Food aktuell
Varia
2.7.2014
EU-Projekt: Billige, gute Lebensmittel für Arme


Das Projekt "CHANCE" entwickelt neue Lebensmittel, die schmackhaft, nährstoffreicher und billiger in der Herstellung sind. Bild: Prototyp der CHANCE-Pizza


Über 125 Millionen Menschen in Europa waren 2012 von Armut oder sozialer Ausgrenzung bedroht, so ein Bericht der Europäischen Kommission Generaldirektion EUROSTAT.1 Die Kommission hat sich dazu verpflichtet, bis 2020 mindestens 20 Millionen Menschen aus der Armut und sozialer Ausgrenzung zu befreien.2 Forschungsprogramme in diesem Bereich sollen dabei helfen, dieses Problem anzusprechen.

Das Projekt CHANCE (www.chancefood.eu) ist eine auf vier Jahre angelegte Initiative, die vom 7. Rahmenprogramm der Europäischen Kommission finanziell unterstützt wird; sie beschäftigt sich mit dem Problem der Unterernährung europäischer Bürger durch die Entwicklung attraktiver, bezahlbarer und nährstoffreicher Lebensmittel zu geringen Kosten und mit herkömmlichen Zutaten.3,4

Zu den wichtigsten Ergebnissen des Projekts gehört die Entwicklung von CHANCE-Lebensmitteln, Prototypen allgemein verfügbarer Lebensmittel mit einem gesteigerten Nährwert. Zu diesen Lebensmitteln gehören ein Laib Brot, Schinken, ein dem Mozzarella ähnlicher Käse, ein auf Tomaten basierendes Ketchup, eine aus diesen Zutaten hergestellte Pizza sowie eine Auswahl an Produkten auf Basis von Heidelbeeren. Diese Produkte haben einen höheren Nährwert und sind billiger in Herstellung und Verpackung. Der Geschmack der Prototyp-Lebensmittel war von vergleichbaren am Markt erhältlichen Markenprodukten nicht zu unterscheiden, was die Verbraucher begrüssen werden.

CHANCE-Lebensmittel – höherer Nährstoffgehalt, geringere Kosten

Forscher des Institute of Food Technology of Novi Sad in Serbien leiteten die Entwicklung des (gekochten) CHANCE-Schinkens, der weniger Salz, dafür aber mehr Vitamin A, D und E sowie Eisen enthält als heutzutage in Europa erhältlicher Kochschinken. Dies wurde durch die Zugabe von 7 % Schweineleber zum Schinken erreicht. Der wichtigste Anstieg des Vitamingehalts wurde bei Vitamin A erreicht; eine 100g-Portion des CHANCE-Schinkens liefert 25 % der empfohlenen täglichen Aufnahme. Haushaltsüblicher Kochschinken enthält kein Vitamin A.

Der Vitamin E Gehalt im CHANCE-Schinken ist 150 % höher als bei üblichem Kochschinken, der Eisengehalt ist 25 % höher. Das CHANCE-Ketchup wurde unter Verwendung von Samen und Haut hergestellt - reich an Ballaststoffen die aus Nebenprodukten der Tomatenverarbeitung gewonnen werden. Es enthält die zehnfache Menge an Ballaststoffen im Vergleich zu handelsüblichen Ketchups.

Der Mozzarella-ähnliche Käse wurde aus Kasein hergestellt, welches mithilfe einer neuen und einfacheren Mikrofiltrationstechnologie aus Magermilch extrahiert wurde; die Technologie wurde von Valio, einem Partner des CHANCE-Projekts, entwickelt. Im Vergleich zu herkömmlichem Mozzarella-Käse enthält der CHANCE-Käse die doppelte Menge an Vitamin B12, ausserdem enthält er weniger Fett und Kohlenhydrate.

Das mit Nährstoffen angereicherte CHANCE-Brot – entwickelt von den Unternehmen VTT in Finnland und BME in Ungarn – enthält mehr Protein, Vitamine und Ballaststoffe als herkömmliches Brot. Der Ballaststoffgehalt konnte von 6 % auf 14 % gesteigert, während der Gehalt an Kohlenhydraten und Energie gesenkt wurde, u.a. durch die Reduzierung des Stärkegehalts von 35 % auf 10 %.

Die CHANCE-Pizza, hergestellt aus einem Teig nach spezieller Rezeptur, enthält einen Sojabohnenzusatz – entwickelt vom CHANCE Projektkoordinator, der Universität von Bologna, Italien – und enthält das CHANCE-Ketchup, CHANCE-Schinken und den Mozzarella-ähnlichen Käse.

Projektpartner Valio entwickelte eine Auswahl günstig herzustellender Produkte auf Basis von Beeren. Alle Produkte bestehen zu 50 % aus Heidelbeeren und zu 50 % aus Heidelbeerpresskuchen. Für die Herstellung des Heidelbeerpresskuchens wurde ein neues und billigeres Nassmahlverfahren verwendet. Zu den hiermit entwickelten Produkten gehören ein Beeren-Joghurt, eine Beeren-Suppe und ein Smoothie-Getränk, das Beeren und Gemüse enthält (Abb. 1-3).

