Food aktuell
Varia
5.2.2005
Editorial: nicht alltägliches Brot

Gib uns unser nicht-alltägliches Brot

Wein ist für alle modernen Gourmetprodukt-Hersteller das grosse Vorbild: Man kann ihn professionell (oder wenigstens zeremoniell) degustieren und diskutiert seine sensorischen Eigenschaften. Wein ist nicht nur rot oder weiss sondern elegant oder burschikos und schmalbrüstig oder vollbusig. Diese Vielseitigkeit verleiht jeder Sorte und jedem Jahrgang exklusive Eigenschaften - eine interessante Grundlage fürs Marketing.

Ebenso professionell charakterisieren die Olivenöl-, Kaffee- und Tee-Anbieter ihre Produkte. Aber eigentlich eignen sich für den Aromaprofil-Test alle fermentierten Lebensmittel vom Käse über die Salami bis zum Brot. Seit einigen Jahren wenden auch Brauereien und Schokoladehersteller diese erfolgreiche Strategie an, denn das Marketing wird in einem gesättigten Markt immer wichtiger. Und die Gewinnmargen sind bei Premium- und Luxusprodukten wesentlich interessanter als bei Standard- und Billigprodukten.

Weg vom Schwarz-weiss-Image

Und die Bäcker? Viele von ihnen stellen zwar Gourmetbrote her, aber die Konsumenten bezeichnen Brot immer noch primär als frisch oder trocken und schwarz oder weiss. Und Brotsorten-Entwickler neigen eher dazu, das Aussehen mit Schrauben-Drehungen oder Körnern zu verschönern. Aber nur Fachleute charakterisieren den Brot-Geschmack beispielsweise als «mild säuerlich», «malzig» oder «butterig». Auch die Textur ist offiziell kaum ein Thema, obwohl ein Vollkornbrot mit kuchenartig mürbem Biss dem kauenden Konsumenten sofort auffallen muss.

Die Bäcker haben also Nachholbedarf oder – sympathischer formuliert - Potenzial, um dem Brot einen gezielteren und bewussteren Gourmetstatus zu verleihen. Jedenfalls einem schmackhaften Brot, das die Bezeichnung Gourmetbrot verdient. Dabei soll sich das Brot keineswegs vom Grundnahrungsmittel verabschieden, aber das «tägliche Brot» wie im Vaterunser gefordert ist noch keine Marketing-Strategie. Grundnahrung und Luxusprodukt zu sein ist gleichzeitig möglich wie das Beispiel Käse zeigt: Der Hauptumsatz entfällt auf milden Käse, der als Grundnahrungsmittel dient. Aber zum Apéro oder Sonntagsbruch kommen edle, rare (und teure) Rohmilch-Weichkäse oder Ziegenfrischkäse auf den Tisch und werden zelebriert wie Wein.

Auch Brot hat eine solche Voraussetzung. Und für Spitzenprodukte kann der Bäcker nicht nur stolze Preise verlangen, sondern auch zusätzliche Kunden und Umsatz gewinnen. Ein attraktives Gourmetbrot kann süchtig machen, aber dennoch strapaziert es weder das Budget der Kunden noch deren Kilokalorien-Aufnahme. Gourmetbrote sind trotz ihres Gourmetstatus erschwinglich und gesund. Der neue Forschungs-Schwerpunkt der Hochschule Wädenswil, die Brot-Aromaprofil-Entwicklung, ist daher gut gewählt (Siehe: Massgeschneiderter Brotgeschmack). Auch weil die Schweiz ein Brotland ist und bleiben soll.

Guido Böhler
Chefredaktor

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