Food aktuell
Varia
14.3.2006
Ist fettarme Ernährung gesünder?

Die weltweit grösste Ernährungs-Interventionsstudie, welche die gesundheitlichen Effekte einer fettreduzierten Diät überprüfte, fand keine Vorteile für eine solche: sie führe weder zu einer Gewichtsreduktion noch schütze vor Herz-Kreislauferkrankungen, Brust- und Darmkrebs. Kritiker meinen allerdings, diese Studie enthalte Mängel.


Bis heute beklagen die Ernährungsfachgesellschaften, dass „zu viel Fett“ gegessen wird. Begründung: eine hohe Fettzufuhr gilt als Risikofaktor für Übergewicht und - unabhängig davon - wird damit die Entstehung von Herz-Kreislauferkrankungen und Krebs gefördert. Um diesen häufigsten Todesursachen vorzubeugen, wird empfohlen, den Fettverzehr zu senken – je nach Fachgesellschaft in der Grössenordung von < 30 % bis < 35 % der Gesamtenergie.

Diese Empfehlungen basieren in erster Linie mit ökologischen Korrelationsstudien (Verbrauchs- und Todesfallstatistiken im internationalen Vergleich). Solche epidemiologischen Studien lassen grundsätzlich keine Rückschlüsse auf Kausalität zu. Dies bleibt randomisiert-kontrollierten Interventionsstudien vorbehalten.

Zu diesem Zweck wurde von den US-amerikanischen Gesundheitsbehörden Anfang der 90er Jahre ein ehrgeiziges Projekt ins Leben gerufen: Die Women’s Health Initiative (WHI). In den Jahren 1993 bis 1998 wurden insgesamt 48835 postmenopausale Frauen im Alter von 50 bis 79 Jahren rekrutiert und nach Zufallskriterien in die Diät-Gruppe (n=19541) und die Kontroll-Gruppe (n=29294) eingeteilt.

Die Teilnehmerinnen der Diät-Gruppe (DG) wurden in einer Serie von 18 Sitzungen über ein Jahr hinweg geschult, um die Diätvorgaben umsetzen zu können. Angestrebt wurde dabei eine Absenkung des Fettkonsums auf 20 % der Energiezufuhr, eine Erhöhung des Konsums von Obst und Gemüse auf mindestens 5 Portionen pro Tag und eine Steigerung des Verzehrs von Vollkornprodukten auf mindestens 6 Portionen pro Tag.

Die eingesparten Fettkalorien sollten also primär durch Kohlenhydrate ersetzt werden. Es gab keinerlei Empfehlungen zu einer Kalorien- oder Gewichtsreduktion. So konnten die Effekte einer fettreduzierten „ad libitum“-Kost überprüft werden. Die Kontroll-Gruppe (KG) hatte keinerlei Kontakt zu den Diätexperten der Studie und erhielt als Basis-Information lediglich die offiziellen amerikanischen Ernährungsrichtlinien.

Ergebnisse

In vier verschiedenen Publikationen sind im Januar und Februar 2006 im Journal of the American Medical Association (JAMA) die Ergebnisse dargestellt worden (1-4). Demnach kam es bis zum Stichtag (31.08.2004) zu 2092 Todesfällen, wobei 4,3 % auf die DG und 4,3 % auf die KG entfielen. Weiterhin waren 1309 Drop-outs (2,9 % in der DG und 2,5 % in der KG) zu verzeichnen und 670 Teilnehmerinnen konnten nicht mehr ausfindig gemacht werden (1,6 % in der DG und 1,2 % in der KG). Die mittlere Interventionsdauer betrug 7,5 Jahre.

Der Fettanteil in der Kost lag zu Beginn der Studie bei 38,8 % in beiden Gruppen. Er konnte in der DG während der Studie signifikant gesenkt werden. Am Ende der Studie lag er in der DG bei 29,8 % und in der KG bei 38,1 %. Der Anteil der gesättigten Fettsäuren wurde in der DG signifikant von 13,6 auf 10,1 % gesenkt. In der KG ergab sich nur eine minimale Absenkung von 13,6 auf 13,2, %.

Der Anteil der Kohlenhydrate war in der DG von 44,5 % auf 52,7 % angehoben worden, während er in der KG unverändert blieb. Der Obst- und Gemüseverzehr war in der DG von 3,6 Portionen pro Tag auf 5,0 angehoben worden, während er in der KG unverändert blieb. Der Verzehr von Getreideprodukten war in der DG leicht rückläufig von 4,7 auf 4,1 Portionen pro Tag und in der KG von 4,8 auf 3,8 Portionen pro Tag.

Ergebnisse zu den vier Aspekten Körpergewicht, Herz-Kreislauferkrankungen, Darmkrebs und Brustkrebs (kurz zusammengefasst):

1. Körpergewicht:
Während des ersten Jahres kam es in der DG zu einer Gewichtsreduktion um 2,2 kg, während die KG eine Gewichtsreduktion um 0,3 kg verzeichnete (Unterschied 1,9 kg). Über die folgenden 6,5 Jahre nahm das Gewicht in der DG im Mittel langsam aber stetig wieder zu. Am Ende der Studie war in der DG das Gewicht im Vergleich zum Ausgangsgewicht um 0,8 kg reduziert, in der KG dagegen nur um 0,1 kg reduziert (1). Der BMI der DG lag bei Studienbeginn bei 29,1 und nach 7,5 Jahren Low-Fat bei 29,0. In der Kontrollgruppe lag der BMI anfangs bei 29,1 und am Ende bei 29,2.