Um die Kosten weiter zu senken, verwendeten die Forscher einfacher gestaltete und wiederverwertbare Materialien für die Lebensmittelverpackung der CHANCE-Lebensmittel, beispielsweise Papierbeutel für Brot und einen dünneren oder halbsteifen Kunststoff für die Primärverpackung der CHANCE-Pizza (Abbildung 4). Als Alternative zum Kunststoff wurden zudem kostengünstige Blechdosen vorgeschlagen.

Industrie- und Verbraucherperspektiven

Eine der Forschungsgruppen des CHANCE Projekts mit Sitz an der Universität von Vilnius in Litauen ermittelte Strategien zur Unterstützung gesunder Ernährung. Zu diesem Zweck wurden die Interessen von Lebensmittelherstellern, Handel und Verbrauchern untersucht, um Gemeinsamkeiten zu identifizieren.

Insgesamt wurden festgestellt, dass eine der Hürden für den Verzehr und die Herstellung gesünderer Lebensmittel in der unzureichenden Kenntnis über gesündere Lebensmittel liegt – basierend sowohl auf vermeintlichem als auch tatsächlichem Wissen.

Die Forschungsgruppe aus Litauen befragte über 1.000 Verbraucher und führte 53 Einzelinterviews mit Repräsentanten von 32 Klein- und mittelständischen Unternehmen (KMUs), lebensmittelverarbeitenden Industrieunternehmen und 21 Einzelhandelsbetrieben in Finnland, Italien, Litauen, Serbien und Grossbritannien durch.5 Die Fokusgruppen und Umfragen wurden durchgeführt um Hemmnisse für gesundes Ernährungsverhalten besser zu verstehen. Die Verbraucher wurden zu den folgenden Themen befragt: Lebensmittelpreise, Essgewohnheiten, gesundes Essen, Bezahlbarkeit gesunder Lebensmittel und Verständnis von gesünderen Lebensmittelprodukten sowie die Motivation diese zu konsumieren.

Sowohl die Öffentlichkeit als auch die Industrie sind der Meinung, dass gesündere Lebensmittel teuer im Einkauf bzw. in der Herstellung sind, verbunden mit einem hohen Risiko eines finanziell geringen Ertrags. Dies könnte durch die Entwicklung neuer Produkte verbessert werden - unter Verwendung billigerer und gesünderer Zutaten, wie anhand der CHANCE-Prototypen gezeigt werden konnte.

Stärkerer Wettbewerb in der Industrie bei der Betonung der gesundheitlichen Aspekte von Lebensmittel für von Armut bedrohte Gruppen könnte zu einem höheren Konsum dieser Produkte führen. Die Empfehlungen des CHANCE-Projekts umfassen eine Reihe öffentlicher Gesundheitsstrategien: Erziehungs- und Bildungsprogramme die bereits in der Schule beginnen und durch öffentliche Gesundheitskampagnen und Werbung unterstützt werden; Schulungen in der Industrie zur Herstellung gesunder Lebensmittel sowie Kochkurse in Einzelhandelsgeschäften für Bevölkerungsgruppen mit niedrigem Einkommen; und Informationen für Verbraucher zu einer gesunden Lebensweise und Nährstoffkennzeichnung.

Marketing und Kennzeichnung dieser "gesünderen aber billigeren" Produkte könnten dazu verwendet werden, eine Markenstrategie zu entwickeln, die einen hohen Wiedererkennungswert für Verbraucher garantiert.

Ermittlung der von Armut bedrohten Gruppen

In einer gesonderten CHANCE-Studie untersuchten Forscher der Universität von Kopenhagen in Dänemark molekulare Fingerabdrücke von Verbrauchern um häufige Auswirkungen von Ernährung auf unterschiedliche Bevölkerungsgruppen in ganz Europa feststellen zu können.6,7

Die Teilnehmer wurden danach ausgewählt, ob sie einer von Armut bedrohten oder einer kaufkräftigen Bevölkerungsgruppe angehören. Urinproben wurden von 2.372 ausgewählten Teilnehmern in fünf Zentren in Finnland, Litauen, Italien, Serbien und Grossbritannien genommen. Anhand der Magnetresonanztomographie (Kernspintomographie) konnten somit Art und Konzentration verschiedener Signale von Stoffwechselprodukten in den Urinproben gemessen werden. Dies kann zum Beispiel dabei helfen, hohe Glukosekonzentrationen festzustellen.

Trotz intensiver Bemühungen in der Datenanalyse gelang es nicht, allein anhand der Proben vorhersagen zu können, welche Teilnehmer der von Armut bedrohten Gruppe angehörten. Die Forscher stellten die Hypothese auf, dass der wirtschaftliche Status einer Bevölkerungsgruppe keinen ausreichenden Unterscheidungsfaktor für gesunde Ernährung darstellt. Unterschiede zwischen den Teilnehmern beziehen sich, wenn überhaupt, auf den individuellen Genotyp, die Ernährung, den Lebensstil oder das Land.

