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| 7.8.2015 - Rubrik: Backwaren & Confiserie
| Druckansicht | Glutenfrei-Boom wegen 1% Allergikern?
Bislang gibt es kein Medikament, das die Gluten-Verträglichkeit bei Zöliakie-Betroffenen erhöht. Es bleibt ihnen nur strikte Abstinenz aller glutenhaltigen Getreide. Dänische Forscher haben nun den molekularen Mechanismus aufgedeckt, der hinter der Autoimmunkrankheit steckt. Anderseits glauben immer mehr Nicht-Betroffene, dass Gluten auch für sie ungesund sei. Glutenfrei Produkte boomen aus unterschiedlichen Motiven.
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Früher galten glutenfreie Brote oder glutenfreie Pasta als geschmackarm und teuer. Wer sie ass, tat dies aus diätetischem Zwang. Heute scheint glutenfreies Essen ein Synonym für gesunde Ernährung zu sein.
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Gluten-Intoleranz zählt zu den Autoimmunerkrankungen. Das Klebereiweiss aktiviert das Immunsystem des Körpers und bildet daraufhin Antikörper, die ein spezielles Enzym im Körper angreifen (Transglutaminase 2). Die Transglutaminase 2 ist ein Eiweiss in der Darmschleimhaut ─ es verarbeitet das im Gluten enthaltene Glutamin. Wird dieses von den Antikörpern attackiert, entzündet sich die Darmschleimhaut. Folgen sind Bauchkrämpfe und Durchfall, langfristig wird die Schleimhaut so destabilisiert und verändert, dass sie nicht mehr ausreichend Nährstoffe in den Körper schleusen kann.
In Laborexperimenten haben die dänischen Wissenschaftler um Prof. Thomas Jørgensen mehr über die Interaktion von Antikörper und Enzym herausgefunden. Sie haben Einblick gewonnen, wie die Antikörper reagieren, wenn sie auf das Enzym treffen, und herausgefunden, wie das Enzym unter verschiedenen Bedingungen seine Struktur verändert.
Nach Angaben der Deutschen Gesellschaft für Zöliakie verträgt wenigstens einer von 500 Menschen in Deutschland kein Gluten, allerdings haben 80 bis 90 % von ihnen untypische oder keine Symptome und wissen daher meist nichts von ihrer Erkrankung ─ nur bei 10 bis 20 % der Betroffenen liegt aber das Vollbild der Zöliakie vor. (Text: aid)
Verzicht auf die besten backfähigen Getreide
Bei der Zöliakie handelt es sich um eine Unverträglichkeit von Gluten, einem Protein, das in Weizen, Roggen, Dinkel und Gerste vorkommt. Bei den Betroffenen führt dies zu einer chronischen Entzündung des Dünndarmes (Darmzotten). Bauen sich die Darmzotten ab, kommt es meist zu einer Malabsorption mit entsprechenden gesundheitlichen Problemen. Die Therapie besteht in einer lebensbegleitenden glutenfreien Ernährung, d.h. in einem Verzicht auf Brot, Teigwaren und allen Produkten aus Weizen, Dinkel, Roggen, Gerste, Hafer, Emmer, Grünkern, Kamut, Einkorn und Triticale. www.zoeliakie.ch/
Die verbesserte Zöliakie-Diagnose der untypischen Symptome kann die hohe Nachfrage nach Glutenfrei-Produkten nicht erklären. Nur ein Prozent der Bevölkerung sind effektiv von Zöliakie betroffen. Den Boom erleichtert aber sicher die Tatsache, dass glutenfreie Brote heute besser schmecken.
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Was wollen Normalkonsumenten mit Glutenfreiem?
Für Sie gelesen in der NZZ am Sonntag:
Noch vor ein paar Jahren wusste kaum jemand, was Gluten oder Zöliakie ist. Wer trotz Unverträglichkeit nicht auf Brot verzichten wollte oder Spaghetti, musste ins Reformhaus. Nur dort gab es glutenfreie Lebensmittel. Die Spezialprodukte waren teuer und schmeckten wie Karton.
