Food aktuell
Varia
2.12.2007
Obst / Gemüse / Kartoffel-Branche gegen Freihandel

Skepsis herrscht in der Obst-, Gemüse- und Kartoffelbranche zu den Freihandelsabkommen



Schweizer Apfelsaft – preislich kaum wettbewerbsfähig im Ausland.


Noch 2006 hatte die Forderung von Hans Burger, des früheren Direktors des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW) nach einer raschen Marktöffnung gegenüber der EU für Unmut an einer Tagung der Brachenorgansiation Swisscofel gesorgt. Auch 2007 blieben leidenschaftliche Voten nicht aus, doch in den Referaten wie in der Diskussion stand die Frage der „abfedernden Massnahmen“, sprich Subventionen des Bundes bei einer Marktöffnung im Vordergrund.

Ständerat Rolf Büttiker, Präsident des Schweizerischen Fleisch-Fachverbandes (SFF) konnte auf die weitgehende Akzeptanz der Fleischwirtschaft für eine Öffnung zum EU- Markt mit mehr als 400 Millionen Konsumenten hinweisen. Nur eine Woche zuvor wurden an der SFF-Tagugung an der MEFA in Basel einzelne Export-Erfolge präsentiert.

Für Aufregung hatte inzwischen ein Interview mit Bundesrätin Doris Leuthard gesorgt. Leuthard schlug vor, dass Ausgleichszahlungen für Wettbewerbsnachteile allenfalls nur landwirtschaftlichen Betrieben und nicht den vor- und nachgelagerten Branchen zukommen sollten. Zudem machte die Volkswirtschaftsministerin den Vorschlag, alle Landwirtschaftsbetriebe pauschal zu entschädigen. Die davon betroffenen Branchen der Zulieferer und Verarbeiter intervenierten umgehehend beim Eidgenössischen Volkswirtschaftsdepartement (EVED) und erhielten eine wenig aussagekräftige Antwort.

Manfred Bötsch, Direktor BLW präzisierte, dass die einzelnen Produktions- und Wertschöpfungsketten bei möglichen Abgeltungen in ihrer Gesamtheit erfasst und beurteilt werden müssen. Er zeigte verschiede Szenarien auf, wie man der Entwicklung im Hinblick auf den Aussenhandel mit der EU, den Forderungen der WTO und in Bezug auf die Marktkräfte in der Globalisierung der Agarwirtschaft von Seite des Bundes entsprechen kann. Für Bötsch wie für Botschafter Christian Etter, Leiter Aussenwirtschaft im SECO ist die rasche Umsetzung der bilateralen Verträge mit der EU der beste Weg, um der schweizerischen Landwirtschaft wie der damit verbundenen Lebensmittelindustrie neue Perspektiven auf dem globalen Markt zu ermöglichen.

Bötsch wie Etter mussten zugestehen, dass die heute verfügbaren statistischen Zahlen nur die Situation vor 2004 repräsentieren. Der Anstieg der Lebensmittelpreise in den vergangenen Monaten auf dem globalen Markt konnte in den einzelnen Szenarien nicht berücksichtigt werden. Die aktuellen Daten für den Verbrauchermarkt beziehen sich zudem weitgehend auf den „Warenkorb“ im Detailhandel und nehmen ebenso wenig auf den sich rasch entwickelnden Anteil der Gemeinschaftsverpflegung (geschätzter Anteil für 2007 gegen 50 Prozent) und den nicht zu Marktpreisen bewerteten Eigenbedarf in ländlichen Regionen Bezug.


In der Diskussion zeigte Bötsch (Bild, zweiter von links) einen möglichen Zeitplan für die Umsetzung auf. Erste Entscheide des Bundesrats über das weitere Vorgehen dürften im Frühjahr 2008 erfolgen. Die Botschaft an das Parlament könnte bis 2010 ausgearbeitet sein, die Behandlung in beiden Räten ist für 2011 absehbar.

Bis zu diesem Zeitpunkt besteht für die betroffenen Branchen keine Planungssicherheit. Doch mit der Umsetzung der Agrarpolitik 2011 (AP 2011) ist der Strukturwandel partiell bereits eingeleitet. Bötsch verwies auf Verbesserungen für die Gemüseproduzenten im Raumplanungsgesetz, auf Massnahmen zur Strukturförderung und den Abbau von bürokratischen Hürden. Bötsch und Etter plädierten für den Agrarfreihandel als Chance für die schweizerische Landwirtschaft und die Nahrungsmittelindustrie.

