Food aktuell
Varia
21.1.2008
Aus der Cervelas-Not eine Tugend machen

Noch nicht gerettet aber ein Nationalsymbol geworden. Kommentar von foodaktuell.ch-Chefredaktor Guido Böhler.


Für einen professionellen Einkäufer ist die Beschaffung eines strategischen Materials eine zentrale Aufgabe. In den meisten Branchen gibt es strategische Rohstoffe, ohne die ein Betrieb Hauptartikel nicht produzieren kann. Und oft entstehen Beschaffungsengpässe: Kartoffelchipshersteller sind jeden Frühsommer intensiv auf der Suche nach backfähigen Kartoffeln. Kaffeeröster schwören auf bestimmte unverzichtbare Kaffeeprovenienzen und alle sind aufgeschmissen, wenn bedruckte Verpackungsfolien ausgehen und der Lastwagen mit der Nachlieferung im Tiefschnee steckenbleibt.

Auch die Backwaren- und Confiseriebranche musste letztes Jahr Auswege suchen aus dem Image-Notstand wegen Cumarin im Cassiazimt und Transfettsäuren in gehärteten Fetten. Für Seafood- und Wildpilz-Händler gehören Beschaffungsprobleme zur Tagesordnung.

Im Pflichtenheft von Einkäufern steht daher nicht nur das Aushandeln guter Konditionen sondern auch die Beschaffungssicherung von Rohstoffen, Verpackungsmaterialien, Maschinenersatzteilen etc. Der Kunst des Einkäufers überlassen bleibt, die Strategie im Einzelfall festzulegen, sei es durch ein «Second Sourcing», langfristige Kontrakte, Vorräte oder «Plan B» basierend auf einer technologischen Alternative, die Rezept- oder Verarbeitungsänderungen zur Folge hat.

Einkäufer und QS-Verantwortliche wissen aus Erfahrung, dass die Forderung nach identischer Qualität bei einem Second Sourcing kaum realisierbar ist. Wer ein Lebensmittel imitiert, was etwa bei Gewürzmischungen oft vorkommt, kann zwar vielleicht erreichen, dass Testpersonen die Kopie sogar bevorzugen. Aber dass sie sie im Dreieckstest nicht erkennen, kommt selten vor.

Die eventuelle Umstellung auf eine andere Cervelashaut war daher voraussehbar für einen professionellen Einkäufer. Aber das intensiv geschürte Thema besitzt eine weitere Dimension: Der Schweizer Fleischfachverband SFF veranstaltete die Pressekonferenz nicht nur, um seine Mitglieder bei der Problemlösung zu unterstützen. Dies tun bereits die Forschungsanstalt ALP und die Darmhändler zur Genüge.



Eine Vorahnung? Cervelas als Sympathieträger in der Werbung von «Schweizer Fleisch».


Der SFF machte aus der Not eine Tugend und verkündete «die Rettung eines nationalen Kulturgutes». Seit dem 15.Januar weiss jeder Schweizer und jede Schweizerin, dass die Cervelas ein helvetisches Heiligtum ist, ohne das die EM 2008 langweilig wäre. SFF-Präsident Rolf Büttiker begründete seine Interpellation im Ständerat clever mit dem Argument, eine Schweiz ohne Cervelas sei wie Italien ohne Pizza.

Gutes tun und darüber sprechen

Die Medien folgten der Einladung an die SFF-Pressekonferenz in Scharen, denn das Thema «jetzt geht es um die Wurst» gepaart mit entflammtem Nationalstolz eignete sich perfekt für eine leicht verdauliche Story. Sogar der Kassensturz verzichtete für einmal auf destruktive Aussagen und organisierte einen Konsumententest mit dem Fazit, es gebe Alternativen. Nur der Blick zitierte spöttische Kommentare von Gourmetgastronom Jacky Donatz über die Cervelasqualität in Ersatzdärmen.

Aber wenn die Konsumenten eine positive Einstellung zu gering abweichenden Alternativen haben, werden sie sich bestimmt umgewöhnen lassen. Für die positive Einstellung ist gesorgt: Der SFF erreichte sein Ziel, die Cervelas zu retten zwar noch nicht, aber er verhalf ihr zu viel Prestige. Welche Alternative auch immer eine Metzgerei wählt, die Kunden werden die Volkswurst in Zukunft als nationale Kostbarkeit würdigen.

Das Vorgehen des SFF möge als Beispiel dienen, wie eine Branche aus der Not eine Tugend machen kann. Gewiss ist die Problematik bei der Cervelas weniger heikel als bei Cumarin oder Transfetten, wo auch Gesundheitsaspekte eine grosse Rolle spielten. Aber wie schwierig die Lage auch immer ist: eine aktive, offene Kommunikation und eine echte Bereitschaft zur Prüfung mehrerer Lösungen sind der Schlüssel zur Imagerettung. Oder sogar zur Imagesteigerung für ein Produkt und eine ganze Branche.

Weiterlesen:
Eine Task Force soll die Cervelas retten
Ist die Cervelaskrise abwendbar?

Copyright http://www.foodaktuell.ch