Heute führen auch Migros und Coop eine immer breitere Palette von Produkten mit der durchgestrichenen Ähre, dem Symbol für glutenfreies Essen. Immer mehr Restaurants bieten glutenfreie Menus an, seit kurzem wirbt eine Feriendestination im Engadin mit «glutenfreier Erholung». Der Markt boomt. Das ist bemerkenswert, denn nur schätzungsweise ein Prozent der Bevölkerung hat Zöliakie.
«Zwar leiden immer mehr Menschen an Allergien und Unverträglichkeiten, der Boom steht aber in keinem Verhältnis zur kleinen Zunahme bei der Patientenzahl», sagt François Spertini, Chefarzt der Abteilung Immunologie und Allergie am Universitätsspital in Lausanne. Der Boom ist auch dann nicht erklärbar, wenn man diejenigen Patienten hinzuzählt, die in die Kategorie der «Glutensensitiven» fallen. Dieser Begriff ist neu. Er wurde speziell für jene Patienten geschaffen, die zwar weder Zöliakie haben noch eine Weizenallergie, doch durch eine Gluten-Diät von ihren Leiden erlöst wurden.
«Diese Patienten sagen mir, dass sie sich viel besser fühlen, seit sie kein Gluten mehr essen. Vormalige Blähungen, Krämpfe und die Müdigkeit seien weg.» Manche Ärzte erachten solche Patientenaussagen als Unsinn oder werfen sie in die Kategorie: psychosomatisch. Spertini mag das aber nicht tun. Noch sei unklar, woran diese Gruppe wirklich leide. Klar ist aber, dass auch das Phänomen der «Glutensensitivität» den Boom glutenfreier Produkte erklären kann.
Früher glaubten viele Amerikaner, zertifizierte Koscher-Produkte seien sicherer. Einfach, weil sie (von Rabbinern) strenger kontrolliert wurden. Heute glauben sie, Weizen sei ungesund und Glutenfreies sei gesünder.
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Der Rummel um glutenfreie Produkte kommt aus den USA und Grossbritannien. Ein Drittel der Amerikaner versucht, Gluten im Essen zu meiden, wie Umfragen zeigen. Und in England glaubt mindestens eine Person in jedem zehnten Haushalt, Gluten sei schlecht für sie. Glutenfreie Produkte stehen in Supermärkten in «healthy joice»-Regalen. Glutenfrei steht heute für ein gesundes, ausgewogenes Essen und einen urbanen Lebensstil.
Nestlé ist kürzlich mit der Lancierung glutenfreier Cornflakes auf den Zug aufgesprungen. In einem Video auf der Firmen-Website erklärt der Konzern auch gleich, für wen die neuen Cornflakes geeignet sind: nicht nur für Leute mit Zöliakie oder Glutensensitivität, sondern auch für jene, «die einfach neugierig sind darauf, ob sie sich ohne Gluten anders fühlen».
Jeder will sich durch gute Ernährung anders, besser fühlen. Die internationale Marktforschungsfirma Mintel schreibt in einer Analyse für den US-Markt im Jahr 2013, dass 75 Prozent der Konsumenten von glutenfreien Produkten weder Zöliakie haben noch glutensensitiv sind. Sie essen glutenfreie Produkte, «weil sie glauben, diese Produkte seien gesund, obwohl es dafür keinen wissenschaftlichen Befund gibt».
Manche Konsumenten versuchen mit einer Gluten-Diät ihre Migräne zu bekämpfen oder ihre Hautkrankheit, wieder anderen geht es darum, abzunehmen. Doch glutenfreie Produkte wie Brot enthalten nicht selten mehr Zucker und Fett als gewöhnliche Brote, um das fehlende Gluten zu kompensieren. Gluten verleiht dem Teig Elastizität und gibt ihm eine Struktur. Brot wird dank Gluten innen weich und aussen knusprig. Ohne dieses Klebeeiweiss ist es äusserst schwierig, ein gutes Brot zu machen.
