Food aktuell
Varia
18.12.2008
Lieber teure Rohstoffe als offene Grenzen



Obschon in der Schweiz die Kosten für Agrarrohstoffe doppelt so hoch sind wie im angrenzenden Ausland, will die Ölmühle Florin und der Chips-Hersteller Zweifel die Grenzen zur EU nicht öffnen. Bereits wegen ihrer Grösse wären sie gegen die ausländische Konkurrenz chancenlos.


Sind die Grenzen für landwirtschaftliche Rohstoffe zwischen der Schweiz und der EU offen, kommen die Schweizer Bauern unter Druck. Sie müssen es mit den europäischen Bauern aufnehmen, welche billiger produzieren. Für die Verarbeitungsindustrie sind die Aussichten auf offene Grenzen umso rosiger, weil sie in der EU billigere Rohstoffe einkaufen kann. Jedoch sind nicht alle Verarbeitungsbetriebe begeistert von dem vom Bundesrat anvisierten Agrarfreihandelsabkommen, wie kürzlich an einer Tagung der Schweizerischen Vereinigung für Industrie und Landwirtschaft (SVIL) klar wurde.

Grosse Kostenunterschiede

Zum Beispiel Christian Florin von der Ölmühle Florin in Muttenz BL. Zwar hätte er bei einem Agrarfreihandelsabkommen mit der EU Zugang zu billigeren Ölsaaten im Ausland. Die Kostenunterschiede sind derzeit gross, wie Florin erklärte. Während ihn 100 Kilogramm Schweizer Raps 98 Franken kosten, zahlt sein ausländischer Kollege für die gleiche Menge lediglich 46 Franken.

Aber auch mit billigeren Rohstoffen wären die Schweizer Mühlen im Wettbewerb mit der EU nicht konkurrenzfähig, so Florin. "Auch wenn wir alle drei Schweizer Ölmühlen in ein Werk zusammenlegen würden, hätten wir bei offenen Grenzen keine Chance." Ausländische Mühlen würden einzeln rund 1 bis 2 Millionen Tonnen Ölsaaten verarbeiten. Das sei rund zehn Mal mehr als alle Schweizer Mühlen zusammen verwerteten.

Rohstoffkosten sind höher als deutscher Verkaufspreis

Auch der Chipshersteller Zweifel Pomy-Chips in Zürich – einer der grösseren Kunden von Florin – hat mit hohen Rohstoffpreisen zu kämpfen. Zweifel produziert jährlich aus 22'000 Tonnen Kartoffeln und 2'000 Tonnen High Oleic-Sonnenblumenöl 5'600 Tonnen Kartoffelchips. Die Firma bezahlt derzeit für eine Tonne Kartoffeln 40 Franken, während die gleiche Menge in der EU 20 Franken kostet, wie Zweifel-Chef Mathias Adank an der SVIL-Tagung sagte. 100 Kilogramm Öl kosteten in der Schweiz 420 Franken, in der EU 240 Franken. "Die Rohstoffkosten für die Herstellung von einem Kilogramm Chips sind in der Schweiz höher als der Konsumentenverkaufspreis bei Aldi Deutschland."


Doch auch für Adank geht die Rechnung nicht auf, bei offenen Grenzen auf billigere Rohstoffe aus dem Ausland zu setzen. Das Problem liege bei den unterschiedlich grossen Strukturen. Zweifel wird von mehr als 400 Kartoffelbauern beliefert, in Deutschland arbeiten laut Adank grössere Werke mit 25 bis 30 Betrieben zusammen. Zudem würden in Europa bereits heute Überkapazitäten im Produktionsbereich bestehen. "Im reinen Preiswettbewerb mit der EU kann ein Schweizer Werk nur überleben, wenn konsequent rationalisiert wird", folgert Adank.

Nicht nur er als Verarbeiter würde mit einem Freihandelsabkommen in die Knie gezwungen, sondern auch die Schweizer Bauern stünden auf der Verliererseite. "Der Schweizer Landwirtschaft ist nicht gedient, wenn in der Schweiz ausländische Rohstoffe verarbeitet werden."

Unabdingbares Freihandelsabkommen mit der EU

. "Die Schweiz kann sich längerfristig nicht abschotten", bekräftigte Manfred Bötsch, Direktor des Bundesamtes für Landwirtschaft, am 1. Dezember 2008 an einer Veranstaltung des Europa Instituts der Universität Zürich. Der Abschluss der aktuellen WTO-Runde sei lediglich eine Frage der Zeit. "Ein Agrarfreihandelsabkommen mit der EU ist darum die beste Option", so Bötsch. Tempo und Art des Zollabbaus könnten mitbestimmt werden, die Schweiz könne ihre eigenständige Agrarpolitik beibehalten und in Europa seien die Konsumgewohnheiten ähnlich wie in der Schweiz. Hingegen müsse die Schweiz beim erfolgreichen WTO-Abkommen die Zölle bei landwirtschaftlichen Produkten um durchschnittlich 60 Prozent abbauen, was die Bauern viel härter treffen würde.

Dass die Schweizer Regierung voll und ganz hinter der WTO steht, machte Jean-Daniel Gerber, Direktor des Staatssekretariats für Wirtschaft (Seco), klar. Die Aussenwirtschaftsstrategie des Bundesrates und des Parlaments sehe vor, die Regelwerke der WTO zu stärken und bilaterale Verträge mit der Europäischen Union voranzutreiben. Die WTO sei dabei das wichtigste Instrument. Die Organisation vermeide den Rückfall in den Protektionismus.


Mehr Exporte unter dem Deckmantel "Swissness"

Genau dieses Szenario befürchtet Mathias Binswanger, Ökonomieprofessor an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Mit dem Agrarfreihandel würden sich zwar neue Exportchancen ergeben, sagte er an der Tagung. "Diese werden aber nicht den Schweizer Bauern zu Gute kommen, sondern den Lebensmittelherstellern, die mit billigen ausländischen Rohprodukten ‚hochwertige Schweizer Lebensmittel' herstellen würden und unter dem Deckmäntelchen ‚Swissness' wieder im Ausland verkaufen könnten."

Chio will konsequente Liberalisierung

Die Firma Zweifel habe derzeit einen Wettbewerbsvorteil, weil sie in einem geschützten Markt operiere, sagt Werner Brunner, Chef des international tätigen Chipsherstellers Chio Intersnack in Givisiez FR. Laut Brunner müsse der Markt für landwirtschaftliche Rohstoffe und Produkte "konsequent liberalisiert" werden, wobei die Bauern während der Übergangszeit unterstützt werden müssten.

Die Zukunft auf dem Chips-Markt liegt laut Brunner einerseits im Mengengeschäft, bei dem es primär auf ein gutes Preis-/Leistungsverhältnis ankomme. Andererseits liege auch ein Potenzial im Spezialitätenmarkt, bei dem beispielsweise mit Swissness, Bio oder spezifischen Varietäten ein Mehrpreis rausgeholt werden könne.


(Quelle: LID / Helene Soltermann)

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