Food aktuell
Varia
26.1.2008
Getreidemarkt im Umbruch

Noch nie wurde so viel Getreide verfüttert, noch nie wurde aus Getreide so viel Bioäthanol hergestellt wie 2007. Die Getreidepreise am Weltmarkt stiegen massiv an. Experten sind sich uneinig, ob sie so hoch bleiben.


Nachdem die Weltmarktpreise für Getreide 25 Jahre lang stagniert hatten oder gesunken waren, stiegen sie 2007 rasant. Seit der Erdölkrise anfangs der Siebzigerjahre zogen die Preise somit zum ersten Mal deutlich an. Auch wenn die Getreideernten in der EU und in Australien 2007 schlecht ausfielen, so war die Weltgetreideernte 2007 insgesamt doch eine Rekordernte. Seit 50 Jahren wächst die Weltbevölkerung stetig, zurzeit jährlich um 80 Millionen Menschen.

Der landwirtschaftliche Produktivitätszuwachs genügte jedoch in den letzten 50 Jahren immer, um auch die zusätzliche Erdbevölkerung zu ernähren. Was also ist passiert? Weshalb stieg die Nachfrage nach Getreide plötzlich so rasch und damit die Preise?

Mais im Tank, Milch in China

Die Maisernte war in den USA 2007 eine Rekordernte. Die USA bauen die Hälfte des weltweit geernteten Mais an. Ein Fünftel davon, also ein Zehntel der weltweiten Ernte wurde 2007 als Ethanol in den Fahrzeugen verbrannt. Insgesamt landeten sieben bis acht Prozent der weltweiten Getreideernte in den Fahrzeugtanks. Allein diese neue Verwendung von Getreide als Treibstoff hätte ausgereicht, um die Getreidepreise 2007 ansteigen zu lassen.

Zusätzlich erhöht die zunehmende Kaufkraft der boomenden Schwellenländer in Asien wie China und Indien die Nachfrage nach Getreide. Die neu entstandene Mittelschicht in diesen Ländern kann sich Fleisch und Milchprodukte leisten. Das hat Auswirkungen auf den Getreideverbrauch, denn um ein Kilogramm Fleisch zu produzieren braucht es durchschnittlich vier Kilogramm Getreide.

Diese steigende Nachfrage nach Getreide liess die weltweiten Getreidevorräte in den letzten Jahren schrumpfen – von 30 Prozent des weltweiten Verbrauchs auf 14 Prozent um über 200 Millionen Tonnen. Die Weizenvorräte sind auf dem niedrigsten Stand seit 30 Jahren. Darauf reagieren die Weltmärkte für agrarische Rohstoffe sensibel.

Weitere teilweise psychologisch wirkende Faktoren wie das sich abzeichnende Ende des Ölzeitalters oder die Auswirkungen der Klimaerwärmung auf die Ernteerträge konnten in der sowieso schon heiklen Situation eine eigentliche Markt-Hysterie verursachen: So verdoppelten sich die Weizenpreise am Weltmarkt von 20 Franken pro 100 Kilogramm im Jahr 2006 auf 40 Franken im Herbst 2007.

Voraussage schwierig

Die meisten Agrarexperten erwarten, dass die Agrarpreise auch mittel- und längerfristig steigen. Nach Lucien Bourgeois, Ökonom bei der ständigen Versammlung der Landwirtschaftskammern in Paris (APCA), ist der Preisanstieg bei Getreide, Soja, Butter und Milchpulver beträchtlich aber noch lange nicht so deutlich, wie dies bei Erdöl oder industriellen Rohstoffen der Fall ist.

Nach Aussagen von Joachim Klement, Commodity Analyst bei UBS Wealth Management Research, werden sich die Preise für Agrarrohstoffe eher schwach entwickeln, allerdings mit deutlichen Unterschieden. Bei Weizen und teilweise beim Mais führen die hohen Preise laut Klement zu höherer Produktion, was die Preisentwicklung dämpft.

„Wir sind relativ pessimistisch für die Preisentwicklung von Weizen und Mais. Insbesondere in den USA werden viele Farmer den Anbau von Soja, Baumwolle oder Hopfen zu Gunsten des Anbaus von Weizen oder Mais vernachlässigen“ sagt Klement. „Mit einem geringeren Angebotswachstum für Baumwolle oder Soja könnte es dort zu steigenden Preisen kommen.”

