Food aktuell
Varia
6.8.2015
EU erforscht personalisierte Ernährung



Das von der EU finanzierte Projekt Food4Me ebnet den Weg für personalisierte Ernährung, um so die öffentliche Gesundheit zu verbessern. Auch die Nestlé-Forschung sucht nach Wegen, um Diabetes, Fettleibigkeit und Alzheimer einzudämmen.


Personalisierte Ernährungsempfehlungen sollen dauerhafte Verhaltensänderungen anstossen, die das Potenzial haben, die Gesundheit zu verbessern und so die öffentlichen Gesundheitskosten in Europa zu senken. Forscher schätzen, dass personalisierte Ernährungsempfehlungen zwischen 40 und 400 Euro kosten würden, wohingegen der Marktwert bei 6 bis 18 Milliarden Euro läge, wenn nur 10 % der europäischen Bevölkerung die Leistung annehmen würden.

Damit sich personalisierte Ernährungsdienste auf dem Markt etablieren können, sind gesellschaftliche Wandlungsprozesse und entsprechende Geschäftsmodelle notwendig; Partnerschaften zwischen öffentlichen und privaten Trägern bieten wahrscheinlich die besten Zukunftschancen für personalisierte Ernährung. In derartigen Partnerschaften für personalisierte Ernährungsempfehlungen könnten z. B. Versicherungsgesellschaften, Kliniken, Pflegeheime, Arbeitgeber, Schulen und Einzelhandel zusammenarbeiten. Nicht zuletzt zeigt das Thema personalisierte Ernährung, wie wichtig es ist, die öffentliche Gesundheit zu verbessern und entsprechende Modelle zu fördern.

Was läuft im Projekt Food4Me?

Das vierjährige Projekt Food4Me (Essen für mich) soll durch eine internetgestützte europaweite Studie über personalisierte Ernährung die Probleme und Möglichkeiten einer personalisierten Ernährungsweise untersuchen. Finanziert wird es aus Mitteln der Europäischen Kommission. Im Rahmen des Projekts wurden unter anderem potenzielle Geschäftsmodelle entwickelt und die Einstellungen der Verbraucher sowie innovative Technologien und ethische und rechtliche Fragen untersucht. Eine europaweite Studie mit über 1500 Teilnehmern hat gezeigt, dass personalisierte Ernährungsempfehlungen das individuelle Essverhalten stärker beeinflussen, als herkömmliche allgemeine Empfehlungen.

Nach der vollständigen Entschlüsselung des menschlichen Genoms im Jahr 2003 wurde allgemein angenommen, dass nun das Zeitalter der individualisierten Medizin angebrochen sei, bei dem therapeutische Verfahren massgeschneidert an die genetischen Ausstattung des Patienten angepasst werden. Angelehnt an dieses Konzept entstand die Idee einer „personalisierten Ernährungsweise“, d. h. die Annahme, dass Ernährungsmanagement zur Behandlung chronischer ernährungsbedingter Erkrankungen anhand des genetischen Profils der Patienten verbessert werden können.

Um das Wissen in diesem sehr jungen Forschungsbereich zu vertiefen, hat Food4Me eine internationale Expertengruppe zusammengestellt, die das aktuelle Wissen über personalisierte Ernährung sichten und die Anwendung einer individualisierten Ernährungsempfehlung erkunden sollte.

Europaweite Machbarkeitsstudie von Food4Me

Im Rahmen einer online durchgeführten randomisierten kontrollierten Machbarkeitsstudie (Proof-of-Principle, PoP) wurden Teilnehmer aus sieben europäischen Ländern sechs Monate lang untersucht. Die Fragestellung der Forscher lautete, ob personalisierte Ernährungsempfehlungen eine Person dazu motivieren, ihre Ernährung und Gesundheit zu verbessern. Durch die Studie sollte die Wirkung von mehr oder weniger personalisierter Ernährung auf gesundheitsbezogene Auswirkungen untersucht werden. Die Studie wurde komplett online durchgeführt und mehr als 1500 Erwachsene aus Deutschland, Griechenland, Irland, den Niederlanden, Polen, Spanien und dem Vereinigten Königreich, nahmen daran teil.

