Food aktuell
Varia
28.1.2009
Agrarfreihandel: Die Arbeitsgruppe startet

Schokolade, Biscuits und Chips benötigen Milchpulver, Mehl bzw Fritieröl. Bei diesen Halbfabrikaten ist die Schweiz kostenmässig im Nachteil. Branchenvertreter suchen nun im EU-Agrarfreihandelsprojekt nach Lösungen.



Die Schweizer Speiseölhersteller sehen grosse Standortnachteile. Der grosse Fettpreisunterschied zur EU ist auch für Convenienceprodukt-Hersteller ein Problem.


Die Stärken der schweizerischen Lebensmittelindustrie liegen in der Qualität ihrer Endprodukte, der Spezialisierung und in ihrem mannigfaltigen Produktions-Know-how. Mit der Option "Freihandel“ rücken verstärkt Fragen der Massenproduktvorteile und der Standortgunst in den Vordergrund. Die hiesige Nahrungsmittelindustrie weiss, dass die EU als wichtigster Handelspartner für die Schweiz eine Agrarpolitik betreibt, die andere Akzente setzt als die schweizerische. Vor allem Betriebe, die in einem ersten Verarbeitungsschritt landwirtschaftliche Rohstoffe verarbeiten, profitieren in der EU direkt von staatlichen Fördermitteln.

Der Präsident der schweizerischen Milchindustrie (VMI), Markus Willimann, erinnert an eine vom Verband in Auftrag gegebene und 2007 veröffentlichte Studie zu diesem Thema. Die Fördermittel werden hauptsächlich als Beihilfen an Investitionen oder als zinsverbilligte Kredite vergeben. Je nach EU-Mitglied, Region oder Grösse des Unternehmens fallen diese Zuschüsse unterschiedlich aus – bis zu 40 Prozent der "förderfähigen“ Investitionskosten.

Der Dachverband der Nahrungsmittelindustrie FIAL hat sich kürzlich für ein EU-Agrarfreihandels-Abkommen ausgesprochen (siehe unten). Zwei Mitgliedsverbände sagen jedoch Nein zu diesem Projekt: die Hefe- und die Speiseölindustrie. Gerade die Speiseölhersteller sehen grosse Standortnachteile. Im Inland verarbeiten zwei Ölmühlen mit einer Verarbeitungskapazität von 150'000 Tonnen Rapssaat und Sonnenblumenkernen zu Speiseöl.

"Im Ausland haben wir Mühlen, die 1 bis 2 Millionen Tonnen pro Jahr verarbeiten können. Auch sind diese verkehrstechnisch besser erschlossen, meist mit Zugang zur Flussschifffahrt“, erläutert SwissOlio-Geschäftsführer Beat Hodler die Situation. "Wir sprechen uns für ein Nein aus, es sei denn, es werden Gelder für Begleitmassnahmen für eine Anpassung an die Wettbewerbssituation in der EU zur Verfügung gestellt. Der Bundesrat muss Farbe bekennen, ob er den Ölsaatenanbau und die Verarbeitung in der Schweiz noch will. Auch die Pflichtlagerhaltung für pflanzliche Öle steht zur Diskussion“, sagt Hodler.



Der inländische Kartoffelanbau ist durch ein Agrarfreihandels-Abkommen gefährdet. Bild: Kartoffel-Vollernter


Ebenfalls betreut Hodler die Konserven-, Kühl- und Tiefkühlprodukte-Hersteller – die Swiss Convenience Food Association (SCFA). Unternehmen wie etwa Hilcona waren früher reine Konservendosenfabrikanten, heute fokussieren sie sich auf das Herstellen komplexer Fertiggerichte. In der SCFA sehen allen voran die Kartoffelverarbeiter den inländischen Kartoffelanbau durch ein Agrarfreihandelsabkommen gefährdet, weil die europäischen Mitbewerber über viel grössere Verarbeitungskapazitäten verfügen.

