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| 9.3.2015 - Rubrik: Backwaren & Confiserie
| Druckansicht | Saures im Gaumen in Süsses verwandeln
Seit zehn Jahren arbeiten Forscher an der Entschlüsselung der Moleküle, welche die fünf Geschmackstypen hervorrufen: süss, sauer, salzig, bitter und umami (bouillonartig). Das in der Natur vorkommende Miraculin lässt Saures süss erscheinen. Und Biochemie-Firmen entwickeln Glutamat-Alternativen und Bitterblocker. Die grösste Knacknuss ist aber eine vorgetäuschte Salzigkeit.
Die sensorischen Rezeptoren sind weitgehend bekannt. Für die Wahrnehmung von Süssem etwa ist nur ein einziger Rezeptor verantwortlich - ein Eiweiss-Duo namens T1R2 und T1R3, obwohl es eine Vielzahl an Zuckern gibt. Und die Süsswahrnehmung lässt sich manipulieren.
In der Natur gibt es bereits Stoffe, welche den Gaumen täuschen. Das prominenteste Beispiel ist Miraculin. Das Glykoprotein kommt in Beeren des afrikanischen Strauchs Synsepalum dulcificum vor und verwandelt die Sauer-Wahrnehmung ins Gegenteil: Saures schmeckt dann wie Sachharose.
Miraculin selbst ist geschmacklos, doch wenn die Zunge Miraculin ausgesetzt wird, nimmt sie saure Lebensmittel wie Zitrusfrüchte als süss wahr. Wird Miraculin gleichzeitig mit Säuren konsumiert, so braucht es einen Moment, bis sich der Effekt einstellt. Bis das Miraculin wirkt, schmeckt eine Mischung mit Säuren zuerst sauer, nach einer Verzögerung stellt sich dann der süsse Geschmack ein.
Miraculin heftet sich an den Süssrezeptor, löst aber keine Reaktion aus – zumindest nicht bei neutralem pH-Wert, wie japanische Forscher der University of Tokyo im Oktober 2011 berichteten. Isst man aber anschliessend eine saure Speise, verschiebt sich das Milieu im Gaumen in den sauren Bereich – und Miraculin nimmt eine neue Form an. Als Folge aktiviert es den Süssrezeptor.
Miraculin könnte zukünftig als kalorienarmer, für Diabetiker geeigneter Süssstoff genutzt werden. Es wäre der ideale Zusatz für zuckerfreie Konfitüren und andere Fruchtprodukte.
Die Herstellung ist derzeit allerdings noch zu teuer.
Und ein Nachteil von Miraculin: Der Effekt
hält zu lange an. Noch Stunden später
schmeckt vieles süss.
Man kann die Miraculin-Wunderbeeren im botanischen Garten der Uni Basel degustieren und erhält Tipps, um den afrikanischen Strauch als Topfpflanze zu kultivieren. Die Website https://botgarten.unibas.ch informiert, bei welchen Lebensmitteln Miraculin wie wirkt:
Äpfel: die Süsse verdoppelt sich.
Bier: schmeckt wie Panaché.
Aus Salzgurken werden Süssgurken.
Erdbeeren: eine Überraschung und eine Wucht. Schon fast kitschig süss.
Grapefruit wird süss und mild wie ganz ausgereifte Orangen.
Mandarinen werden extrem süss, fast schon unangenehm.
Sauerkraut wird zum Süsskraut.
Senf erinnert ein bisschen an süssen Schlagrahm. Die Nase nimmt aber weiterhin die Schärfe wahr.
Zitronen
kann man wie süsse Mandarinen essen.
Bei Wasser keine Änderung.
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Miraculin-Wunderbeere Synsepalum dulcificum
(Bild: Uni Basel)
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Die Lebensmittelbranche sucht auch Zuckerverstärker.
Diese
schmecken selbst zwar nicht süss,
steigern aber die Süsskraft von Zucker über einen Mechanismus, der
sich mit der Gestalt und Funktion
des Süssrezeptors erklären lässt.
Dessen aktiver Bereich besitzt die
Form einer Venusfliegenfalle. Süss
schmeckende Substanzen binden
tief in der Falle, die sich daraufhin
schliesst und das Süssempfinden
auslöst. Zuckerverstärker hingegen docken an einer anderen Stelle an, und zwar so, dass sie die geschlossene Form stabilisieren und
dadurch den Zuckergeschmack
steigern.
Die Firma Senomyx in San Diego sucht neue Lebensmittelzusätze und entwickelte
mehrere Zuckerverstärker, die kalorienarme Speisen und Getränke ohne
unangenehme
Geschmacksnoten
möglich machen, die bei Süssstoffen oft auftreten. Sie kooperiert mit dem Aromenhersteller Firmenich sowie mit
Pepsico. Einer der beiden Partner werde
vermutlich Mitte 2015 ein Produkt
mit einem neuen Süssverstärker
auf den Markt bringen, kündigte
Senomyx-Geschäftsführer
John Poyhonen an.
Alternative zu Glutamat
Gesucht wird ferner nach Alternativen zu dem in Verruf geratenen
Geschmacksverstärker Natriumglutamat, der den Umami-Rezeptor aktiviert. Der Trend zu vegetarischer Ernährung treibt die Suche
nach solchen Stoffen an. Sie sollen
Sojawurst und anderem Fleischersatz ein herzhaftes Aroma verleihen.
