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24.10.2009 - Rubrik: Backwaren & Confiserie
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Chemie von Backen und Backmitteln




Die Chemie spielt bei der Brotherstellung eine zentrale Rolle. Die chemischen Reaktionen sind komplex und erst wenig bekannt. Versuche von bäckerei-unerfahrenen Chemikern, ein Brot nach wissenschaftlichen Prinzipien herzustellen, führen zwar zu mehr oder weniger essbaren Produkten, aber dem Vergleich mit den Prachtstücken eines Bäckermeisters halten sie nicht stand. Kulinarische Wunder sind nur über komplizierte chemische Reaktionen möglich, aber speziell im Falle von Brot sollte man derartige „chemische Meisterstücke“ besser Handwerkern mit ihrem Können überlassen.

Obwohl beim Backen nur die Temperatur erhöht wird, läuft dabei ein naturwissenschaftliches Concerto grosso ab, das in einem fulminanten Finale gipfelt. Es beginnt unspektakulär: Beim Einschieben der Brote ist der Ofen bereits mit Wasserschwaden angefüllt und auf die kalte Teigoberfläche schlägt sich Wasser nieder. Die freiwerdende Kondensationswärme sorgt für eine schnelle Erwärmung der Teigstücke und der Wasserdampf verhindert das vorschnelle Austrocknen der äusseren Teigschicht, die dadurch elastisch bleibt und bei Ausdehnung nicht reisst.

Bei weiterer Temperatursteigerung denaturieren die Proteine, die Stärke verkleistert und der Wasserdampf bildet Gasblasen, die vom fester werdenden Teig festgehalten werden. Zuletzt entstehen in komplexen Reaktionen aus Aminosäuren und Zuckern die appetitliche Farbe und vor allem das verführerische Aroma des Brotes. Dabei reagieren unzählige bereits im Teig vorhandene Verbindungen gleichzeitig miteinander, wobei nur die äusseren Teigschichten die im Ofen zuletzt erzielten Temperaturen von über 200 °C erreichen.

Im Brotinneren steigt die Temperatur langsamer an und erreicht nur Werte von maximal 100 °C. Die chemischen Prozesse im Inneren unterscheiden sich also von denen im äusseren Krumenbereich und die wiederum sind anders als jene in der Kruste. Zum besseren Verständnis wollen wir uns daher einen Überblick über die bei den verschiedenen Temperaturen ablaufenden physikalisch- chemischen Prozesse beim Brotbacken verschaffen.

Am Anfang des Backprozesses vermehren sich die bis 50 °C lebensfähigen Hefezellen zunächst noch durch aeroben (Hefeatmung), dann anaeroben (Hefegärung) Abbau von aus Maltose gebildeter Glukose unter Bildung von Kohlendioxid (CO2) und Wasser bzw. Ethanol [16]. Ab 65 °C geht es im Teig erst so richtig los, denn es bildet sich das Herzstück des Brotes, die Krume: die bei tieferen Temperaturen leicht verformbaren Kleberproteine haben durch die sich ausdehnenden Kohlendioxidbläschen ein dreidimensionales Gerüst mit darin eingelagerten Stärkekörnern gebildet. Bei 65 °C denaturieren die Kleberproteine und verlieren dabei ihre Verformbarkeit. Aus dem plastischen wird ein elastischer Teig.

Nicht nur die Kleberproteine, sondern auch die Proteinhaut um die Stärkekörner denaturiert bei ca. 65 °C und wird dabei wasserdurchlässig. Das vom Kleberprotein abgegebene Wasser nehmen die Stärkekörner nun vollständig auf. Die Stärke quillt dadurch auf [17] und das Volumen der Stärkekörner nimmt um ca. 40 % zu, wobei die umhüllende Proteinhaut platzt. Die gequollene Stärke wird nun von der Amylase (Optimum bei 65 °C) angegriffen und in grosse Bruchstücke (Dextrine) gespalten.