Josef Achermann, Direktor von Swissmill, meint zu den Preisentwicklungen beim Getreide: „Vor fünf bis zehn Jahren konnte man genau sagen, weshalb die Preise fielen oder stiegen. Heute sind die Agrargüter in der Börse“. Auch würden keine langfristigen Verträge für Agrarprodukte mehr abgeschlossen. Die Preise müssten immer wieder neu verhandelt werden. Eine Prognose der Preisentwicklung für die neue Ernte 2008 sei schwierig, weil auf weltweit 4 Prozent mehr Fläche angebaut würde.

Grössere Preisschwankungen

UBS-Analyst Klement sieht keinen grossen Zusammenhang zwischen zunehmenden Spekulationen an den Agrarrohstoff-Börsen und grösser werdenden Schwankungen bei den Agrarrohstoffpreisen. „Diese stärkere Volatilität ist ein Ausdruck zunehmender Unsicherheit über das Wachstum der Weltwirtschaft 2008 und die inflationssteigernden Auswirkungen hoher Preise in Energie- und Agrarrohstoffen.”

Agrarökonom Bourgeois findet die zunehmend hohe Volatilität bei Agrarpreisen ein grosses Problem. Er ist der Überzeugung, es sei Sache der Agrarpolitik, die grossen Preisschwankungen und die zum Teil daraus resultierenden hohen Preise für Grundnahrungsmittel zu verhindern. Die sinkenden Subventionsgelder in der EU-Agrarpolitik und die Entkoppelung von staatlichen Zahlungen und Produktion machen Bourgeois deshalb Sorgen.

Aus der Sicht des Bankers Joachim Klement hat die grössere Volatiliät auch Vorteile. „Zum einen wird das Verlustrisiko einer Anlage in Agrarrohstoffen erhöht, weil die Preise in kurzen Zeiträumen stärker schwanken. Dieses Risiko eröffnet aber auch neue Ertragsmöglichkeiten, wenn Rohstoffe nach einer Korrektur zu besonders günstigen Preisen gekauft werden können. Ferner muss höheres Risiko langfristig durch höhere Risikoprämien und höhere Renditen entschädigt werden“.

Autotanks der Reichen gegen Bäuche der Armen

Nach Bourgois leiden unter den hohen Preisen für Agrarprodukte letztlich die Ärmsten dieser Welt, die in Ländern leben, die viel Getreide importieren müssen, wie etwa die nordafrikanischen Länder. Achermann von Swissmill hingegen findet, die hohen Preise bei den Agrarpodukten stellten auch eine Chance für die Ärmsten dar, weil es sich für diese erst jetzt wieder lohne, eigene Nahrungsmittel anzubauen. Nachdenklich stimmt Achermann aber die Tatsache, dass die Schweizer 2006 7,7 Prozent für Nahrungsmittel und 7,8 Prozent für Mobiliät ausgaben: „Wenn die Leute mehr für Mobilität als für Nahrungsmittel ausgeben, dann haben wir ein gesellschaftliches Problem.“

Agrarpreise in der Schweiz abgeschirmt

Da die Schweiz mit einem Zollsystem geschützt ist, haben sich die stark gestiegenen Weltmarktpreise nur wenig auf die Schweizer Produzentenpreise ausgewirkt. Die Preisunterschiede zwischen der Schweiz und der EU sind nun aber viel kleiner geworden. Bis 2006 waren die Produzenten-Preise für Weizen, Mais, Gerste und Ölsaaten in der Schweiz zwei bis drei Mal so hoch wie in der EU. In der Zwischenzeit sind die Schweizer Produzentenpreise höchstens noch anderthalb mal so hoch wie in der EU. Auch die Unterschiede zwischen den Milchpreisen haben sich halbiert auf 10 bis 15 Rappen pro Kilogramm. Damit sind die Schweizer Agrarrohstoffe innert Jahresfrist konkurrenzfähiger geworden

bw. Nur 12 Prozent der weltweiten Getreideernte gelangen auf den Weltmarkt. Oft sind die Schwankungen innerhalb der USA grösser als die auf dem Weltmarkt. Grösste Getreideproduzentin ist China, gefolgt von den USA, der EU (der 27) und Indien. Am meisten Weizen produziert die EU. Die USA sind bei der Soja König. Die Hälfte des weltweit angebauten Mais wächst in den USA. 2007 war ein Rekordernte für Getreide. Die Produktion nahm von 1991 Millionen Tonnen um fast 5 Prozent auf 2086 Mio. Tonnen zu.


Quelle: LID / Brigitte Weidmann

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