Umami wird wahrgenommen, wenn die Eiweissbausteine T1R1 und T1R3 an den Rezeptoren andocken. Darüber hinaus wird die Intensität des Umami-Geschmacks von Glutaminsäure durch die Purine Inosinmonophosphat (IMP) und Guanosinmonophosphat (GMP) erheblich verstärkt, was auch durch Zugabe ihrer Salze (vor allem Dinatriumguanosinat und Dinatriuminosinat) erreicht werden kann.
Viele Lebensmittel, unter anderem reife und insbesondere getrocknete Tomaten, Käse (bei Parmesan bis zu 7 % Glutaminsäure), Muttermilch, Sojasauce und Fischsauce, enthalten schon von Natur aus relativ hohe Anteile von Glutamat. Da Glutaminsäure eine der 21 Aminosäuren ist, aus denen Proteine gebildet werden, ist sie in jedem eiweisshaltigen Lebensmittel enthalten.
Homocysteinsäure, Cystein-S-sulfonsäure und Ibotensäure haben eine ähnliche Wirkung wie Glutamat. Tricholomasäure (in den Pilzen Tricholoma muscarium natürlich vorkommend) gehört ebenfalls zu den Geschmacksverstärkern. In der industriellen Lebensmittelherstellung wird besonders häufig Mononatriumglutamat (E 621) eingesetzt. Die stärkste Wirkung wird bei Mischungen mit 95 % Glutamat und 5 % Guanylat oder Inosinat erzielt.
Die fünf Geschmackstypen oder vielleicht sogar sechs. Notabene: Schärfe (zB durch Capsaicin, dem Chilischarfstoff) ist kein Geschmackstyp sondern eine Schmerzempfindung. Fett hingegen könnte als Geschmackstyp gelten: es wirkt im Gaumen nicht nur via Cremigkeit auf den Tatsinn oder indirekt via Aromen in der Nase. Es gibt Rezeptoren für Fettsäuren, und diese entstehen mithilfe von Speichellipasen bei fetthaltigen Speisen.
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Senomyx hat zwei Glutamat-Alternativen im Programm. Die Firma Imax
Discovery in Dortmund hat ebenfalls zwei Umami-Geschmackstoffe identifiziert, die in zwei
Jahren marktreif sein dürften, wie
der Geschäftsführer Thomas Henkel erläutert.
Die grösste Knacknuss: Salz-Modulatoren
Nicht so gut steht es um Stoffe, die dem Hirn Salzigkeit vorgaukeln sollen. Eine Arbeitsgruppe am Deutschen Institut für Ernährungsforschung Potsdam-Rehbrücke (Dife)
hat etwa die Aminosäure Arginin als Salz-Verstärker ausfindig gemacht. Damit Salzarmes nicht fad schmeckt, müssen sie jedoch in grossen Mengen beigemischt werden. Auch das beeinträchtigt das Gesamtroma.
Sowohl Senomyx als auch Imax
Discovery beginnen mit der Suche nach sogenannten
Modulatoren, die den Salzgehalt in
Lebensmitteln ohne Geschmackseinbusse reduzieren. Ziel ist, das
Risiko für Bluthochdruck und
Herz-Kreislauf-Leiden zu senken.
Die Suche nach Salzverstärkern
steckt allerdings noch in den Kinderschuhen, auch weil der menschliche Salzrezeptor
noch nicht endgültig verstanden
ist. Salzgeschmack wird vorrangig
über einen Ionenkanal vermittelt,
der Natriumionen leitet. Substanzen, die den Natriumfluss steigern,
verstärken die Salzempfindung.
Dife-Forscher haben
sowohl in Geschmackstests als
auch in In-vitro-Versuchen mit
Froschzellen, die den gleichen
Natriumkanal bilden, mehrere
Salzverstärker getestet, darunter
Aminosäuren und verwandte Verbindungen. Ihre Wirkung müsse
für den Einsatz in Lebensmitteln
aber noch verbessert werden,
räumt der Dife-Forscher Maik
Behrens ein.
135 Rezeptoren für Bitterkeit
Auf Bitterstoffe reagieren hingegen viele verschiedene Rezeptor-Typen.
"Mit den rund 135 Rezeptorvariationen kann der Mensch über 1000 verschiedene Bitterstoffe, die in der Natur vorkommen, erkennen", sagt Wolfgang Meyerhof, Biochemiker am Dife.
Gemeinsam mit dem Biotechnologen Jay Slack von der Firma Givaudan Flavors Corporation hat der Potsdamer Wissenschaftler einen anderen vielversprechenden Stoff aufgetan und kürzlich im Fachblatt Current Biology vorgestellt: 4-(2,2,3-trimethylcyclopentyl)-Buttersäure blockt effektiv den Bittergeschmack von Süssstoffen wie Saccharin, und zwar ohne deren Süssgeschmack negativ zu verändern. "Dies ist der erste spezifische Bitterblocker", sagt Slack. Er könnte den Geschmack von künstlich gesüssten Produkten verbessern.
(Infos: Dife, Uni Basel, Süddeutsche, NZZ, Wikipedia)
Weiterlesen: Ist Fett als 6. Geschmackstyp wahrnehmbar?
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