Gleichzeitig greift die Amylase (Optimum bei 50 °C) die Bruchstücke vom Kettenende unter Bildung von Maltose an (Abbildung 7). Durch den hohen Druck der quellenden Stärkekörner werden alle kristallinen Stärkestrukturen zerstört, die Stärke verkleistert und es bildet sich die gewünschte feste Krume. Wie sensibel die „Choreographie“ der verschiedenen parallel ablaufenden physikalisch- chemischen Prozesse ist, zeigt sich an fehlerhaften Broten.

Ein gut gebackenes Brot hat einzigartige Materialeigenschaften: Es ist nicht direkt verformbar, aber durchaus biegsam und druckelastisch. Die Krume ist nicht zugelastisch und dadurch gut kaubar; sie ist schnittfest und auch leicht bestreichbar [19].

Für viele Geniesser ist die Brotkruste mit dem verführerischen Aroma das Beste am Brot. Wegen des geringen Wassergehalts in der Kruste findet dort nur eine geringe Verkleisterung der Stärkekörner statt. Bei Temperaturen ab 110°C reagieren die Abbauprodukte der Proteine in einer nichtenzymatischen Bräunungsreaktion (Maillard-Reaktion [20]) an der Krustenoberfläche mit den verschiedensten Sacchariden.

Vor allem die Arabinose und die von der _-Amylase gebildete Maltose tragen zur intensiven Bräunung und zur Bildung von Aromastoffen bei. Bei 140 °C beginnt die Karamellisierung der Zucker, ab 150 °C beginnen Röstreaktionen. Beim Backen bilden sich Hunderte von Aromastoffen (Formelschema 3), jedoch nur einige wenige bestimmen das typische Aroma der Krume und der Kruste.

Schwankende Getreidequalität

Zum Brotbacken braucht man prinzipiell nur Mehl, Wasser, Salz und Hefe oder Sauerteig, woraus auch schon unsere Ahnen Brote hergestellt haben. Warum geben wir heute überhaupt weitere Zutaten zum Teig? Die Antwort ist einfach: unsertwegen! Wir Verbraucher verlangen ein wohlschmeckendes Brot, das immer von gleich bleibender, höchster Qualität, möglichst frisch gebacken vorrätig ist und dabei auch noch preiswert sein soll. Dabei vergisst der Verbraucher, dass am Anfang des Brotes die Kornqualität steht, die wesentlich von der Witterung während der Wachstums- und Erntezeit, der Bodenbeschaffenheit, der Düngung, der Getreidesorte usw. bestimmt wird.

Viele dieser Parameter können wir nicht einmal kontrollieren, geschweige denn steuern. Deswegen weist jede beim Müller ankommende Getreidelieferung meist unterschiedliche Qualitäten mit den daraus resultierenden unterschiedlichen Backeigenschaften auf. Wir als Verbraucher verlangen aber, dass immer Brote von gleich bleibend hoher Qualität aus dem Ofen des Bäckers kommen sollen. Dies kann nur sichergestellt werden, wenn die Bäcker und oft auch die Müller (s. Ascorbinsäure!) Backmittel [23] zusetzen dürfen, um die Defizite bei den schwankenden Rohstoffeigenschaften zu kompensieren. Diese Zusätze zählen wegen ihrer Bedeutung zu den lebensmitteltechnisch und toxikologisch am besten untersuchten Lebensmittelzusätzen überhaupt. Im Folgenden soll an einigen Beispielen der Sinn dieser Zusätze untersucht werden.



Backmittel

Malz ist eines der ältesten Backmittel und wird aus Gerste oder Weizen hergestellt. Das Korn wird befeuchtet und der Keimungsprozess nach wenigen Tagen durch Trocknung unterbrochen. Weizenmalz ist reich an Amylasen [24] und wird enzym- schwachen Weizenmehlen zugesetzt, so dass die Stärke besser enzymatisch abgebaut werden kann. Die im Malz enthaltene Maltose führt als Nahrungsgrundlage der Hefezellen zu deren besserem Wachstum und einer durch die Entwicklung con CO2 verbundenen Teiglockerung. Weiterhin wird Maltose beim Backen zu gewünschten Aromastoffen abgebaut, karamellisiert auf der Oberfläche und verbessert damit die Krustenbräunung.

