Food aktuell
Varia
17.6.2009
Mehr Eigenverantwortung bei Verpackung

Die Industrie sollte bei Lebensmittelverpackungen mehr Eigenverantwortung übernehmen. Vor allem Kunststoffverpackungen sind im Fokus wegen unerwünschten Stoffen, die ins Lebensmittel migrieren.


Koni Grob, Chemiker am Zürcher Kantonslabor: «Verpackungen sind die wichtigsten Kontaminationsquellen. Nur rund 2000 von vielleicht 50'000 migrierenden Substanzen sind toxikologisch befriedigend abgesichert. Nur toxikologisch gut gesicherte Stoffe dürfen migrieren. Die Industrie muss hier mehr Eigenverantwortung und Initiative walten lassen».

Die Verpackungsbranche ist sehr innovativ und gerade deswegen kämpfen Packstoffhersteller, welche die Primärverpackungen aus Kunststoffen wie Folien, Lacken, Dichtungen, Papier oder Karton herstellen mit dem Dauerproblem der Wechselwirkung zwischen Packstoff und Inhalt. In der Verpackungsbranche gilt der Grundsatz, dass die Dichtheit der Verpackung höchste Priorität besitzt. Im Gegensatz zum inerten Glas mit seinen perfekten Barriereeigenschaften kommen bei Kunststoffverpackungen aus Polymeren Weichmacher zum Einsatz, welche die Eigenschaften des Packstoffs wesentlich mitbestimmen.

Diese Monomere sind in kleinem Ausmass wasser- und vor allem fettlöslich, daher migrierfähig aber als Lebensmittel-Kontaminantien unerwünscht. Unter den zahlreichen Migraten gibt es sogar Carcinogene. Der Zürcher Kantonschemiker Rolf Etter gibt daher zu bedenken: «Die Verpackung wird immer wichtiger, aber wir müssen aufpassen, dass die Risiken nicht grösser werden als der Nutzen».

Koni Grob, Chemiker am Zürcher Kantonslabor KLZH hatte schon 2006 in «Food Science and Nutrition» provokative Erkenntnisse veröffentlicht und wiederholte sie kürzlich in einem Vortrag am Workshop des Schweizerischen Verpackungsinstituts SVI: «Verpackungen sind die wichtigste Kontaminationsquelle der Lebensmittel. Nur rund 2000 von vielleicht 50'000 migrierenden Substanzen sind toxikologisch befriedigend abgesichert.

Analytiker könnten, wenn sie wollten, alle paar Wochen einen Skandal auslösen, was für die Lebensmittelindustrie eine unhaltbare Situation ergäbe. Wenn nur schon 1 von 100 toxikologisch nicht evaluierten Stoffen problematisch ist, ergeben sich aus den zahlreichen Migraten Hunderte von ernst zu nehmenden Risiken.

Die Migration von Verpackungsstoffen ist mengenmässig rund tausendmal grösser als Rückstände der besser kontrollierten und stärker beachteten Pestizide». Und er appellierte an die Packstoffhersteller für mehr Sorgfalt: «Nur toxikologisch gut gesicherte Stoffe dürfen migrieren, egal ob absichtlich verwendet oder unabsichtlich enthalten. Man muss mit Langzeitfolgen rechnen und daher jede migrierende Substanz prüfen und beweisen, dass sie harmlos ist. Es ist besser, toxikologisch unsichere Migrate zu vermeiden als zu untersuchen, welche Substanz und wie viel davon die Konsumenten mit Lebensmitteln schadlos aufnehmen können. Die Industrie muss hier mehr Eigenverantwortung und Initiative walten lassen».



Der Karton des Coop-Cake ist fettdicht und das Barrierematerial in den Karton eingearbeitet. Allfällige Migrate hätten direkten Kontakt zum Produkt.

