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| 4.9.2015 - Rubrik: Backwaren & Confiserie
| Druckansicht | Warum Lecithin zugeben beim Schokolade-Conchieren?
Schokolade ist ein wichtiges Forschungsobjekt. Längst rücken ihr Wissenschaftler mit modernsten Methoden zu Leibe – vom Hightech-Röntgen bis zur hochauflösenden Simulation. Im neuesten Projekt geht es um die Cremigkeit und den Schmelz der Schokolade: Münchener Forscher haben dafür mit Hilfe von Modellen bis auf die Ebene der einzelnen Moleküle geblickt.
Lecithin wirkt normalerweise als Emulgator, der ölige mit wässerigen Phasen stabilisiert. Aber in der Schokolade gibt es kein Wasser. Lecithin hat dennoch eine Wirkung: es macht die Schokolade dünnflüssiger. Warum?
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Entscheidend für das typisch schmelzende Mundgefühl der Schokolade ist das Conchieren. Dabei wird die Mischung aus Kakao, Zucker und je nach Sorte weiteren Gewürzen und Milchpulver auf 70 bis 82 Grad erwärmt und mechanisch zerrieben und gerührt. "Die flüssige Schokolade besteht aus einer wasserabweisenden flüssigen Phase aus Kakaobutter und darin gelösten Partikeln aus Zucker und Kakao", erklären Heiko Briesen und seine Kollegen von der Technischen Universität München. Damit diese Partikel in Lösung bleiben und nicht verklumpen, kommt am Ende des Conchierens pflanzliches Lecithin dazu.
"Es gibt viele Hypothesen, wie das Lecithin bei der Schokoladenherstellung wirkt", so Briesen. So scheint das Lecithin die Oberfläche der Zuckerpartikel zu glätten und erleichtert es ihnen so, aneinander vorbei zu gleiten. Das macht die Masse weicher und fliessfähiger. Aber was genau auf molekularer Ebene passiert, blieb bisher unklar – und damit auch, welches Lecithin am vorteilhaftesten ist.
Um das zu klären, haben Briesen und seine Kollegen nun eine molekulardynamische Simulation eingesetzt. Diese Modellierungen bilden die Wechselwirkungen von Atomen und Molekülen auf Basis chemischer und physikalischer Gesetze nach. Bei so komplexen Prozessen wie der Lebensmittelchemie wurden sie jedoch bisher nur selten eingesetzt.
Um der Lecithinwirkung auf die Spur zu kommen, konzentrierten sich die Forscher auf einen entscheidenden Schritt: die Bindung des Lecithins an Zuckermoleküle. Unter dem Begriff Lecithin werden in Wirklichkeit mehrere sehr ähnliche Phospholipide zusammengefasst, wie die Wissenschaftler erklären. Sie alle besitzen einen wasserliebenden Kopf und einen Schwanz aus hydrophoben Kohlenwasserstoffketten.
Lecithin macht Zuckerkristalle lipophil
Für ihre Simulation wählten Briesen und seine Kollegen sechs Lecithine mit den drei häufigsten Kopfvarianten aus und beobachteten im Modell, was bei deren Anlagerung an Zucker geschieht. Wie sich zeigte, bindet das Lecithin sozusagen Kopf voran an die Saccharose. Dabei wird der Kopf so weit absorbiert, dass er komplett in einer Senke der Zuckerpartikel verschwindet – und das ist auch das Geheimnis der Lecithinwirkung.
"Indem die Lecithinmoleküle an die Saccharose-Oberfläche anlagern, minimieren sie die Interaktion ihres hydrophilen Kopfes mit der hydrophoben Kakaobutter", erklären die Forscher. Im Prinzip funktioniert das Lecithin dabei ähnlich wie die Tenside im Spülmittel: Sie umhüllen Schmutzpartikel und sorgen damit für eine gute Löslichkeit im Wasser. Das Lecithin bildet sozusagen eine fettaffine Hülle um den Zucker und sorgt so dafür, dass die Saccharosepartikel in der Kakaobutter vereinzelt und «gelöst» bleiben – unangenehme Kristallklumpen werden so vermieden.
Erst durch Walzen und Conchieren entsteht die zartschmelzende Schokolade. Ohne diese Prozesse bliebe die Mischung gesüsster Kakao. In der Conche (Bild) wird die Masse nicht nur versalbt und verflüssigt sondern auch das Aroma entwickelt.
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Und noch etwas konnte die Forscher herausfinden: Nicht jedes Lecithin bindet beim Conchieren gleich gut an die Zuckerpartikel. Je nach Varianten bildeten die Köpfe der Phospholipide nur drei bis vier Bindungen zur Saccharose oder aber sogar bis zu sechs Bindungen. Die Simulation zeigte damit auch, warum das Lecithin Phosphatidylcholin (PC) als besonders gut geeignet für die Conchierung gilt: Dieses Molekül gehörte zu denen, deren Köpfe vier- bis sechsfach am Zucker verankert waren – entsprechend gut haftet es.
Das kleinste Lecithin, Phosphatidylinositol (PI), erwies sich in der Simulation sogar als noch anhänglicher – es war ebenfalls über sechs Bindungen verankert, haftete aber noch stärker als PC. Nach Ansicht der Forscher könnten diese Erkenntnisse über die Unterschiede der verschiedenen Lecithinvarianten wertvolle Informationen für die Schokoladenherstellung liefern.
Denn statt nach dem Try+Error-Prinzip (Versuch und Irrtum) vorzugehen, können die Hersteller nun gezielt das Lecithin auswählen, das die für sie günstigsten Eigenschaften besitzt. "Ich bin sehr zuversichtlich, dass die Molekulardynamik in Zukunft die Lebensmittelforschung stark unterstützten kann", sagt Briesen. (Heiko Briesen (Technische Universität München) et al., Journal of Physics D: Applied Physics, doi: 10.1088/0022-3727/48/38/384002, wissenschaft.de)
Weiterlesen: Verbesserte traditionelle Schokolade-Herstellung
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