Getreidekörner enthalten keine Ascorbinsäure (Vitamin C) [25], und so scheint ihre Zugabe zum Weizenmehl oder Brotteig vordergründig eine willkommene Aufwertung eines Grundnahrungsmittels zu sein. In Wirklichkeit steckt mehr dahinter, denn Vitamin C dient in diesem Fall nur der Qualitätsverbesserung des Brotes und wird beim Backen vollständig thermisch abgebaut. Die Teigverbesserung durch Ascorbinsäure beruht auf ihrem Eingriff in die Redoxchemie der Disulfidbrücken des Klebers.

Schon bei der Mehlreifung und beim Teigkneten werden die freien HS-Gruppen der Cysteinbausteine der Kleberproteinketten über Disulfidbrücken oxydativ verknüpft (Gl. 1 und 2 im Formelschema 1; siehe Teil I). Diese Vernetzung stabilisiert den Kleber, macht ihn elastischer und dehnbarer und hält besser dem Gasdruck der CO2-Bläschen stand. Dadurch nimmt das Backvolumen zu.

Weizenmehl kann bis zu 60 mg/kg natürliches Glutathion enthalten, das die Backfähigkeit des Mehls verschlechtert, denn Glutathion greift in die Bildung der Disulfidbrücken ein, indem es mit den HS-Cys-Bindungen der Kleberproteinketten in Gegenwart von Sauerstoff reagiert (Gl. 2 und 4 im Formelschema 1; siehe Teil I). Dadurch wird die Vernetzung der Kleberproteine (Gl. 1 im Formelschema 1; siehe Teil I) verhindert und als Konsequenz bleibt der Kleber schwach und die Gasblasen entweichen. Solche Teige ergeben nur kleinvolumige und flache Backwaren, was nicht gerade unserer Vorstellung von einem prallen runden Brotlaib entspricht.

Die Verwendung von Ascorbinsäure als Backmittel ist eine Zufallsentdeckung des dänische Chemikers Holger Jörgensen [26]. Diese Wirkung wurde damals überraschend erkannt, denn bis dahin konnten nur mit starken Oxidationsmitteln wie Kaliumbromat, -persulfat oder -perjodat vergleichbare Verbesserungen erzielt werden [27]. Ascorbinsäure ist genau das Gegenteil eines Oxidationsmittels, nämlich ein starkes Reduktionsmittel [28].

Dieser scheinbare Widerspruch konnte aufgeklärt werden [29]: Die dem Teig zugesetzte Ascorbinsäure wird beim Kneten schon in wenigen Minuten durch den im Teig eingeschlossenen Sauerstoff zu Dehydro-ascorbinsäure oxidiert. Genau genommen verbessert dieses Oxydationsprodukt die Mehleigenschaften und nicht die Ascorbinsäure selbst. Die Aufklärung des Wirkungsmechanismus der Ascorbinsäure kann als ein „stereochemisches“ Kleinod bezeichnet werden (Infoblock).

Der Wirkungsmechanismus der Mehlverbesserung nach Zugabe von Ascorbinsäure beruht darauf, dass die im Teig erst entstehende Dehydroascorbinsäure das im Mehl enthaltene Glutathion oxidiert und damit dessen negativen Einfluss auf die Kleberqualität ausschaltet.

Insgesamt ist die Herstellung eines Brotteiges und das anschliessende Backen ein aufeinander abgestimmter Ablauf unzähliger chemischer Reaktionen. Das Aufbrechen und Neuverknüpfen von Disulfid-brücken sind Redoxreaktionen, der Abbau von Stärkemolekülen und Pentosanen sind Hydrolysen, die abwechselnde Bindung von Wasser an den Kleberproteinen und an die Stärke basieren auf der Bildung von Wasserstoffbrücken und schliesslich ist die Bildung der Aromastoffe in Krume und Kruste die Folge von thermisch induzierten Reaktionen zwischen Zuckern und Proteinen. Mit einem frisch gebackenen und wohlriechenden Brotlaib haben wir nicht nur einen gesunden Leckerbissen, sondern auch ein faszinierend komplexes Stück Chemie in der Hand. Geniessen wir beides!