Willy Gehriger, Vorsitzender der Geschäftsleitung der FENACO stellte die Aussagen der Bundesvertreter als „Augenwischerei“ dar. Bereits heute importiert die Schweiz mehr Nahrungsmittel pro Kopf der Bevölkerung als beispielsweise Japan und Korea. Es gelte, die Kapazitäten und Qualitäten des Binnenmarktes zu sichern. Die Schweizer Landwirtschaft könne mit nachhaltigen, umwelt- und tierfreundlichen Produkten vier Millionen Konsumenten ernähren.

Gehriger zeigte am Beispiel der Kartoffelproduktion auf, dass bei einem Abbau der Handelshemmnisse mit der EU und der Angleichung ans europäische Preisniveau ferner das Einkommen der Landwirte markant sinkt. Bezogen auf die gesamte Landwirtschaft schätzt die FENACO den Einkommensverlust auf zwei Milliarden Franken pro Jahr.

Da die FENACO in der gesamten Wertschöpfungskette tätig ist, konnte Gehriger an konkreten Beispielen aufzeigen, wie ungleich die Voraussetzungen bereits heute sind. Dank massiven Subventionen können neue Produktionsbetriebe zum Beispiel in Spanien oder im Osten Deutschlands mit EU- und Staatshilfen von bis zu dreissig Prozent und damit wesentlich tieferen Fixkosten erstellt und betrieben werden. Die Differenz beim Endprodukt an den Detailhandel (Preisbasis ohne Mehrwertsteuer) beträgt bis zu fünfzig Prozent.



Stark verarbeitete und daher agrarferne Hightech-Produkte wie zuckerfreie Süsswaren sind die Spitzenreiter im Export.


Profitieren vom Freihandel werden jene Bereiche, die durch Veredelung in der Schweiz Mehrwerte erzielen. Gehirger erwähnte das auch von Betrieben der FENACO exportierte Bündnerfleisch. Sein Rohstoff stammt jedoch zu einem bedeutenden Anteil aus dem „Kanton BR“ (Brasilien), da in der Schweiz nicht genügend entsprechende Stücke vom Rind produziert werden können. Mit Mutterkuhhaltung lässt sich zwar die gleiche Fleischqualität erzielen, doch es fehlt der Binnenmarkt für die restlichen 80 Prozent des Schlachtkörpers.

Ebenso eignet sich die Käsewirtschaft nicht als Vorbild, weil Schweizer Käse auf dem Weltmarkt ein ausgesprochenes Nischenprodukt darstellt und der Absatz seit mehr als vierzig Jahren massiv mit Bundesmitteln gefördert wird. Perspektiven sieht die FENACO im Export von veredelten Kartoffelprodukten. Doch selbst ein in der Schweiz bestens etabliertes und weltmarktaugliches Produkt wie Apfelssaft der Marke Ramseier sind für den Export aufgrund des grossen Werbeaufwandes kaum gewinnbringend.

Als Konsequenz postuliert Gehriger entweder einen Verzicht auf die Freihandelsabkommen für die schweizerische Landwirtschaft, - oder einen Vollbeitritt zur EU, der „gleich lange Spiesse“ auch bei Subventionen und eine Vertretung als Mitgliedstaat der EU in den kommenden WTO-Verhandlungen mit sehr viel mehr Gewicht als im Alleingang gewährleistet.

In weiteren Referaten und in der anschliessenden Diskussion wurde deutlich, dass für Obst und Gemüse kaum Exportchancen bestehen. Pietro Realini von der Zweifel Pomy-Chips AG erwähnte, dass trotz qualitativ hochwertigen Produkten und langjährigen Bemühungen bis anhin nur bescheidene Erfolge im Export erzielt werden konnten. Roman Füglister von der Charles Füglister AG sieht nach Markttests in Deutschland keine Chancen, Schweizer Obst bei einer Preisdifferenz von bis zu fünfzig Prozent zu exportieren. Roland Stoll von Stoll Frères in Yverdon-les-Bains bewirtschaftet 300 ha mit Gemüse und ist nach EU-Massstäben ein kleiner Produzent, der in der Schweiz mit wesentlich schlechteren Rahmenbedingungen zu kämpfen hat.

