Food aktuell
Varia
20.11.2009
Regionalprodukte legen weiter zu

Herkunftsbetonte Produkte wie AOC/IGP, Regionalmarken und «Slow Food» sind ein Megatrend der letzten Jahre. Welche Möglichkeiten bieten sich mit der Herkunftsdeklaration?



Regionalprodukt Ämmitaler Ruschtig aus dem Emmental


Während AOC/IGP zertifizierungspflichtig ist, können die privatrechtlichen Regionalmarken-Programme selbst entscheiden, ob sie von ihren Teilnehmern eine Zertifizierung verlangen. Allerdings: wenn sie Absatzförderung beantragen, kann das Bundesamt für Landwirtschaft sich auf Mindeststandards stützen, welche die Interessengemeinschaft «IG Regionalprodukte» definiert, und diese bekennt sich zur Zertifizierungspflicht.

Damit werden Regional-Programme aufgewertet und bieten eine sinnvolle Alternative zur AOC/IGP-Deklaration. Diese stellt weitere höhere Anforderungen, vor allem an die Traditionalität, aber beide Konzepte eignen sich besonders für Kleinbetriebe. «Hersteller, welche die AOC-Anforderungen bezüglich Traditionalität nicht erfüllen, können sich einem zertifizierten Regionalmarkenprogramm anschliessen», rät Barbara Pokorny, Kommunikationsverantwortliche der AOC/IGP-Vereinigung. «Auch dort profitieren sie von einem verstärkten Marktauftritt».

Die Zertifizierung ist für die Hersteller zwar mit einigen Stunden Aufwand pro Jahr verbunden sowie mit Kosten, vergleichbar mit einer Biozertifizierung. Aber sowohl die Konsumenten wie auch die Markeninhaber geniessen Vorteile: «Mit der Kontrolle vor Ort vermeidet man Trittbrettfahrer oder Programme, die ihre Priorität einseitig auf reine Werbung setzen», sagt Raphael Sermet, Mitinhaber der Berner Zertifizierungsfirma ProCert.

Konkret: man vermeidet das Täuschungsrisiko. Die Regionalmarke erhält wesentlich mehr Glaubwürdigkeit und wird «Kassensturz-resistent». Allerdings gibt es auch erfolgreiche, nicht zertifizierte Regionalmarken-Programme wie «Natürli aus dem Zürcher Berggebiet»: Die Zertifizierung ist nicht der einzige Erfolgsfaktor und bietet auch keine kommerzielle Erfolgsgarantie.

Dank AOC besser exportfähig

Bei der Zertifizierungspflicht gleichen sich die Herkunftsdeklarations-Arten an, aber andere Unterschiede bleiben bestehen: AOC besitzt national und international das beste Image: diese Deklaration ist von den Weinen her gut bekannt, daher können AOC-Produkte überregional vermarktet und exportiert werden. Regionalprodukte dagegen sind vor allem in der Herstellregion bekannt. Regionalmarken bezwecken die lokale Wirtschaftsförderung, AOC/IGP jedoch zusätzlich die Pflege von Traditionen und die sensorische Einzigartigkeit.



Zwetschgen-Chutney von Posamenter aus Tafeljura-Hochstamm-Zwetschgen


Dies gilt auch für Slow Food-Produkte, die ausserdem handwerklich hergestellt werden müssen. Kaufmotive für diese Produktarten sind ferner kurze Transportwege und – generell bei Schweizer Produkten – die Lebensmittelsicherheit. Die Kaufmotive für Regionalprodukte sowie die Wirkung der staatlichen Absatzförderung sind Gegenstand einer Studie bei Agridea. Die Ergebnisse stehen frühestens im Herbst 2009 zur Verfügung. Zur Untersuchung der Kommunikationswirkung von AOC und IGP ist ferner im 2010 eine Konsumenten-Erhebung geplant.

Aber heute schon sagen Experten, dass die Kaufmotive regional verschieden sind – vor allem beim Vergleich zwischen der französischen und der deutschen Schweiz. Westschweizer orientieren sich eher an AOC, sie besitzen mehr Sensibilität und Erfahrung mit dem Genusswert. Deutschschweizer dagegen achten eher auf Labels. «Aber auch in der Westschweiz legen Regionalmarken zu», stellt Sermet fest.