Viele Vorschläge für die Abfederung

An so genannten Begleitmassnahmen für das EU-Agrarfreihandelsabkommen ist die Industrie ebenso interessiert wie die Landwirtschaft. Eine vom Bundesrat beauftragte Arbeitsgruppe soll bis Mai 2009 einen Bericht über die vorgeschlagene Richtung des Übergangs in den Agrarfreihandel erstellen. Im Gegensatz zu den üblichen Vernehmlassungsverfahren auf dem schriftlichen Weg haben dieses Mal die Exponenten der Land- und Ernährungswirtschaft mehr Gestaltungsspielraum. "Sie werden aber auch in die Pflicht genommen“, sagt Jürg Jordi, Sprecher des Bundesamtes für Landwirtschaft (BLW).

Die Köpfe aus einem Dutzend Verbänden müssten sich jetzt eben "basisdemokratisch“ zu einem gangbaren Konzept zusammenraufen. Zwar schlug der Bundesrat für die Begleitmassnahmen eine Spezialfinanzierung vor, die sich von 2009 bis 2016 aus den Zolleinnahmen von Agrarprodukten und Lebensmitteln speisen wird: 3 Milliarden Franken sollen reserviert werden. In der Arbeitsgruppe darf derzeit aber erst über die Ausgestaltung, die Dauer und die Umsetzung von Massnahmen geredet werden – noch nicht übers Geld.

Rohstoffkosten sind das grosse Handicap

Die FIAL, der Dachverband der Nahrungsmittelindustrie, sieht im Agrarfreihandel mit der Europäischen Union (EU) grosse Chancen. Am 19. Januar legte FIAL-Präsident und FDP-Ständerat Rolf Schweiger an einer Medienmitteilung dar, dass die Lebensmittelindustrie 82 Prozent des erwirtschafteten Umsatzes im Heimmarkt Schweiz erarbeite. "Allein in den Exportmärkten sehen wir noch Entwicklungspotenzial“, so Schweiger. Von 2005 bis 07 haben die Exporte von Schweizer Biscuits, Schokolade oder Babynahrung in die EU um 41 Prozent zugenommen.

Die Industrie glaube an den Standort Schweiz, wie Nestlé-Schweiz-Chef Roland Decorvet darlegte. Ein grosses Handicap seien jedoch die Rohstoffkosten. Im Rahmen des im Frühjahr 2005 in Kraft gesetzten "Abkommens über verarbeitete Landwirtschaftsprodukte“ wird dieses Preishandicap zum grossen Teil über Ausfuhrbeiträge ausgeglichen. Als Konsequenz einer Absichtserklärung im Rahmen der Doha-Runde der Welthandelsorganisation kann die Schweizer Agrarpolitik aber bald nicht mehr auf das Instrument der Ausführbeiträge zurückgreifen.

Schwierig wird es erst noch

Moderiert wird die Gruppe von BLW-Direktor Manfred Bötsch, "energisch und effizient“, wie ein Teilnehmer der Gruppe urteilt. Ein anderer sagt: "Zwischen der Position zum Agrarfreihandel – bei den einen "Ja, aber“, bei uns "Nein, es sei denn“ – sehe ich manchmal keinen Unterschied mehr.“ Aus dem bunten Strauss von 250 Vorschlägen der 30 Vertreter blieben nach der Sitzung vom 14. Januar 2009 noch 80 übrig. Christophe Eggenschwiler, Leiter Departement Wirtschaft und Politik beim Bauernverband, bescheinigt der Gruppe ein konstruktives Klima.

Diskutiert werden Massnahmen wie eine Erhöhung der Direktzahlungen, Investitionsbeihilfen für die Urproduktion und Industrie oder Beiträge an abzuschreibende Warenlager. "Die kritische Phase der Arbeitsgruppe steht erst noch bevor“, sagt Rudolf Minsch, der die Economiesuisse in der Arbeitsgruppe vertritt. "Bis jetzt konnte man Ideen möglicher Massnahmen einbringen, ohne eine Konsequenz zu fürchten. Wenn bei einem nächsten Schritt die Prioritäten definiert werden sollen, erwarte ich schwierigere Diskussionen.“ (Text: LID / Manuel Fischer)

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