offenbar seine eigenen Vorstellungen und der Verbraucher blickt da längst nicht mehr durch. So ist Joachim Rukwied, Präsident des Deutschen Bauernverbandes, der Ansicht, dass Kühe in Deutschland besser ernährt werden als Menschen. "Wir haben keine Massentierhaltung", ist sein Statement. Daher sei er auch nicht bereit, unsachliche Diskussionen mit Organisationen zu führen, die die Branche diffamieren wollten. Und doch startete der Deutsche Bauernverband im Sommer 2013 eine "Initiative Tierwohl", die "gesellschaftliche Forderungen nach mehr Tierwohl in der Nutztierhaltung berücksichtigt", so eine Ankündigung in einer Mitgliederzeitschrift. Also doch Handlungsbedarf?

Dass das Fragen aufwirft, liegt auf der Hand und so machen andere Interessengruppen ordentlich Gegenwind. Zum Beispiel der grösste Öko-Anbauverband Bioland: "Die Branchenlösung ist lediglich eine PR-Kampagne, um das angekratzte Image der Tierhalter zu verbessern. Nicht mehr und nicht weniger", kritisierte Verbandspräsident Jan Plagge. Die Initiative sei komplett ungeeignet, um mehr Tierschutz zu schaffen, weil die Landwirte den Verbrauchern den Mehrwert gar nicht verkaufen können. Zudem bremse die Initiative andere Labels für konventionelle Landwirte aus, wie das des Tierschutzbundes.

Dieses Label ist aber leider auch nicht unumstritten, da es zweistufig und so wenig transparent für den Endverbraucher daher kommt. Eine grosse Diskrepanz also zwischen den Verbraucherwünschen nach artgerechter Tierhaltung bzw. Fleischkonsum mit gutem Gewissen und den tatsächlichen, für den Verbraucher nicht ersichtlichen Verhältnissen.

Um das Problem sachlich anzugehen und für alle Nutztiere ein Mindestmass an Artgerechtigkeit zu erreichen, müssen vielleicht doch harte Fakten - sprich Gesetze - her. Der Markt kann das offenbar nicht alleine regeln. Zumindest nicht nach den heterogenen Verbraucherwünschen: Ist für die Einen das Tierwohl unumwunden mit wenig Antibiotikaeinsatz und Platz verbunden, träumt der Andere noch von blühenden Sommerwiesen mit Kühen auf der Weide.

Der Landwirt sitzt hierbei zwischen den Stühlen. Kein professioneller Tierhalter wird allen Ernstes nicht auf die Gesundheit seiner Tiere achten. Denn das ist ein ökonomisch nicht zu verachtender Faktor. Oft ist mangelnder Tierschutz eher ein Managementproblem. Zum Beispiel in der Rinderhaltung: die Sauberkeit der Tiere, die Klauengesundheit, das Stallklima, Lauf- und Liegeflächen oder die Wasserversorgung.



Käfighaltung: eher kein «Managementproblem» sondern gewollt


Angehende Landwirte müssen in ihrer Ausbildung für das Thema sensibilisiert werden. Es nützt nichts, wenn der Verbraucher sagt: "Ich will mehr Tierschutz", der Landwirt aber keine Hilfe bekommt, die notwendigen Schritte durchzuführen. In einem waren sich die Experten auf der Grünen Woche aus allen Lagern aber einig: Tierische Lebensmittel sind zu billig. (Text: aid)

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