Das Wort "Ernährungssouveränität" ist beliebt bei allen, die gegen die Liberalisierung der Agrarmärkte kämpfen. Doch über die Definition sind sich nicht einmal die Bauern einig.
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Jacques Bourgeois, Direktor des Bauernverbandes SBV und Nationalrat der Freiburger FDP, überlegt sich, in einer der nächsten Sessionen eine parlamentarische Initiative einzureichen, um den Begriff der Ernährungssouveränität im Zweckartikel des Landwirtschaftsgesetzes zu verankern.
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Ernährungssouveränität: Das Wort ist in Diskussionen um Ernährung, Landwirtschaft und Handelspolitik immer öfter zu hören. Entwicklungshilfe- und kirchliche Organisationen nehmen die Ernährungssouveränität in ihr Vokabular auf. Die Westschweizer Bauernorganisation Unterre möchte gar die Ernährungssouveränität in der Verfassung verankern und bereitet eine Volksinitiative vor. Doch was bedeutet der Begriff eigentlich?
Das Konzept der Ernährungssouveränität ist ein politisches und richtet sich vorab gegen die Bestrebungen, den Handel mit landwirtschaftlichen Gütern zu liberalisieren: Die Versorgung der Bevölkerung eines Landes mit Lebensmitteln soll Vorrang haben gegenüber dem ungehinderten Zugang von Lebensmittelimporten.
Der Begriff wurde 1996 im Rahmen der Welternährungskonferenz von der Kleinbauern- und Landarbeiterorganisation Via Campesina geprägt. Die konkreten Forderungen, die von Via Campesina im Namen der Ernährungssouveränität erhoben werden, beziehen sich auf die Verhältnisse in Entwicklungsländern: der Bäuerinnen und Bauern sollen Zugang zu Land, Wasser, Saatgut und Krediten haben, sie sollen das Recht haben, Nahrungsmittel zu produzieren, die Konsumenten sollen das Recht auf Wahlfreiheit haben.
Immer wieder und immer häufiger wird Ernährungssouveränität aber auch von Schweizer Bauernpolitikern verwendet. Unter dem Referatstitel "Ernährungssouveränität sichern" warb der heutige SVP-Präsident Toni Brunner vor zwei Jahren für einen höheren Selbstversorgungsgrad und eine Rückweisung der Agrarpolitik 2011. In der dringlichen Nationalratsdebatte zur Ernährungskrise vom 12. Juni 2008 fiel der Begriff mehrere Male, grüne Politiker fanden daran ebenso Gefallen wie Vertreter der SVP.
Plan für Volksinitiative
Auch Uniterre (www.uniterre.ch) möchte die Ernährungssouveränität in der schweizerischen Landwirtschaftspolitik verankern, hat dabei aber nicht nur einen hohen Selbstversorgungsgrad im Visier, sondern bleibt eng bei der ursprünglichen Definition. Uniterre verlangt vom Bund unter anderem Folgendes:
die Förderung der Schaffung von Arbeitsplätzen in der Landwirtschaft. die Förderung des Zugangs zu Land und der Landnutzung durch junge Bewirtschafter.Bestimmungen über einen Standard-Arbeitsvertrag für landwirtschaftliche Angestellte, der diesen einen angemessenen Lebensunterhalt garantiert.Bestimmungen über die Branchenverbände, nach denen lohnende Produzentenpreise festgelegt werden soll.
Ebenso soll eine Mengensteuerung der produzierten Nahrungsmittel erfolgen.Die Förderung des lokalen Anbaus von Nahrungsmitteln. Zur Verarbeitung und Lagerung von Nahrungsmitteln soll eine lokale Infrastruktur zur Verfügung gestellt werden.Die Möglichkeit, Zölle auf importierte Nahrungsmittel zu erheben und die Möglichkeit, importierte Produkte, die unter in der Schweiz verbotenen sozialen und ökologischen Bedingungen produziert wurden, zu verbieten.Vorschriften über die Deklaration von Herkunft und Produktionsbedingungen auf Lebensmitteln.
Nein vom Bauernverband
Dem Schweizerischen Bauernverband (SBV) geht das zu weit. Die grundsätzliche Stossrichtung sei zwar zu begrüssen, sagt SBV-Direktor Jacques Bourgeois. So sei es wichtig, einen "vernünftigen Versorgungsgrad" aufrechtzuerhalten, der auf dem aktuellen Niveau von zwischen 55 und 60 Prozent liege. Dazu gehöre auch die Erhaltung der Landwirtschaftszonen als Produktionsbasis, für die man im Rahmen des neuen Raumplanungsgesetzes kämpfen werde.
Weil viele Punkte aber schlecht umsetzbar oder aber auf Gesetzesstufe schon geregelt seien, könne man den Text in dieser Form nicht unterstützen. Bourgeois, der für die Freiburger FDP im Nationalrat sitzt, überlegt sich aber, in einer der nächsten Sessionen als Druckmittel eine parlamentarische Initiative einzureichen, um den Begriff der Ernährungssouveränität im Zweckartikel des Landwirtschaftsgesetzes zu verankern. Für Uniterre ist dies der falsche Weg. "Uns interessieren die Inhalte, nicht der Begriff", sagt Valentina Hemmler. Das sei nur eine Alibi-Übung. Uniterre wolle auch möglichst nahe an der Definition von Via Campesina bleiben und die Forderungen nicht verwässern.
Die Kleinbauern-Vereinigung VKMB kann "durchaus hinter den Anliegen von Uniterre stehen", wie Geschäftsführer Herbert Karch sagt. Die Sicherstellung der Ernährung müsse wieder ernster genommen werden als in den letzten Jahrzehnten. Allerdings sei eine Volksinitiative das falsche Instrument dafür. "Eine Initiative hätte keine Chance", sagt Karch. Dazu komme, dass es auf Verfassungsstufe gar keine Ergänzung brauche, die Änderungen müssten vielmehr auf Gesetzesstufe vorgenommen werden. Ob und wann für eine "Ernährungssouveränitäts"-Initiative tatsächlich Unterschriften gesammelt werden, ist noch offen. "Wir werden im Herbst darüber entscheiden", sagte Valentina Hemmeler.
Ernährung – politisch, juristisch und technisch
Ernährungssouveränität, Selbstversorgung und Ernährungssicherheit sind verschiedene Dinge. Der Kleinbauern- und Landarbeiterverband Via Campesina definiert Ernährungssouveränität vorab politisch: "Ernährungssouveränität bezeichnet das Recht der Bevölkerung, eines Landes oder einer Union, die Landwirtschafts- und Verbraucherpolitik selbst zu bestimmen, ohne Preis-Dumping gegenüber anderern Ländern."
Das Recht auf Nahrung, genauer das Recht auf angemessene Ernährung, ist im Artikel 25 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte festgehalten. Es ist von der UNO definiert als "Recht auf regulären, ständigen und freien Zugang zu Nahrung, entweder direkt oder über ausreichend finanzielle Mittel."
Die Ernährungssicherheit bezieht sich auf die technische Dimension und wird von der Welternährungsorganisation FAO definiert als "physischen und wirtschaftlicher Zugang zu Nahrungsmitteln in angemessener Menge, ohne dass das Risiko besteht, dass dieser Zugang verloren geht."
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(Text: LID Roland Wyss-Aerni)
(gb)
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