Diese Woche in der Weltwoche: Ein Monumentalwerk möchte beweisen, dass Technologie und Wissenschaft die Menüs des 21. Jahrhunderts bestimmen werden.
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Die Molekularküche ist oft marketing-orientiert. Viele Molekularköche provozieren mit Neuem, Futuristischem und mitunter nach Chemielabor Aussehendem. «Man isst, was man kennt», lautet eine eiserne Regel der Ernährungspsychologie. Nur abgebrühte Snobs, denen das Bekannte langweilig vorkommt, trinken daher Cocktails aus Reagensgläsern mit flüssigem Stickstoff.
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Das kürzlich erschienene Werk «Modernist Cuisine» besteht aus sechs Bänden, 2438 Seiten, ist zwanzig Kilogramm schwer und das Ergebnis von drei Jahren Arbeit von über drei Dutzend Köchen und Wissenschaftlern in einem 400 Quadratmeter grossen Kochlabor in Seattle. «Modernist Cuisine» ist für viele ein Meilenstein der Kochgeschichte und für andere ein Beispiel für die Exzesse einer übersättigten Gesellschaft.
Man muss schon eine weit entwickelte Leidenschaft für das Essen in sich haben, um 625 Dollar für ein Kochbuch auszugeben. Dafür erfährt man so gut wie alles von der Entdeckung des Feuers bis zu den Auswirkungen des Verzehrs gebratener Mammutkeulen auf Kopf und Körper unserer Vorfahren. Vielen würde es schon reichen, wenn sie eine Antwort auf die Frage bekommen, warum das Soufflé immer wieder in sich zusammenfällt.
Trotzdem ist «Modernist Cusine» bei Amazon zurzeit ausverkauft. Wer sich professionell oder/und leidenschaftlich mit Kulinarischem befasst, dem scheinen mehr als 500 Franken für ein Kochbuch nicht zu viel. «Modernist Cuisine» mutet in weiten Teilen wie Science-Fiction an. Da werden Rüebli mit Ultraschallschweissern traktiert und Hüttenkäse in Rotationsverdampfern gerührt. Keine Kichererbse ist vor der Behandlung mit Kalziumlactat, Natriumalginat oder Sojalecithin sicher. Ebendieser Aspekt sorgt für Gesprächsstoff.
Der Autor Nathan Myhrvold ist ein 51-jähriger Microsoft-Milliardär und ein erklärter Freund der Molekularküche. Seit Ferran Adrià Mitte der 1980er Jahre die Gäste seines Restaurants «El Bulli» im katalanischen Roses erstmals mit Espumas und Gelees überraschte, wurde die Molekularküche gleichermassen ekstatisch gefeiert und harsch kritisiert. Für die einen sind Molekül-Aktivisten wie Heston Blumenthal, Marc Veyrat oder Grant Achatz nichts als Schäumchen schlagende Blender, die anderen halten sie für Visionäre. Je nachdem hat die Molekularküche die Kochkunst revolutioniert oder ruiniert.
«Sicher ist, dass kochtechnisch seit 1972, als Henri Gault und Christian Millau die Nouvelle Cuisine lancierten, fast nichts mehr gelaufen ist», sagt der Schweizer Food-Journalist Patrick Zbinden. «Dass die Molekularküche Bewegung in die Branche gebracht hat, dürfte also kaum jemand bestreiten.» Zbinden, der auf Radio DRS 3 die beliebte Sendung «Kochen mit Patrick Zbinden» moderiert, betrachtet die Molekularküche eher als Evolution denn als Revolution: «Spitzenköchen ging es schon immer darum, aus Qualitätsprodukten das Maximum an Geschmack herauszuholen.»
Was die Hightech-Maschinen der Kochtüftler betrifft, so sind laut Zbinden Küchengerätehersteller längst tätig geworden. Sous vide-Bäder, Vakuumiermaschinen und Kombi-Steamer sollen bald zur Standardausrüstung von Haushalten gehören.
Dieses Wissen hält der Schweizer Sternekoch Ivo Adam gerade für Hobbyköche allerdings für ziemlich unwichtig: «Mit reiner Wissenschaft kann man nicht gut kochen», sagt der Geschäftsführer u.a. des mehrfach ausgezeichneten «Seven» sowie verschiedener anderer Restaurants in Ascona. «Auch bei Profis, vor allem bei den kreativen und leidenschaftlichen Köchen, ist die Wissenschaft nur Mittel zum Zweck.» Adam hat sich einige Zeit mit der Molekularküche befasst und Techniken ausprobiert, sich dann aber davon abgewandt: «Ich habe gemerkt, dass der Geschmack von Erdbeerpulver nie an den Geschmack des frischen Rohprodukts heranreicht.»
Man isst, was man kennt
Annemarie Wildeisen missfallen Zusatzstoffe jeglicher Art. Die bekannte Schweizer Fernsehköchin und erfolgreiche Kochbuchautorin bietet in ihrer Kochschule aus Prinzip keine Kurse zur Molekularküche an: «Ich finde es einfach dekadent, wenn man nur noch die Aromen aus Lebensmitteln herauszieht.»
Die Lebensmittelindustrie muss ihre E-Nummern auf der Packung deklarieren. Von Molekularköchen wird das nicht verlangt, obschon oft dieselben Zusatzstoffe zum Einsatz kommen. Wer kein Nitritpökelsalz, Maltodextrin, E 301 und E 304 essen mag, verzichtet halt auf die Salami-Sticks aus dem Supermarkt. Doch wie weiss man, was im Bison-Granulat steckt, das einen Artischockenspiegel verschönert? Auf der Karte eines Feinschmeckerlokals ist das nicht vermerkt. (Auszug aus dem Bericht «Die Zukunft des Kochens». Die Weltwoche, Ausgabe 25/2011. Erschienen 23.6.2011). www.weltwoche.ch
(gb)
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