Grösseres Mengenpotenzial bei Regionalmarken

Umgekehrt sind die Absatzförderungserfolge der AOC-Vereinigung je nach Produkt stark verschieden, und die durchschnittliche Tendenz zeigt nach oben. «Vom Verschwinden bedrohte Spezialitäten wie der Rheintaler Ribelmais oder die Botzi-Birne haben vor allem dank AOC-Status wieder Erfolg», meint Pokorny, «und der Tête de Moine verzeichnet seit Jahren ein starkes Wachstum im Export», dies allerdings bei relativ kleinen Tonnagen. Die mengenmässig grössten AOC-Produkte sind Gruyère und Emmentaler, die zusammen über 82% aller AOC/IGP-Produkte ausmachen.

Bei Produkten mit kleinen Mengen bzw aus kleinen Regionen, wie dem Genfer Gemüse «Cardon épineux», dem Munder Safran oder der Saucisse d’Ajoie ist das Potenzial stark limitiert. «Aber das Wachstum ist bei AOC/IGP-Produkten nicht erstrangig, sondern die Steigerung der Wertschöpfung», betont Pokorny, «dies weil ein Wachstum im Gegensatz zu Industrieprodukten durch die Pflicht zur regionalen Herstellung nicht beliebig gesteigert werden kann).

Bei den Regionalmarken ist das Potenzial grösser, weil diese keine Anforderungen an die Traditionalität erfüllen müssen. Auch Neuheiten können als Regionalprodukte zertifiziert werden. Aber AOC-Produkte kommen über ihre Vermarktung in den Genuss einer staatlichen Absatzförderung. «Durch die Kumulation der Mittel in unserer Vereinigung erreichen die Marketingmassnahmen eine gute Effizienz», so Pokorny. «Es ist kaum möglich, bei Regionalmarken ähnliche Summen fürs Marketing zu generieren. Ausserdem profitiert die AOC/IGP-Absatzförderung von Bundesmitteln, welche bis zu 50% der Eigenmittel ausmachen können».

Wie schmeckt Terroir?

Terroirprodukte im engeren Sinn wie Weine, Olivenöle und Alpkäse sind sensorisch einzigartig dank prägendem Einfluss des Terroirs (Boden, Klima, Traditionen). Wie weit der spezifische Einfluss von Anbau, Verarbeitung und Rezepten geht, ist schwer zu sagen. Fachleute können beispielsweise blind Walliser und Bündner Trockenfleisch unterscheiden, aber nicht nur die Terroirs sondern auch die Rezepte sind verschieden. Kein sensorischer Unterschied besteht jedoch bei pasteurisierter Milch unterschiedlicher Herkunft innerhalb der Schweiz.


Bei Terroirprodukten im weiteren Sinn ist zwar eine Herkunft deklariert, aber diese beinhaltet lediglich die Verarbeitung, so etwa bei Blütensirup oder Kräuterbonbons. Dennoch hält Sermet die Begriffe Herkunft und Terroir mit Blick auf die Zukunft für gleichwertig, «da Regionalprodukte, die rein durch lokale Wertschöpfung entstehen nicht mehr zertifizierbar sein werden».

Allerdings ist die Grösse eines Terroirs relativ flexibel und kann theoretisch auch die ganze Schweiz umfassen. Ein Sonderfall ist Mineralwasser, das zwar eine terroirbedingte sensorische Eigenheit besitzt, «aber es gilt nicht als typisches Terroir-Produkt», so Pokorny, «weil kein menschliches Savoir-faire bei der Verarbeitung dazukommt».

Kritische Grösse

Gemäss Sermet haben alle Herkunftskonzepte Erfolgschancen ausser zu kleine Regionen mit zuwenig Unterstützung des lokales Gewerbes. Er rät, dass «die Produktemengen gross genug sein sollen, um Grossverteiler anzusprechen». Als Mindestgrösse verweist er auf das Beispiel Entlebuch, eine zwar kleine Region aber mit erfolgreichem Regionalprodukte-Marketing. «Auch nach oben gibt es Grenzen, so Sermet, «Beispielsweise «Aus der Region» (ADR) Aare - von Freiburg bis in den Aargau – ist an der maximalen Grösse angelangt, um noch als Einheit aufzutreten».

Im Gegensatz zu Slowfood-Produkten, die auch handwerkliche Herstellung und besonderen Genusswert fordern, haben bei reinen Terroirkonzepten (ebenso wie bei Bio) auch Industrieprodukte Chancen, und gemäss Erfahrung von ProCert machen «einige wenige mengenmässig etwa gleichviel aus wie die vielen handwerklichen». Beispiele sind ADR-Brote von JOWA-Bäckereien, IGP-Wurstwaren von Bell sowie Micarna und ADR-Milch und –Butter von Emmi. Aber bei der Sortenzahl überwiegen die handwerklichen Terroirprodukte, dies vor allem bei Käse.

Weiterlesen: Regionales in der Gastronomie

Copyright http://www.foodaktuell.ch