Food aktuell
Varia
6.10.2008
Gewinner und Verlierer beim Agrar-Freihandel

EU-Agrarfreihandel wäre für die Geflügelbranche eine Herausforderung



Eine Studie zeigt, dass die Bauern von einem EU-Agrarfreihandelsabkommen sehr unterschiedlich betroffen wären. Am besten weg kämen die Milchproduzenten im Berggebiet. Gross wären die Verluste bei der Geflügelproduktion.

Für die Schweizer Bauern öffnet sich der Europäische Binnenmarkt mit 500 Millionen Konsumenten. So argumentieren die Befürworter eines Freihandelsabkommens mit der EU im Agrarbereich. Fallen aber die Zölle für Landwirtschaftsprodukte an der Schweizer Grenze ganz weg, so nehmen auch die Importe aus der EU stark zu. Als Folge sänken die Schweizer Produzentenpreise auf EU-Preisniveau. Mit Modellrechnungen hat Gabriele Mack von der Forschungsanstalt Agroscope ART berechnet, welches die Auswirkungen eines Freihandelsabkommens auf die Schweizer Landwirtschaft von 2011 bis 2015 sein könnten.

Die Modellrechnungen basieren auf Annahmen

Als Datenbasis dienten Mack die ART-Buchhaltungsdaten sowie arbeitswirtschaftliche und technische Normen. Zusätzlich musste sie verschiedene Annahmen treffen. So ging Mack davon aus, dass die Direktzahlungen auch nach 2011 auf dem Niveau der AP 2011 bleiben. Für 2015 setzte sie Direktzahlungen in der Höhe von 2'811 Mio. Franken ein. Da bei einem EU-Freihandel die Verkäsungszulagen wahrscheinlich nicht mehr ausbezahlt würden, erhöhte sie die Direktzahlungen um die Verkäsungszulage von 270 Mio. Franken. Die Entwicklung des technischen Fortschritts prognostizierte sie aufgrund des aktuellen Trends und anhand von Experteneinschätzungen.

Mack nahm an, dass die Anpassung des Schweizer Preisniveaus an das EU-Preisniveau von 2011 bis 2015 schrittweise erfolgt. Als Grundlage für ihre EU-Preisprognosen nahm sie die Preisprognosen der FAO und der OECD sowie eine, bei der die starken Preissteigerungen von 2007 mit einbezogen sind. Bis 2015 resultierte daraus ein durchschnittlicher Preisrückgang in der Schweiz von 47 Prozent für pflanzliche Produkte sowie von 36 Prozent für tierische Produkte. Ferner hat Mack bei den Modellberechnungen berücksichtigt, dass bei einem EU-Freihandel auch die Kosten der Schweizer Landwirtschaft merklich sinken würden. Vor allem die Kosten für Futtermittel nähmen ab – bei Kraftfuttermitteln um bis 40 Prozent. Auch effizientere Produktionstechniken und arbeitssparendere Gebäude in der Tierhaltung führten zu Arbeitseinsparungen von 15 bis 20 Prozent.

Am meisten Abstriche beim Ackerbau und bei den Poulets

Mit Ackerbau kann der Landwirt 2015 nicht mehr viel verdienen. Dies zeigen Macks Berechnungen klar. Betrug das Arbeitseinkommen etwa bei Weizen 2007 noch 49 Franken pro Person und Stunde, so sinkt es bis 2015 auf 16 Franken. Immerhin verdient der Landwirt noch mit dem Anbau von Weizen.

Weit dramatischer wird die Situation bei den Poulets eingeschätzt. Bis 2015 können laut Mack die geringeren Kosten bei Futtermitteln und die übrigen Kosten bis 2015 und Gebäuden die Preissenkungen von gegen 50 Prozent nicht mehr kompensieren. Der am Markt erzielte EU-Preis würde nicht einmal mehr alle Kosten für Schweizer Betriebsmittel und Gebäude decken. Nicht nur hätte der Landwirt somit kein Arbeitsverdienst mehr, sondern er müsste noch draufzahlen.


"Wir sind uns des Problems bewusst und haben bereits die Schweizer Interessengemeinschaft Geflügel CH-IGG gegründet", sagt Ruedi Zweifel, Direktor des Geflügel-Kompetenzzentrums Aviforum (Bild), dazu. "Die CH-IGG bringt ihre Anliegen, damit die Branche wettbewerbsfähig werden kann, in die Begleitgruppe des EVD ein", führt Zweifel weiter aus. Die erste Liberalisierungswelle habe die Branche schon hinter sich mit dem Inkrafttreten der neuen Schlachtviehverordnung und der Versteigerung der Importkontingente. "Die Schweizer Konsumenten ziehen vielfach Schweizer Geflügel vor, weil sie dem Tierwohl und der bodenabhängigen, landwirtschaftlichen Produktion vertrauen", sagt Zweifel weiter.

Die Schweizer Geflügelproduzenten haben sich zum Ziel gesetzt, bei eintretender Liberalisierung des Marktes einen Swissness-Bonus von 15 bis 25 Prozent auf den EU-Preis zu erzielen. Swissness heisst beim Poulet tierfreundliche Haltungsbedingungen, wie sie die Programme besonders tierfreundliche Stallhaltungssysteme (BTS) oder regelmässiger Auslauf im Freien (RAUS), aber auch die Schweizer Tierschutzgesetzgebung vorschreiben.

Konkret geht es etwa um Höchstbestände und die Besatzdichte, die in der Schweiz weniger hoch sind als in der EU oder um einen Wintergarten für Hühner, der bei BTS 20 Prozent der Stallfläche betragen muss. Die Forderungen für Begleitmassnahmen der CH-IGG betreffen zum Beispiel die Beibehaltung der Herkunftsbezeichnung, um die Swissness auf dem Produkt deklarieren zu können. Aber auch die Stallbau-Vorschriften und Umwelt-Vorgaben sollen so angepasst werden, dass dem Bauern weniger Kosten entstehen.

Die Verluste bei Milch gehen zurück

Bei Milch lässt sich bis 2015 bei Eintreten des EU-Freihandels auf den ersten Blick sogar mehr verdienen, wie die Berechnungen von Mack zeigen. Genau genommen nehmen aber nur die Verluste ab. 2007 deckten nämlich die mit Milch erwirtschafteten Einnahmen die Arbeitskosten von 24 Franken pro Stunde nicht ganz. Für Stefan Hagenbuch, Bereichsleiter Internationales und Marktfragen bei den Schweizer Milchproduzenten (SMP), sind Macks Berechnungen zu Milch plausibel.


"Der SMP sieht sich unter Berücksichtigung der getroffenen Annahmen in seinen Überlegungen bestätigt", so Hagenbuch weiter. "Wir sind nun daran, Begleitmassnahmen zu formulieren und innerhalb der Wertschöpfungskette abzustimmen". Wie der politische Prozess weitergehe, sei offen. Die Modellannahmen von Mack nähmen keine Verhandlungsresultate vorweg. Aber sie steckten zum Teil den Rahmen ab, wo Kompensationsmassnahmen ansetzen müssten.

Nach Macks Berechnungen würden die Bauern der Tal- und Hügelzonen über 40 Prozent weniger verdienen. In der Bergregion wäre der Einkommensverlust bei 26 Prozent. Aber auch die Steuerzahler zählten zu den Verlierern, weil sie zusätzlich zu den Steuergeldern für die Direktzahlungen auch noch für die abfedernden Massnahmen bezahlen müssten.
(Quelle: LID / Brigitte Weidmann)

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