Zusätzliche statistische Analysen wurden für die Daten aus Italien durchgeführt, wobei der molekulare Fingerabdruck der Urinproben um Informationen über die Ernährung ergänzt wurde. Diese wurden mithilfe eines Fragebogens zum Essverhalten von Teilnehmern gesammelt. Die Forscher fanden heraus, dass ein Unterschied in Bezug auf den Verzehr von Lebensmitteln auf Fischbasis, wie beispielsweise Meeresfrüchte, bestand, und es zeigte sich eine ungleiche Verteilung von fischbasierten Nährstoffen, einschliesslich Vitamin D, zwischen von Armut bedrohten und kaufkräftigen Bevölkerungsgruppen.

Ausserdem war der Verbrauch an Lebensmitteln wie gebratenes Huhn, Putenfleisch, Fruchtsäfte und Senf bei der von Armut bedrohten Gruppe höher, während die kaufkräftige Gruppe mehr Weissbrot, Fisch, Kalbsfleisch, Kaninchen, Artischocken, Gurken und Brokkoli ass.

Tiefergehende Analysen erlaubten zwar eine bessere Ausdifferenzierung einiger Unterschiede in den Ernährungsgewohnheiten, versagten aber bei der Vorhersage, ob ein "unbekanntes Subjekt" der einen oder der anderen Gruppe angehörte. In naher Zukunft könnte eine verfeinerte Datenanalyse Unterschiede zwischen den Bevölkerungsgruppen aufdecken.

Schlechte Ernährung betrifft jeden

Um Mangel- und Überernährung von Bevölkerungsgruppen an der Armutsgrenze mit landesspezifischen Empfehlungen für die Nährstoffaufnahme und mit Lebensmitteln, die diese Probleme beheben könnten, zu vergleichen, führten fünf Forschungsinstitute innerhalb des CHANCE-Konsortiums eine Ernährungsstudie mittels einer Befragung durch. Insgesamt wurden 1.290 Teilnehmer aus Finnland, Italien, Litauen, Serbien und Grossbritannien befragt. Verglichen wurden Ernährungstrends zwischen einer von Armut bedrohten und einer Kontrollgruppe.

Die Forscher fanden heraus, dass die Hauptunterschiede zwischen beiden Gruppen im Verzehr von Obst und Gemüse bestanden. Ausserdem war der Konsum an süssen Snacks wie Kekse, Kuchen und Schokolade bei Personen mit niedrigerem Einkommen im Durchschnitt geringer, was sich wohl auf den hohen Preis dieser Produkte zurückführen lässt.

Obwohl die von Armut bedrohte Gruppe weniger Mineralien und Vitamine, besonders Eisen und Ballaststoffe, verzehrte als die Kontrollgruppe, ergab ein Vergleich der Nährstoffaufnahme mit den jeweiligen landesspezifischen Empfehlungen, dass diese Ernährungsprobleme bei beiden Gruppen gleich häufig vorkamen, unabhängig vom jeweiligen Einkommen. Die Forscher empfehlen, dass CHANCE-Lebensmittel dabei helfen können, Mangelernährung nicht nur bei von Armut bedrohten Gruppen, sondern auch bei einer breiteren Bevölkerungsschicht zu bekämpfen.

Dieses EU-finanzierte CHANCE-Projekt (Kostengünstige Technologien und herkömmliche Zutaten für die Herstellung bezahlbarer, im Hinblick auf die Ernährung adäquater, bequemer Lebensmittel zur Steigerung der Gesundheit der von Armut bedrohten Bevölkerungsgruppen) erhielt Mittel aus dem Siebten Rahmenprogramm der Europäischen Union für Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration. (Grant Agreement Nr. 266331) (Text und Bild: eufic / FOOD TODAY 06/2014)

Literatur
1.EUROSTAT. European Commission, People at risk of poverty or social exclusion section.
2.European Commission. Employment, Social Affairs & Inclusion section.
3.Website des CHANCE-Projekts: http://www.chancefood.eu/about_2.html
4.CHANCE-Presseerklärung „Gesundes Essen zu erschwinglichen Preisen – Neues europäisches Projekt gibt von Armut bedrohten Menschen eine CHANCE“. Veröffentlicht am 23. August 2011.
5.CHANCE deliverable report D1.7: Report on food chain actors’ overlapping interests and strategies to facilitate healthy foods supply to population groups at risk of poverty. Published January 2013.
6.CHANCE deliverable report D3.1: Collection of samples, standardization of procedures for acquisition of the spectra. Published May 27 2011.
7.CHANCE deliverable report D3.3: Metabonomic fingerprinting of populations with different economic income and different diets. Task 3.3 Multivariate statistical analysis. Published 30 August 2012. (Including peer-reviewed academic references).

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