Food aktuell
Varia
17.4.2009
Milchbranche sucht Weg aus der Krise

Die Schweizer Milchbranche ist gefordert. Sie sollte künftig auf Marktsignale aus dem Ausland schneller reagieren können. Neue Instrumente des Mengenmanagements müssen rasch gefunden werden.


"Chaostage in der Schweiz", titelte unlängst die deutsche Lebensmittelzeitung zu den Zuständen in der Schweizer Milchwirtschaft. Mit Chaos meinte der Beobachter vor allem das Durcheinander an Konzepten, die in der hiesigen Milchbranche diskutiert werden. Eigentlich wollte der Bund der Milchbranche die Verantwortung für die Gestaltung ihres eigenen Schicksals überlassen. Doch wenige Wochen vor dem Ende der Milchkontingentierungs-Ära ist der Teufel los.

Die Ende Februar gezählten 5'777 Tonnen Butter am Lager übersteigen die Bestände vor einem Jahr um 144 Prozent. Gleichzeitig ist der Käseexport im Januar um 22 Prozent gegenüber dem Vorjahresmonat eingebrochen.

Der Bund springt mit einem Nachtragskredit von 14 Millionen Franken ein, um den Industriebutterabsatz zu fördern. Überschüssiges Milchpulver muss die Branche aus dem eigenen Säckel auf Weltmarktpreisniveau verbilligen.

Das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) drängt auf marktnahes privatrechtliches Mengenmanagement: ein Splitting zwischen Vertragsmilch und einer Börse für Zusatzmengen – die Idee des milchindustrienahen "Vereins Schweizer Milch", wobei die Spielregeln der weissen Rohwarenbörse noch nicht offiziell sind.

Mit der Angst im Rücken melken

Die Schweizer Milchviehhalter haben im letzten Jahr 3,432 Millionen Tonnen produziert, ganze fünf Prozent mehr als im Vorjahr. Angst vor der unsicheren Zukunft der Lieferrechte und vor abstürzenden Preisen mag manchen dazu bewogen haben, aus dem bestehenden Kontingent noch das Letzte herauszumelken.

Für das aktuelle Überangebot gibt es nach Stefan Hagenbuch von der Dachorganisation der Schweizer Milchproduzenten (SMP) noch einen weiteren Grund: "Im Unterschied zum benachbarten Ausland verfügen wir in der Schweiz über eine bedeutende Kälbermast. Mit anziehendem Milchpreis ab November 2006 war der Anreiz gross, zusätzliche Mengen in die Verkehrsmilchkanäle umzulenken."

Auch in der Europäischen Union führten kurzfristige Optimierungsüberlegungen zu schwer voraussehbaren Schwankungen auf dem Milchmarkt. "Wie die langjährige Erfahrung mit den Milchquoten lehrt, hält sich nicht jeder daran, und viele betrachten es auch als ein Stück ihrer Freiheit, individuell und kreativ damit umzugehen", sagt Erhard Richarts, erfahrener Milchmarktbeobachter in Deutschland.

Zeigen die Marktsignale auf Grün, sind die Quoten schnell ausgeblendet. Die phänomenale Preishausse um die 40 Euro pro 100 Kilogramm zwischen Herbst 2007 und Frühjahr 2008 war Anlass genug, die Produktion anzukurbeln. Umgekehrt lassen die europäischen Milchbauern in Zeiten des Preissturzes die vom EU-Ministerrat im April 2008 beschlossene Quotenerhöhung von 2 Prozent links liegen.

Im ersten Quartal dieses Jahr steht der französischen Milchindustrie 8 Prozent weniger Rohmilch als in der Vorjahresperiode zur Verfügung. Das Milchpreis-Niveau werde sich erholen, aber nur langsam, meint Richarts.

Dass der Preis für den weissen Rohstoff so exaltiert herumspringt, mag neu sein. Aber damit ist auch in Zukunft zu rechnen und zu planen. Seit März 2008 veröffentlicht die Vereinigung der Schweizerischen Milchindustrie (VMI) einen Milchpreisindex: Eine Art Quartals-Barometer, der den realisierbaren Milchpreis aufgrund der Absatzsituation im Inland und auf den Exportmärkten abbildet. "Damit wird auch der Anteil ‚Europa' im Warenkorb der hiesigen Milchbranche korrekt angezeigt", sagt der stellvertretende VMI-Geschäftsführer Lorenz Hirt.

Das sei ein Fortschritt in Richtung Transparenz, weil früher vielfach ad hoc argumentiert worden sei, je nachdem ob die EU-Milchpreise in die "richtige" oder "falsche" Richtung gingen.


Schwierigkeiten beim Käse

Noch stärker als die weisse Linie – Konsummilch, Molkereiprodukte und Milchpulver – ist die Käsebranche europäischen Konsumstimmungen unterworfen. Die Rezession in verschiedenen Exportmärkten führte zu einem deutlichen Absatzrückgang für hochpreisigen Schweizer Käse.

"Der Milchpreis der Käsereien muss sich, so lange der Markt für die weisse Linie nicht geöffnet ist, primär am Industriemilchpreis orientieren. Wir müssen etwas darüber liegen, sonst wandern uns die Bauern ab", sagt Anton Schmutz, Direktor des Dachverbands der gewerblichen Käsereien, Fromarte.

Aufgrund des Grenzschutzes und der SMP-Stützung notiere dieser Industriemilchpreis in der Regel zu hoch gegenüber dem offenen EU-Markt. Auch deswegen seien die Exporterfolge seit der Käsemarktöffnung sehr verhalten gewesen. "Für eine Orientierung nach vorne, sprich Preisentwicklung auf den Märkten, fehlen uns Informationen über die Preise auf Grosshandelsstufe", so Schmutz weiter.

Verhandlungen unter Druck

Die Dachorganisation der Milchproduzenten äussert sich zu den von der Industrie vorgeschlagenen Mechanismen noch verhalten. "An guten Ideen der Feinsteuerung des Milchmarktes mangelt es nicht, aber am Willen aller Beteiligten, zu kooperieren", sagt dazu SMP-Pressesprecher Christoph Grosjean-Sommer.

Die jüngst vom Schweizerischen Bauernverband einberufene Arbeitsgruppe zur Bildung einer Branchenorganisation – mit Vertretern der Industrie und der Bauern – sei beauftragt, Lösungen zu erarbeiten.

Für die SMP sei die Segmentierung des Marktes zur Erhaltung von Wertschöpfung ein zentrales Anliegen. Wie dann die über den Normalmarkt hinaus gemolkene Milchmenge vermarktet werde, müs­sten die Marktteilnehmer innerhalb dieser Organisation im Konsens beschliessen, ob mittels Solidarabgabe, Börse oder Preisabstufung.

Den aktuellen Querelen zum Trotz bescheinigen Experten der Schweizer Milch langfristig gute Chancen, um auf den europäischen Märkten bestehen zu können. "Natürlich liefert der jetzige Konjunktureinbruch ein trübes Bild", sagt Bernard Lehmann, Professor für Agrarwirtschaft an der ETH Zürich. "Doch der Langfristtrend für den Absatz hochwertiger Milchprodukte zeigt nach oben; es ist davon auszugehen, dass sich vor allem der Käsemarkt weltweit sehr positiv entwickelt." (LID / Manuel Fischer)

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