2. Herz-Kreislauferkrankungen:
Die fettarme Diät führte in der DG zu einer Senkung des Gesamtcholesterinspiegels um 10,2 mg/dl und der LDL-Cholesterinkonzentration um 9,7 mg/dl. In der KG sank auch ohne Fettreduktion das Gesamt-Cholesterin um 6,9 und die LDL-Konzentration um 6,2 mg/dl. In beiden Gruppen kam es ebenfalls zu einer Absenkung des HDL-Cholesterin um 0,7 mg/dl bzw. um 0,3 mg/dl. Die Triglyceride stiegen in beiden Gruppen um 1,0 mg/dl.

Beim systolischen Blutdruck stellte man in der DG eine Senkung um 2,2 mgHg und des diastolischen um 2,6 mmHg fest. In der KG lagen die entsprechenden Senkungen bei 2,1 und 2,3 mmHg.

In Bezug auf die Herz-Kreislaufsterblichkeit fanden sich zwischen den Gruppen keine Unterschiede. Die Inzidenzraten von Herzinfarkt-, Hirninfarkt- und Gesamt-Herzkreislaufsterblichkeit betrugen in der DG unter fettarmer Kost 0,63 %, 0,28 % und 0,86 % im Vergleich zu 0,65 %, 0,27 % und 0,88 % in der KG mit fettreicher Kost.

Das Rrelative Risiko für KHK-Sterblichkeit lag in der DG bei 0,97 (Konfidenz-Intervall 0,90-1,06) im Vergleich zu 1,0 in der KG. Die Relativen Risiken für Hirninfarkt- und Gesamt-Herzkreislaufsterblichkeit betrugen in der DG 1,02 und 0,98, das heisst nicht unterschiedlich von 1,0 bei der KG (2).

3. Darmkrebs:
Trotz Senkung der Fettzufuhr um etwa 10 % und einer Anhebung des Verbrauchs an Obst, Gemüse und Vollkorngetreide fand man zwischen den beiden Gruppen keinen Unterschied in der Darmkrebsinzidenz. Sie betrug in der DG 0,13 % pro Jahr im Vergleich zu 0,12 % pro Jahr in der KG. Daraus ergibt sich ein leicht erhöhtes Relatives Risiko von 1,08 (KI: 0,90 -1,29) für das Einhalten einer fettarmen Kost im Vergleich zu dem Relativen Risiko von 1,0 in der KG (3).

4. Brustkrebs:
Die Inzidenz von Brustkrebs lang in der DG bei 0,42 % pro Jahr in der DG und bei 0,45 % pro Jahr in der KG (4). Das Relative Risiko für Brustkrebs betrug 0,91 (KI: 0,83 – 1,01) und für die Sterblichkeit durch Brustkrebs 0,77 (KI: 0,48 – 1,22) und war damit aber nicht signifikant gesenkt. Auch hinsichtlich der Krebssterblichkeit insgesamt und auch der Gesamtsterblichkeit fanden sich keine Unterschiede zwischen den beiden getesteten Ernährungsformen.

Kommentar

Die WHI liefert die bislang beste verfügbare Evidenz, ob und in wie weit eine fettarme Ernährung zur Senkung von Übergewicht und zur Prävention von Herz-Kreislauferkrankungen und Krebs geeignet ist. Die Ergebnisse weisen sehr klar darauf hin, dass mit Low-Fat ad libidum weder eine Gewichtsabnahme auf Dauer erzielbar ist, noch ein präventiver Effekt in Bezug auf die wichtigsten Todesursachen zu erwarten ist.

Das löste Reaktionen in der Fachwelt aus: Während sich die langjährigen Kritiker der „Fettarm-These“ bestätigt fühlen, versuchen die Befürworter der etablierten Lehre die Daten zu relativieren. Sie kritisieren, dass diese Studie wegen diverser Mängel nicht als Basis für eine Änderung der heutigen Ernährungsempfehlungen gelten könne.

Drei Kritikpunkte stehen dabei im Vordergrund: Die Studiendauer sei nicht lang genug, um entsprechende Effekte der Ernährungsumstellung zu bewirken. Die Fettreduktion sei nicht deutlich genug ausgefallen, um Effekte zu provozieren. Und schliesslich seien die Probandinnen bei Studienbeginn zu alt gewesen. Eine Intervention in diesem späten Alter könne nichts mehr bewirken.

Ob diese Vorbehalte zutreffen, ist mangels Vergleichsdaten nicht bekannt. Es ist reine Spekulation: die Kritik mag berechtigt sein, aber sie kann auch irrelevant sein. Niemand weiss es genau!

Doch bleibt die Argumentation der Verteidiger der geltenden Ernährungsempfehlungen bemerkenswert irrational: Ihre Thesen und darauf beruhenden Empfehlungen basieren überwiegend auf Studien mit sehr niedriger Evidenz (Korrelationen von internationalen Verbrauchsstatistiken und Sterblichkeitsraten, Fall-Kontroll-Studien etc.).

Nun liegen Studienergebnisse mit höchster Evidenzstufe vor (randomisiert-kontrollierte Intervention). Jetzt wird argumentiert, dass die Evidenz keinesfalls ausreiche, um die etablierten Regeln zu ändern. Dazu müssten noch grössere, längere und bessere Studien vorliegen. Daraus könnte man folgern: Zur Aufstellung von Ernährungsempfehlungen benötigt man keine hohe Evidenz. Zur deren Änderung schon. (Medienmitteilung SMP)

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