Auch das Bundesamt für Gesundheit (BAG) verlangt mehr Information von der Verpackungsindustrie, so etwa dass sie nur deklarierte Druckfarben verwendet. In den letzten Jahren mussten Babymilch und Teigwaren zurückgerufen werden, weil sie durch Verpackungsfarbe verunreinigt waren. Michael Beer, Leiter Lebensmittelsicherheit beim BAG sagte im Interview mit der Sonntagszeitung am 21.10.2007, dass die Industrie ihre Hausaufgaben nicht gemacht habe, weil sie seit 15 Jahren eine Stoffliste verspricht und bisher nicht lieferte. Das Amt wisse nicht, welche Stoffe die Verpackungsindustrie verwendet.

Einflussfaktoren der Migration

Coop-Verpackungsentwicklerin Hildegard Strassmann bestätigt diese Erfahrungen aus Sicht der Praxis: «Die Sicherheit der Verpackungen wurde in der ganzen Branche bisher stiefmütterlich behandelt. Verpackungslieferanten bzw -veredler erstellen Spezifikationen, machen aber keine Angaben zu den Packstoffrezepten. Vor allem ihre Unterlieferanten, die Packmittelhersteller, sollten kooperativer sein». So kennt denn Coop wie auch die gesamte Lebensmittelbranche kaum Details über die Zusammensetzung der Folien, Kartons, Farben und Leime, die sie verarbeiten.

Und Strassmann weiter: «Packstoffhersteller verwenden oft Stoffe auf Zusehen hin solange sie nicht gesetzlich geregelt sind. Sie sollten jedoch mehr Vorsicht üben und die Unbedenklichkeit vorgängig abklären». Bei Coop wünscht man, dass zumindest eine neutrale Stelle die Verpackungsrezepte kontrollieren kann. Um Probleme zu vermeiden bevor sie akut werden, erarbeitete der Konzern eine interne Richtlinie für Lebensmittelverpackungen.

Seit Januar 2009 verlangt Coop von allen Lieferanten von Lebensmittelverpackungen eine Konformitätserklärung, die mehr Sicherheit gewährleistet als eine reine Spezifikation. Ähnliches tut die Migros. Die Lieferanten verpflichten sich, die Unbedenklichkeit zu gewährleisten und müssen somit selbst eine Risikobeurteilung vornehmen. Dies ist eine Alternative zur nicht durchsetzbaren Offenlegung der Packmittel-Zusammensetzung und entspricht der Forderung des KLZH, dass die Industrie mehr Eigenverantwortung übernimmt.

Beim SVI ist man sich der Problematik bewusst. Ernst Widtmann, Verpackungsexperte beim SVI bestätigte kürzlich an einem Backwarenforum: «In Zukunft ist mehr Handlungsbedarf beim Thema Migration nötig». Massnahmen hängen stark von der Produktgruppe ab: Bei fettreichen flüssigen Dauerwaren ist das Migrationsrisiko am grössten und bei fettarmen stückigen Tagesfrischprodukten am geringsten. Die Intensität des Kontakts hängt von der Kontaktfläche und der Kontaktzeit sprich der Produktlaufzeit ab.

Coop verlangt Konformitätserklärung

Cooplieferanten müssen für jede gelieferte Lebensmittel-Verpackung folgendes deklarieren:
  1. Genaue Bezeichnung des gelieferten Verpackungsmatenals, Angabe der Anwendung, Lebensmittelart und Bedingungen bei denen die Einhaltung des Gesetzes gewährleistet wird.
  2. Bestätigung der Einhaltung der spezifischen Migrations-Grenzwerte (SML) und anderen substanzabhängigen Einschränkungen.
  3. Bestätigung der Einhaltung der Globalmigration und
  4. Bestätigung der Unbedenklichkeit von allfälligen Reaktionsprodukten und Verunreinigungen, welche über die toxikologischen Grenzwerte migrieren können.