Die Teilnehmer wurden zufällig in Gruppen eingeteilt:
•eine Kontrollgruppe, die nicht-personalisierte Ernährungsempfehlungen erhielt;
•eine Interventionsgruppe, die personalisierte Empfehlungen ausschliesslich basierend auf der aktuellen Ernährung erhielt;
•eine Interventionsgruppe, die personalisierte Empfehlungen auf der Grundlage der aktuellen Ernährung und phänotypischer Daten (erfassbarer Merkmale von Zellen oder Organismen) erhielt, z. B. dem Cholesterinspiegel;
•eine Interventionsgruppe, die personalisierte Empfehlungen anhand der aktuellen Ernährung, phänotypischer Daten und genetischer Daten (die erblichen biologischen Informationen, die in Nukleotidsequenzen der DNA oder RNA kodiert sind) erhielt, z. B. Genvariante, die Gewichtszunahme begünstigt.

Zu Beginn der Studie erhielten die Teilnehmer mehrere Patientenfragebögen und nahmen an einer Online-Befragung zu Ihrem Ernährungsverhalten teil. Als Teil der Datenerhebung gaben die Teilnehmer phänotypische Daten, z. B. zu körperlicher Aktivität, Grösse und Gewicht an, wobei sie durch Schulungsvideos unterstützt wurden. Phänotypische Daten, die sich auf den Stoffwechsel und die Ernährung beziehen, z. B. den Blutzuckerspiegel, Vitamin D, Carotinoiden und Fettsäuren, wurden anhand einer Trockenblut-Testkarte ermittelt.

Die Genom-Daten (genetische Ausstattung eines Menschen, auf alle Gene oder ein spezielles Gen bezogen) wurden aus DNA-Proben ermittelt, die die Teilnehmer selbst anhand eines Abstriches der Mundschleimhaut entnahmen. Die Teilnehmer erhielten eine detaillierte Anleitung zur korrekten Entnahme dieser DNA-Probe aus der Mundhöhle. Die Proben der Teilnehmer wurden an die Forschungsteams des Food4Me-Projekts geschickt.

Effekt in schon 6 Monaten

Nach sechs Monaten zeigten die Teilnehmer, die personalisierte Empfehlungen zu Ernährung und Lebensstil bekommen hatten, eine erheblich gesündere Ernährungsweise als Teilnehmer der Kontrollgruppe, die nicht-personalisierte, bevölkerungsweite Empfehlungen erhalten hatten. Dieser Effekt konnte unabhängig davon beobachtet werden, ob zur Personalisierung der Empfehlungen nur die bisherige Ernährung oder zusätzlich der Phänotyp oder das genetische Profil genutzt wurde.

Die Ergebnisse wurde bei der Abschlusskonferenz des Projekts „Personalisierte Ernährung: Den Weg für bessere öffentliche Gesundheit ebnen?“ („Personalised nutrition: paving a way to better public health?“) am 26. Februar 2015 in Brüssel vorgestellt. Ein weiteres Ergebnis der Machbarkeitsstudie war, dass Daten zu Phänotyp und Ernährungsverhalten über das Internet erfasst und zu kohärenten und hochwertigen Daten zusammengefasst werden können.

Die Forscher des Food4Me-Projekts wollten ausserdem gezielt untersuchen, ob und in welcher Weise die Verbraucher personalisierte Ernährungsempfehlungen annehmen. Im Rahmen der Online-Befragung stellten die Forscher fest, dass die Verbraucher bereit sind, für personalisierte Ernährungsempfehlungen zu zahlen. Ausserdem deuten die Antworten der Befragungsteilnehmer darauf hin, dass personalisierte Dienste eher in Anspruch genommen werden, wenn die Analyse menschlicher Gene durch transparente und glaubwürdige Rechtsvorschriften geregelt ist.

Der Datenschutz ist für Unternehmen, die personalisierte Ernährungsempfehlungen anbieten, ein wichtiger Faktor, insbesondere äusserten die Verbraucher aber den Wunsch, auch den Schutz genetischer Daten gesetzlich zu verankern. Die Befragungsteilnehmer sahen darin ein wichtiges Element des Verbraucherschutzes.