Die Umsätze der glutenfreien Produkte wachsen bei Migros und Coop zweistellig. Migros hat sogar einen eigenen Produktionsstandort für glutenfreie Produkte aufgebaut. Bis Ende nächsten Jahres will sie die Zahl der gluten- und laktosefreien Produkte um einen Drittel steigern.
Eher eine Mode als ein nachhaltiger Trend?
Wie konnten Produkte für ein Nischen-Publikum so populär werden? Wer steckt dahinter? «Wir waren es nicht», sagt Ulrich Ladurner fast entschuldigend. «Kein Marketing-Genie hätte eine solche Entwicklung anstossen können.» Ladurner ist Chef von Dr. Schär, der Südtiroler Firma, die seit 35 Jahren glutenfreie Produkte herstellt und in Europa Marktführer ist. «Unser Fokus lag stets auf den Menschen, die glutenfreie Produkte aus medizinischen Gründen brauchen.» Der Modetrend kommt Dr. Schär gelegen, doch bringt er auch neue Konkurrenten ins Spiel, und er droht irgendwann wieder abzuflachen. Noch ist es nicht so weit.
In Amerika haben nicht zuletzt Stars den Trend losgetreten wie die Schauspielerin Gwyneth Paltrow und Miley Cyrus. Tennis-Superstar Novak Djokovic ist glutensensitiv.
Ätzende Kritik an Gluten üben aber auch Ärzte wie der Kardiologe William Davis aus Milwaukee. In seinem Bestseller «Wheat Belly» nimmt er nicht nur das Gluten, sondern gleich auch den Weizen ins Visier. Weizen mache Menschen fett, darmkrank, herzkrank, hautkrank und depressiv.
Weizen, so die Argumentation, wurde für die Industrie hochgezüchtet, damit er schneller wächst, resistenter wird und den Backprozess beschleunigt. Gluten spielt dabei eine wichtige Rolle. Es hilft, dass der Teig schneller aufgeht. Der Anteil von Gluten im Weizenmehl wurde durch Züchtungen ständig erhöht. Heute beträgt er 50 Prozent. Vor 50 Jahren waren es noch 5 Prozent.
Menschen mit einer echten Unverträglichkeit gegen Gluten verfolgen den Boom mit gemischten Gefühlen. Zwar machen ihnen die neuen Angebote das Leben leichter. Doch der Modetrend bewirkt, dass Zöliakie nicht mehr von allen ernst genommen wird, klagt die Interessengemeinschaft Zöliakie. Eine glutenfreie Diät werde auf die gleiche Stufte gesetzt wie die Angewohnheit, ab und zu vegan oder vegetarisch zu essen. Das passiert, wenn dasselbe Produkt für Hipster, Gesundheitsbewusste und Kranke gut sein soll.
(Volltext: www.nzz.ch/nzzas/nzz-am-sonntag/ 19.7.2015)
Wissenswertes über Zöliakie
In der Schweiz sind ungefähr ein Prozent der Bevölkerung von einer Zöliakie betroffen. Bei Personen mit einer Zöliakie führt Gluten (Klebereiweiss in verschiedenen Getreidesorten) zu einer Schädigung der Dünndarmschleimhaut. Wird eine glutenfreie Ernährung eingehalten, ist in der Regel ein beschwerdefreies Leben möglich.
Personen mit einer Zöliakie haben eine genetische Vorbelastung (Prädisposition). Dadurch führt bei ihnen die Zufuhr von Gluten zu einer Schädigung der Dünndarmschleimhaut. Gluten ist ein Sammelbegriff für Klebereiweisse in verschiedenen Getreidesorten (Weizen, Dinkel, Roggen, Gerste, Hafer, Emmer, Grünkern, Kamut, Einkorn und Triticale).