Text: Professor Dr. Klaus Roth, Berlin. Quelle: bmi aktuell Ausgabe 1 / Mai 2008

Literaturquellen

[16] Die Hefezellen spalten mit ihrer eigenen Maltase die Maltose zunächst in zwei Glucose-Moleküle, die dann wie üblich in der Glykolyse abgebaut werden.
[17] Der Wassertransfer ist schon beeindruckend, denn der uns feucht erscheinende Teig fühlt sich nach dem Backen völlig trocken an, obwohl der Wasserverlust beim Backen angesichts der hohen Temperaturen mit ca. 10 % nur sehr gering ist. Mit anderen Worten: Die Krume im gebackenen Brot enthält fast so viel Wasser wie der rohe Teig. Die Hauptmenge des Wassers ist immer fest gebunden: im Teig fest an die Kleberproteine und im Brot an die gequollene Stärke. S. Ablett et al. in Chemistry and Physics of Baking, (J. M. V. Blanshard, P. J. Frazier and T. Galliard, eds.), 1986, The Royal Society of Chemistry, London
[18] B. Meyer, PdN-BioS, 2007, 56, 10
[19] Diese Materialeigenschaften erscheinen hier überbetont zu sein. Dies ist eine Fehleinschätzung, denn ein Brot muss seine Funktion erfüllen. Die besteht vor allem darin, dass man eine Scheibe abschneiden, diese Scheibe bestreichen oder belegen und davon ein Stück abbeißen und zerkauen kann.
[20] M. Angrick und D. Rewicki, Chem. Unserer Zeit, 1980, 14, 149
[21] B. Meyer, PdN-BioS, 2007, 56, 4
[22] Bekommen Sie also keinen Schreck, wenn Brot plötzlich E 270 oder E 330 enthält. Das sind die vorgeschriebenen Kurzbezeichnungen für Milchsäure und Zitronensäure, die deklariert werden müssen, wenn sie Lebensmitteln zugesetzt werden. In gesäuerten Milchprodukten wie Joghurt und in Zitronen kommen diese Säuren auch vor, müssen aber nicht deklariert werden, da sie im Lebensmittel natürlicherweise schon enthalten sind, also nicht zugesetzt wurden.
[23] Backmittel sind Zubereitungen aus Lebensmitteln mit/ohne Lebensmittelzusatzstoffen, die „zur Verbesserung der Qualität von Brot und anderen Backwaren und/oder Erleichterung ihrer Herstellung bestimmt sind“. Übersicht siehe: B. Meyer, Getreidetechnologie, 2006, 20, 1; in Österreich gilt der Erlass des BMSG GZ31.901/25/B/12/01 v. 3. 7. 2001
[24] Die Chemie der Malzherstellung spielt auch beim Bierbrauen eine wichtige Rolle. Siehe K. Roth, Chem. Unserer Zeit, 2006, 40, 338
[25] The Composition of Foods, B. Holland et al., 1992, The Royal Society of Chemistry, Cambridge
[26] H. Jörgensen, Biochem. Z. 1935, 280, 1 und ibid. 1935, 283, 134
[27] Die Zugabe dieser Verbindungen ist heute in der gesamten EU verboten.
[28] Diese reduktive Eigenschaft von Vitamin C wird in der Lebensmitteltechnologie vielfach genutzt, z.B. bei der Haltbarmachung von Apfelsaft. Siehe: A. Deifel, Chem. Unserer Zeit, 1993, 27, 198
[29] P. Maltha, Getreide & Mehl, 1953, 3, 65; W. Grosch, Getreide, Mehl und Brot, 1975, 29, 273; P. Köhler, PdN-BioS, 2007, 56, 8
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