Die Forscher untersuchten auch die Bedeutung der rechtlichen und gesetzlichen Rahmenbedingungen für personalisierte Ernährungsdienstleistungen in der EU. Sie gingen von der Situation aus, dass ein Dienstleister mit Sitz innerhalb oder ausserhalb der EU personalisierte Ernährungsempfehlungen für Verbraucher in unterschiedlichen Mitgliedstaaten anbieten könne.

Wie sich zeigte, haben weder die Europäische Union noch die Mitgliedstaaten Rechtsakte, die sich speziell mit personalisierter Ernährung befassen. Wenn personalisierte Ernährung gesetzlich wie andere konventionelle Geschäfte behandelt wird, werden Verbraucherrechte durch aktuelle EU Rechtsinstrumente geschützt. Wenn Angebote zur personalisierten Ernährung dagegen als Gesundheitsdienstleistung gehandhabt werden, unterscheiden sich Patientenrechte in jedem EU-Mitgliedsland. Ein wichtiger Schritt zur europaweiten Förderung personalisierter Ernährungsberatungsdienste ist daher die Kategorisierung jeder einzelnen Dienstleistung: handelt es sich dabei um eine Gesundheitsdienstleistung oder nicht?

Um personalisierte Ernährungsdienstleistungen erbringen zu können, braucht der Anbieter persönliche Gesundheitsdaten seiner Kunden, anhand derer Empfehlungen zur Verbesserung der Gesundheit entwickelt werden können. Wenn Verbraucher einem Institut oder Unternehmen personenbezogene Daten zur Verfügung stellt, gelten diese als sensible Daten. Die Forscher haben vier Themenbereiche identifiziert, deren ethische Implikation geklärt werden müssen:
•Forschungsstand zur personalisierten Ernährung - wissen wir genug?;
•Kommerzialisierung;
•Ernährung und Gesundheit;
•Welche Werte stehen auf dem Spiel?

Aus ethischer Sicht ist der Verbraucherschutz entscheidend. Deshalb ist bei der Marktfreigabe von Tests und Dienstleistungen, die auf Nutrigenomik basierende Beratung zur Verfügung stellen, Vorsicht geboten. Bei personalisierter Ernährung geht es vorwiegend um wissenschaftliche und gesundheitliche Fragen. Dabei sollten aber die sozialen und kulturellen Aspekte des Essens nicht vernachlässigt werden. Die Ernährung der Menschen wird auch stark von tradiertem Wissen über gesunde Ernährung, der regionalen Küche, dem sozialen Kontext und von Verfügbarkeit und Preis bestimmter Nahrungsmittel bestimmt.

Das Weissbuch des Food4Me-Projekts „Personalisierte Ernährung: Den Weg für bessere öffentliche Gesundheit ebnen” („Personalised Nutrition: paving a way to better population health”) ist in englischer Sprache als PDF auf der Website des Projekts verfügbar. Das Food4Me Projekt wurde vom siebten Rahmenprogramm der Europäischen Union für Forschung, technologische Entwicklung und Demonstration finanziert (Fördernummer 265494). (Text: Eufic)

Wissenswertes über die Nutrigenetik

Personalisierte Ernährung ist auch bekannt unter dem Begriff Gen-Diät oder Stoffwechseldiät. Nutrigenetik nennt sich das zugehörige, noch sehr junge Forschungsfeld. Sie erforscht die Zusammenhänge zwischen dem Genotyp und der Verarbeitung von Nahrung. Wie Genetik-Experte Dr. Özüak erklärt, ist es wissenschaftlich belegt, dass Gene in hohem Masse unser Gewicht bedingen. Sie sind sowohl für die Energieaufnahme, als auch für den Energieverbrauch eines Menschen mitverantwortlich.

Studien zeigen: Die Erblichkeit des Body Mass Index (BMI) liegt bei 50 bis 80 Prozent. Wer also meint, sein Übergewicht liege an seinen Genen, hat laut Özüak nicht ganz Unrecht. Durch eine ernährungsbezogene genetische Untersuchung kann bestimmt werden, zu welchem Stoffwechseltyp ein Mensch gehört. Das zumindest versprechen die Entwickler der genetischen Stoffwechselanalyse MetaCheck von CoGAP (= Center of Genetic Analysis and Prognosis).