Die Schädigung führt zum Abbau der Dünndarmzotten, wodurch sich die Oberfläche des Darms verkleinert. Nährstoffe (Kohlenhydrate, Fette, Eiweisse, Vitamine und Mineralstoffe) können dadurch schlechter aufgenommen werden und stehen dem Körper nicht mehr ausreichend zur Verfügung. Diese Nährstoffdefizite können im Laufe der Erkrankung Mangelerscheinungen (z.B. Eisenmangel) und entsprechende Folgen (z.B. Blutarmut) auslösen.
Symptome und Diagnose
Die Symptome einer Zöliakie zeichnen sich durch ihre Vielfältigkeit und ihre unterschiedliche Ausprägung aus. Es gibt auch Formen der Zöliakie, bei der keine oder nur wenige bemerkbare Symptome auftreten.
Bei einem Verdacht auf Zöliakie sollten die spezifischen Zöliakie-Antikörper im Blut (Anti-Tissue-Transglutaminase IgA und IgG, Anti-Endomysium IgA und IgG und Anti-Gliadin IgA und Anti-Gliadin IgG) gemessen werden. Eine weitere diagnostische Untersuchung ist in der Regel eine Dünndarmspiegelung mit Gewebeentnahme (Biopsie).
Die Menge Zöliakie-spezifischer Antikörper im Blut ist ernährungsabhängig und reduziert sich bei Einhaltung einer glutenfreien Ernährung. Deshalb ist es wichtig, die glutenfreie Ernährung erst nach gesicherter Diagnose zu beginnen. Andernfalls wäre diese erschwert oder unmöglich.
Zöliakie tritt gehäuft auch mit anderen Erkrankungen auf, zum Beispiel: Diabetes mellitus Typ 1, rheumatoide Arthritis, Trisomie 21. Als Folge einer (längere Zeit) nicht entdeckten Zöliakie kann bei Betroffenen zusätzlich eine Laktoseintoleranz oder Osteoporose auftreten.
Behandlung oder Therapie?
Die einzige bekannte Therapie der Zöliakie ist eine lebenslange, glutenfreie Ernährung. Zöliakiebetroffene können unter Vermeidung von Gluten in der Regel beschwerdefrei und gesund leben.
Für Zöliakiebetroffene gelten deshalb folgende Punkte:
•Strikt zu meiden sind: Weizen, Roggen, Gerste, Dinkel, Kamut, Grünkern, Emmer, Triticale, Einkorn und alle daraus hergestellten Lebensmittel (z.B. Brot, Gebäck, Teigwaren, Mehlsaucen, etc.)
•Glutenfreier Hafer (ohne Verunreinigung mit Weizen, Roggen, Gerste oder Dinkel) ist in kleinen Mengen für die meisten Betroffenen erlaubt. Der betreuende Hausarzt oder Magen-Darm-Spezialist kann dazu Auskunft geben.
•Glutenfrei sind: Kohlenhydratlieferanten, die natürlicherweise glutenfrei sind, wie beispielsweise Kartoffeln, Mais, Reis, Buchweizen, Quinoa, Amaranth, Hirse, Teff und Hülsenfrüchte. Ebenfalls geeignet sind unverarbeitete Nahrungsmittel wie Fleisch, Fisch, Eier, Milch und Milchprodukte, Gemüse, Früchte, Pflanzenöle und Zucker.
Es ist ein grosses Sortiment an glutenfreien Speziallebensmittel auf dem Markt erhältlich. Betroffene können sich dabei am Schweizer Allergiegütesiegel (empfohlen durch aha!) und am Glutenfrei-Symbol (durchgestrichene Ähre) orientieren.
(Text: Allergiezentrum www.aha.ch)
Weiterlesen: Zöliakie auf dem Vormarsch
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