Food aktuell
Varia
2.7.2005
Kommentar zum Kassensturz-Glace-Test

Industrie-Glacelutscher der Sorte Vanille kamen nicht gut weg im Kassensturztest am letzten Dienstag: Sogar Qualitätsführer Magnum erzielte nur die Note 4.5 von 6, und die Produkte von Denner und Migros mussten mit der Note 2.5 vorlieb nehmen. Experten beurteilten den Vanillegeschmack und das Schmelzverhalten. «Zu wässerig und zu süss» lauteten etwa ihre Kommentare. Degustatoren waren gewerbliche Glacehersteller (Mister Cool, Gasparini und Rüegsegger).

Nicht getestet wurden handwerklich hergestellte Glacelutscher, wohl weil solche heutzutage rar sind. Eine Ausnahme bilden Gasparini und die Confiserie von Urs Lienhart in Huttwil, dem Präsidenten der Handwerksgemeinschaft «Swiss Ice». Aber er produziert in einem Jahr gerade mal soviele Glacelutscher wie Emmi in einer Stunde. Die Marktmacht der Industrie ist in diesem Segment sehr dominant. Sogar bei Mövenpick findet man es riskant, gegen Magnum anzutreten.

Vor allem bei Kleinportionen wie Lutschern und Bechern besitzt die Industrie dank Massenproduktion auf automatischen kontinuierlichen Anlagen kostenmässig einen gewaltigen Vorteil. Der tiefe Konsumentenpreis fördert gleichzeitig die massenhafte Nachfrage, vor allem bei Jugendlichen mit wenig Sackgeld.

Wie repräsentativ muss eine Stichprobe sein?

Ist aber die Qualität von Industrieglace wirklich so mittelmässig bis schlecht? Wenn man den Massstab nur beim Geschmack ansetzt und nur das Segment der Lutscher betrachtet und in diesem nur eine willkürlich ausgewählte Sorte, stimmt das Fazit der Kassensturz-Macher. Aber bei Becher- und Bidon-Glace, wo auch Mövenpick und Häagen-Dasz vertreten sind, stimmt es nicht mehr. Diese zwei Hersteller gehören zu den industriellen, aber sie verwenden keine Economy-Rezepte sondern reichhaltige, fast durchwegs natürliche und edle Zutaten. Daher sind ihre Produkte wesentlich teurer. Bei «No names» dagegen kann man keine Bourbon-Vanille erwarten.


Qualitäts-Aspekte, die im Test nicht zum Ausdruck kamen, sind die Hygiene und die Stabilität der Glace. Wenn man sie nicht mit ausgeklügelten Bindemitteln stabilisiert, wird sie relativ rasch sehr hart: Das Qualitätsziel der dauerhaften Löffelfähigkeit erreicht aber die Industrie immer noch besser als die meisten gewerblichen Glaciers (obwohl geeignete Bindemittel und sogar natürliche kein Geheimnis sind). Das Ziel bei den gewerblichen ist nicht eine Lagerfähigkeit von Monaten, wohl aber bei Nestlé & Co wegen deren weitreichenden Logistik (Bild: Pralinato-Maschine bei Frisco).

Entscheidend sind Preis-Leistungs-Verhältnisse

Doch die Glaceliebhaber müssen ob der enttäuschenden Kassensturz-Resultate nicht verzagen: In der sommerlichen Hauptsaison können sie oft wählen zwischen Industrielutschern der Selbstbedienung und dem attraktiveren Glacestand. Cafetiers und Konditoren können dort zwar auch Bidonglace von Lusso & Co verkaufen, doch die Auswahl ist wesentlich grösser und reicht von Eigenfabrikaten über Mövenpick-Qualität bis zu frisch aus der Kartusche gepresstem Weich-Glace von Lusso oder Frisco (fast wie Softeis aber aus der Tiefkühltruhe).

Und wer weiss: vielleicht wagt es Mövenpick doch einmal, gegen Lusso anzutreten. Oder Mister Cool, ein aufstrebender Grosshersteller, der aber noch nicht zur Gilde der Industrie gehört. Beim Geschmack besteht jedenfalls noch eine Marktlücke im Gourmetbereich, wie der Test zeigte. «Swiss Ice»- und andere Gourmet-Hersteller sollten sie füllen. Dann darf der «Kassensturz» seine Tests wiederholen, allerdings wären diese noch spannender, wenn nicht nur die Qualität sondern auch das Preis-Leistungs-Verhältnis verglichen würde.

Zuletzt noch ein paar tröstende Worte an die Testverlierer: Grämt euch nicht wegen scheinbar ungenügenden Noten. Nebst dem Markterfolg, den auch zweitklassige Produkte bei stimmigem Preis-Leistungs-Verhältnis haben können, sind diese Noten nicht unbedingt repräsentativ. Der Grund liegt in einem Phänomen, das die Messtechniker «Artefakt» nennen (wenn die Verfälschung ungewollt passiert) oder «Manipulation» (wenn Absicht dahinter steckt).

Wie objektiv können Degustatoren sein?

Der Trick ist einfach aber wirksam: Man lade nur Gewerbler als Prüfer ein und lasse sie nur Industriewaren sprich Konkurrenzprodukte degustieren. Man setze ihnen die Proben nicht anonymisiert vor (auch ein ausgepacktes Magnum erkennt man von weitem). Die Prüfer können also getrost bei jeder Probe noch einen halben Punkt Badwill-Abzug machen. Sie riskieren auf diese Weise keine Blamage, was sie wohl täten, wenn sie in einem echten Blindtest Migros & Co gute Noten verleihen würden. Und sie können sich freuen, wenn die Kassensturz-Zuschauer in der Folge Gasparini oder Mister Cool bevorzugen.

Die Kassensturz-Resultate ergaben im Prinzip die richtige Qualitäts-Rangierung aber wohl ein wenig nach unten gestaucht. Mit derselben Methode könnte man «beweisen», dass der Zürichsee vierzig Grad warm ist: Man nehme einen Fingerhut voll Wasser und stecke ein heisses Quecksilber-Thermometer hinein, das in kochendem Wasser vorgewärmt war. Damit würde man allen Skeptikern recht geben, die zu spotten pflegen, dass sie keiner Statistik trauen, die sie nicht selbst gefälscht haben.

Weiterlesen: Industrie- oder Haus-Glace?

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