„Wir betrachten sieben spezifische Stoffwechsel-Gene, die für die Verarbeitung der Nährstoffe und den Kalorienverbrauch verantwortlich sind. Dies sind alles Gene, deren Einfluss auf die Verwertung der drei Makronährstoffe Kohlenhydrate, Fette und Eiweisse wissenschaftlich belegt sind“, sagt Dr. Özüak und verweist auf eine sechzehnseitige Liste mit Referenzstudien. Auf deren Grundlage wurde der MetaCheck in Zusammenarbeit mit der Sporthochschule Köln und dem Institut für Genetik der Universität zu Köln entwickelt. MetaCheck steht dabei für ‚metabolische Untersuchung‘, der Fachbegriff für eine genetische Stoffwechselanalyse.

Unterteilung in vier Meta-Typen

Anhand der verschiedenen Variationen der untersuchten Gene wird in vier individuelle Stoffwechselveranlagungen unterteilt, die sogenannten Meta-Typen. Der Genetiker zählt auf:

„Der Meta-Typ Alpha kann im Vergleich zur Gesamtbevölkerung Eiweisse besser verstoffwechseln, das heisst er verbrennt sie tendenziell schneller als Fette und Kohlenhydrate.

Der Meta-Typ Beta kann Fette und Proteine besser umsetzen, Kohlenhydrate hingegen schlechter.

Im Gegensatz dazu kann der Meta-Typ Gamma Kohlenhydrate gut verwerten, dafür Fette und Eiweisse nicht.

Typ Delta wiederum kann Kohlenhydrate und Fette gut umsetzen, hat aber mit der Verarbeitung von Proteinen Probleme.“ (www.netzathleten.de)

PRESSESCHAU

Was essen, um nicht krank zu werden?

Für Sie gelesen im Tagesanzeiger: Nestlé macht ernst mit der Erforschung personalisierter medizinischer Nahrungsmittel. In einem neuen Zentrum in Lausanne sucht der Konzern nach Wegen, um Diabetes, Fettleibigkeit und Alzheimer einzudämmen. Ein Hauch von Sciencefiction lag über der Szenerie, als Nestlé-Präsident Peter Brabeck, Nestlé-CEO Paul Bulcke, Bundesrat Alain Berset und der Waadtländer Volkswirtschafter Philippe Leuba im 2012 die neuste Forschungseinheit von Nestlé auf dem Campus der EPF in Lausanne in Betrieb nahmen.

Eine stimmige Atmosphäre für eine Form von Nahrungsmitteln, die fürs Erste noch immer nur ein Versprechen ist: die personalisierte, das heisst, auf die individuellen genetischen Dispositionen zugeschnittene medizinische Ernährung. Seit ein paar Jahren schon ist bei Nestlé nämlich die Rede davon, die Erforschung von Nahrungsmitteln voranzutreiben, welche geeignet sind, den Ausbruch von chronischen Krankheiten zu verhindern oder deren Verlauf günstig zu beeinflussen.



Nestlé-Zentrale in Vevey


Anfang 2011 wurde die Nestlé Health Science AG gegründet, eine hunderprozentige Tochterfirma, die bis jetzt im Wesentlichen das Geschäft mit medizinischer Ernährung umfasst. Geleitet wird die neue Firma von Luis Cantarell, der dafür seinen Job als Leiter der Zone Amerika bei Nestlé aufgegeben hatte. Er sprach damals davon, dass er bei den personalisierten Nahrungsmitteln zwei Jahre brauchen werde, um ein Fundament zu legen, und dass in fünf Jahren mit einer Produktepipeline zu rechnen sei.

Woran wird geforscht in Vevey? Eine Antwort weiss Siobhan Mitchell. Die junge Forscherin ist aus den USA nach Lausanne gekommen. Sie forscht an Möglichkeiten, wie dem Nährstoffmangel im Gehirn von Alzheimer­Patienten mit Ketonen begegnet werden kann. Im Vordergrund stehen in Lausanne die Bekämpfung der in den entwickelten Gesellschaften stark verbreiteten und deshalb auch kommerziell interessanten Krankheiten: Diabetes, Fettleibigkeit und Alzheimer. Krankheiten, die bereits heute ein epidemisches Ausmass erreichen. (Volltext: www.tagesanzeiger.ch 3.11.2012)

Weiterlesen: Hat die Stoffwechseldiät Marktpotenzial?

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