Fallbeispiel: Weichmacher ESBO

ESBO (Epoxidised Soybean Oil, modifiziertes Sojaöl) wird als Weichmacher und Stabilisator in Polyvinylchlorid-(PVC-)Dichtungen von Metalldeckeln zum Verschliessen von Gläsern und Flaschen verwendet. Die Dichtung bildet einen luftdichten Verschluss, der eine mikrobiologische und sonstige Kontamination verhindert. Diese Art der Verpackung ist für viele Produkte gebräuchlich. ESBO ist nur einer von vielen Weichmachern und einer der relativ wenig toxischen. Viele Deckeldichtungen enthielten Phthalate. Durch den Kontakt vom Lebensmittel mit der Deckeldichtung gelangt ESBO in das Produkt (Migration) und wird beim Verzehr vom Konsumenten aufgenommen.


Bei fettreichen Konserven fand das KLZH vor einigen Jahren den
stark migrierenden Weichmacher ESBO in Deckeldichtungen.

Die Migration erfolgt insbesondere bei öl- und fetthaltigen Produkten. Betroffen sind öl- und fetthaltige Produkte in Gläsern mit Schraubdeckel. Vor allem Produkte in kleinen Gebinden, z.B. Gewürzzubereitungen, da hier das Verhältnis vom Füllvolumen zur Fläche der Dichtung ungünstig ist. Das Problem der Migration aus Deckeldichtungen ist noch nicht ganz gelöst. (Quelle: BAG). Anmerkung der Redaktion: In der Zwischenzeit haben einige kleinere Firmen reagiert und bieten Deckel an, welche die lebensmittelrechtlichen Anforderungen erfüllen (z.B. IN.CAM in Parma). Damit können auch die ölhaltigen Erzeugnisse korrekt verpackt werden.

Revision des Lebensmittelrechts: Neue Migrationsnormen

Für Verpackungen mit direktem Lebensmittelkontakt gelten in der EU die Anforderungen der EU-Verordnung 1935/2004. Artikel 3 zeigt die allgemeinen Anforderungen auf. Die wichtigste lautet sinngemäss, dass Materialien und Gegenstände so hergestellt sein müssen, dass ihre stofflichen Bestandteile unter den normalen und vorhersehbaren Verwendungsbedingungen nur in so kleinen Mengen migrieren, dass sie die Gesundheit nicht gefährden. Hersteller und Inverkehrbringer der Verpackungen die Verantwortung tragen dafür die Verantwortung und müssen die Unbedenklichkeit nachweisen. Die Behörden prüfen dann lediglich die Plausibilität dieser Nachweise auf wissenschaftlicher Basis.

Im Rahmen der Teilrevision des Bundesgesetztes über die technischen Handelshemmnisse (Cassis de Dijon) hat der Bundesrat das Eidgenössische Departement des Innern (EDI) beauftragt, das schweizerische Lebensmittelrecht in einzelnen Bereichen ans EG-Recht anzugleichen. Es handelt sich hauptsächlich um technische Anpassungen, die nötig sind, um technische Handelshemmnisse zwischen der Schweiz und der EU abzubauen. Die Übernahme der EG-Höchstkonzentrationen für Dioxine und PCBs war Ende Januar 2008 anlässlich der Veröffentlichung des Berichts Dioxine und PCB in Schweizer Lebensmitteln angekündigt worden. In der Verordnung über Bedarfsgegenstände wurden die Höchstmengen für ESBO und Phtalate an die EG-Werte angepasst.

Studien der Europäischen Lebensmittelsicherheitsbehörde EFSA hatten aufgezeigt, dass Weichmacher aus modifiziertem Sojaöl (ESBO) oder Phtalate, die zur Deckeldichtung eingesetzt werden, in gesundheitsgefährdenden Mengen in die Lebensmittel migrieren könnten. Die Europäische Kommission hat deshalb die Anforderungen an solche Weichmacher erhöht. Die neuen Migrationsnormen werden nun auch in der Schweiz in der Verordnung über Bedarfsgegenstände übernommen. (BAG)

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