Die viel beschworene „Swissness“ ist für Gemüse und Obst auf europäischen Märkten kein Verkaufsargument. Ohne zur Marktöffnung Stellung zu beziehen, zeigte Barbara Paulsen Gysin von Agro Marketing Schweiz (AMS) auf, dass die Auszeichnung mit dem Label „Suisse Garantie“ auf dem Inlandmarkt ein starkes Argument ist, doch die Einsatzmöglichkeiten für die Exportförderung länderspezifisch und sehr begrenzt sind. AMS konzentriert sich vorab auf die Schweiz, um für „Suisse Garantie“ den sich rasch entwickelnden Markt der öffentlichen Gastrononomie und Gemeinschaftsverpflegung zu erschliessen.



Die Tage der Schweizer Pommes Frites-Hersteller sind gezählt, wenn der Inland-Schutz fällt. Solche Standardprodukte werden in der EU in viel grösseren Massstäben und daher günstiger produziert.


Kaum einer der Tagungsteilnehmer zweifelte daran, dass eine Marktöffnung in den kommenden fünf bis zehn Jahren erfolgen wird. Botschafter Etter betonte mehrfach, dass ein Blick auf zukünftige Subventionen verfehlt ist. Vielmehr gilt es aus Sicht des SECO, die Übergangsfristen zu optimieren und auf die einzelnen Branchen abzustimmen. Bereits heute bestehen bei der Lagerung von Ost und Gemüse Überkapazitäten, die auch ohne Freihandel abgebaut werden müssen. In anderen Bereichen besteht ein Nachholbedarf an Neuinvestionen.

Sollen neue Investitionen, die bei einer Marktöffnung allenfalls nicht mehr amortisierbar sind, abgegolten werden? Gehriger wies als Unternehmensleiter der FENACO auf die ungeklärte Abgrenzung zwischen der Landwirtschaft und ihren vor- und nachgelagerten Bereichen hin. Einige der Unternehmensbereiche der FENACO würden durch die Freihandelsabkommen als Verarbeiter und Endproduzenten durch Importe gewinnen, andere Betriebe müsste man mit dem Verlust von wertvollen Arbeitsplätzen vorab in Randregionen stillegen.

Kommentar:

Mit der Swisscofel Zibelemärit-Tagung 2007 hat sich die Diskussion in der Landwirtschaft und der mit ihr verbundenen Nahrungsmittelindustrie von der grundsätzlichen Problematik des Freihandels zu Forderungen nach Abgeltung von Wettbewerbsnachteilen verlagert. Aber es fehlte an konkreten Zahlen und Vorschlägen, wie der Strukturwandel vom Bund und den Verbänden begleitet werden kann und welche Ziele erreicht werden sollen.

Vorerst nur als Vision besteht eine wirkungsvolle und kohärente Strukturpolitik für den ländlichen Raum, welche die Landwirtschaft und gewerbliche Lebensmittelproduktionen aufwertete. So wie geschehen nach dem EU-Beitritt in Bayern, Vorarlberg und den angrenzenden Regionen von Frankreich und Italien. Ohne abgesicherte politische Leitlinien und einer damit verbundenen Planungssicherheit sehen sich Produzenten und Verarbeiter in der Schweiz einem viel grösseren Risiko gegenübergestellt als ihre Mitbewerber im EU-Raum. Auch diese Ungleichkeit gilt es zu kompensieren oder besser zu beseitigen.

Über Swisscofel

Swisscofel ist die Dachorganisation der schweizerischen Obst-, Gemüse-, und Kartoffelbranche. In der Öffentlichkeit ist sie relativ wenig bekannt. Über Swisscofel erfolgen in der immer noch stark reglementierten Branche die Preisbildung und die Aufteilung von Importkontingenten. Die traditionelle Zibelemärtit Tagung vereint jedes Jahr mehrere hundert Vertreter der Produzenten, des Handels, der Lebensmittelindustrie, der Bundesverwaltung und der Politik zu einer Standortbestimmung. (Text: Dr. David Meili)

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